Weilheim und Umgebung

Auch Bullerbü kennt Covid-19

Sonderweg Die Schweden und Corona: Warum im skandinavischen Land alles ein bisschen anders läuft, und die Lehrer längst auch aus der Besenkammer ihren Unterricht streamen. Ein Erfahrungsbericht. Von Judith Reischl

Ausflüge in die Natur, an die zahlreichen Seen, und ein Lagerfeuerchen gehören zum Wochenendprogramm der Reischls.Foto: Judith R
Ausflüge in die Natur, an die zahlreichen Seen, und ein Lagerfeuerchen gehören zum Wochenendprogramm der Reischls. Foto: Judith Reischl

Anders heisst er, und er kommt jeden Tag um 14 Uhr zu mir nach Hause. Nicht persönlich, das ginge ja in Zeiten des „social distancing“ nicht, aber via gestreamter Pressekonferenz der Schwedischen Gesundheitsbehörde. Salopp in Hemd mit Pulli steht der Staatsepidemiologe Anders Tegnell zusammen mit einigen Ministern auf dem Podium und berichtet über die Lage der schwedischen Nation angesichts der Corona-Krise.

Schweden geht einen Sonderweg bei Covid-19. Die Selbstverantwortung und Selbstdisziplin der Menschen hier im Norden Europas reicht weit: Wenn die Gesundheitsbörde Folkhälsomyndigheten uns Schweden ermahnt, von zuhause zu arbeiten und die sozialen Kontakte drastisch einzuschränken, dann tun wir das prompt auch.

Manches ergibt sich für viele auch von selbst: Schweden hat zirka zehn Millionen Einwohner, auf einer in etwa vergleichbaren Fläche wie Deutschland. So viele Menschen wohnen allein in Baden-Württemberg. Wenn wir uns nicht gerade in den Ballungsgebieten Stockholm, Göteborg oder Malmö aufhalten, dann haben wir viel Platz pro Person.

Manchmal frage ich mich schon, woher Anders, seine Behörde und (wir duzen uns alle hier) alle Schweden das Vertrauen nehmen, dass es reicht, sich die Hände zu waschen und zuhause zu bleiben, wenn man sich im mindesten erkältet fühlt. Die Ansteckungskurve bestätigt im Moment jedoch, dass die Taktik noch stimmt. Ohne Gebote, Gesetzesänderungen und strenge Sanktionen. Wir folgen einfach den Anweisungen; die meisten haben entschieden, dass es wohl keine gute Idee ist, momentan im Restaurant zu essen oder zu shoppen.

Die Grundschulkinder gehen noch zur Schule, sollen jedoch weder Oma und Opa noch andere Personen aus Risikogruppen besuchen. Und die Hände waschen. So können die Eltern arbeiten - das sind eben auch Krankenschwester und -pfleger, aber auch Ladenpersonal und wir anderen mit Bürojobs, die ihren Laptop mit nach Hause nehmen können. Von den Gymnasiasten und Studenten wird erwartet, von zuhause aus dem Unterricht zu folgen. Die Lehrer streamen aus ihrem Arbeits- oder Wohnzimmer - notfalls auch der Besenkammer - ihren Unterricht.

Die Umstellung der Gesellsschaft ging blitzschnell, da mit einem Blick auf dem Kontinent ja schon zu sehen ist, was bei uns noch kommen könnte. Ganze Belegschaften haben Homeoffice, die Abteilungsbesprechung läuft über Skype. Die Server in den Firmen wurden flugs aufgerüstet, um das erhöhte Datenvolumen bewältigen zu können. Die Lebensmittelhändler packen Tüten und liefern, Nachbar kaufen für ihre älteren Nachbarn ein, das Dorf rückt zusammen. Die Stadtbibliothek packt und liefert Büchertaschen, fünf per Person, Leihzeit drei Monate. Sogar die Beerdigungsinstitute reagieren: Beerdigungen werden auf Wunsch live gestreamt, damit die Angehörigen Abschied nehmen können.

Die sozialen Kontakte sollen minimiert werden, ohne dabei die emotionale Nähe zu verlieren. Wir dürfen, nein sollen, raus in die Natur. Gerne zusammen spazieren gehen, jedoch genug Abstand halten und uns nicht anniesen. Nur wer in die Natur kann, der kann auch gesund bleiben, das ist die Meinung hier.

Für mich persönlich hat sich im Alltag nicht viel geändert. Ich hatte auch vorher schon mein Homeoffice, nun sind es statt zwei Tagen pro Woche eben bis auf Weiteres fünf. Ich vermisse zwar unsere tägliche bezahlte Kaffeepause im Büro mit den Kollegen, doch so sitze ich eben zuhause kurz mal in der Sonne.

Wir wohnen auf dem Land: Unseren nächsten Nachbarn wohnen im weißen Haus links, eine Pferdekoppel entfernt. Die Nachbarn rechts, hinterm Wald, treffen wir beim Gassi gehen. Wir lächeln uns an und plauschen mit einem Sicherheitsabstand, da sie über 70 sind. Sonst wohnt hier niemand. Schwer fällt, die Eltern mit über 80 so weit weg in Deutschland zu wissen. Doch Skype holt sie zu uns ins Wohnzimmer. Der geplante Osterurlaub bei Oma und Opa in Deutschland fällt für uns jedoch aus.

Wir sind gerüstet, sowohl mental als auch mit einer gut gefüllten Speisekammer und Klopapier, wie auf dem Land sowieso üblich. Und warten nachmittags um 2 auf Anders Tegnells Infos und die Empfehlungen der Regierung, um zu wissen, wie es steht mit Covid-19 in Bullerbü.

Die Freiheit gesucht und gefunden

Im Jahr 2016 von Schwaben nach Skandinavien ausgewandert, lebt Teckboten-Mitarbeiterin Judith Reischl mittlerweile mit Mann und zwei Kindern in Mittelschweden. Die Familie bewohnt ein kleines Haus auf dem Land. „Wir haben die Freiheit gesucht und sie hier gefunden“, erzählt die freie Journalistin. Ohne direkte Nachbarn, mit einem dunklen Sternenhimmel im Winter und skandinavisch hellen Sommernächten, verbringt das Quartett seine Freizeit gerne draußen. Am Wochenende sind Wandern, Zelten, Blaubeeren pflücken und Pilze sammeln angesagt. Und wie sich das in Schweden gehört, gibt es ganz traditionell donnerstags Erbsensuppe mit Senf und danach Pfannkuchen mit Sahne und Preiselbeeren.rei