Für eine deutsche 10 000-Einwohner-Stadt ist Weilheim digital schon recht gut aufgestellt: Zum Beispiel gibt es in der Ortsmitte freies WLAN. Den Stand ihres Wasserzählers können die Bürger via Internet mitteilen, und wem es abends danach ist, ein Buch auszuleihen, der greift auf die Onleihe der Stadtbücherei zurück. Ihr digitales Angebot möchte die Stadt aber noch weiter ausbauen und zu einem der digitalen Vorreiter im Kreis Esslingen werden - unterstützt von Beratern und mit Mitteln aus dem Landeswettbewerb „Digitale Zukunftskommune“.
In Estland, das als digitaler Vorzeigestaat gilt, gibt es nur noch drei Dinge, die Behördengänge erfordern: „Heirat, Scheidung und ein Grundstück kaufen“, weiß Franz-Reinhard Habbel, Pressesprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und kommunaler Berater in Sachen E-Government. Alles andere lässt sich in dem kleinen baltischen Staat online erledigen, etwa einen Personalausweis beantragen, ein Unternehmen gründen oder wählen gehen. An estnische Verhältnisse wird Weilheim in absehbarer Zeit freilich noch nicht herankommen. „Aber wir können uns vorstellen, ganz neue Online-Bürgerdienste einzuführen, Handel und Gewerbe besser zu vernetzen und auch unsere Schulen fit zu machen fürs digitale Zeitalter“, sagt Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle. Wie genau das aussehen könnte und welche Bereiche dafür infrage kommen, das soll im Laufe der nächsten Monate erarbeitet werden. Am 16. Oktober gibt es dazu in Weilheim einen Dialog mit Bürgern, Vertretern von Schulen, Vereinen, Unternehmen und Experten.
„Es geht bei der Digitalisierung gar nicht um Technik, sondern um die Menschen“, stellt Franz-Reinhard Habbel klar. Mehr Online-Angebote sollen für mehr Lebensqualität sorgen und den Standort attraktiver machen - vor allem im ländlichen Raum. So halte man auch junge Leute und Unternehmen in der Region. Und trotzdem spielt die Technik eine Rolle: Sie muss vorhanden sein. Denn die Voraussetzung dafür, dass die Digitalisierung auch wirklich gut funktioniert, ist flächendeckendes, schnelles Internet. „Die Breitbandversorgung ist genauso wichtig wie Wasser, Strom und Gas“, formuliert es Habbel.
Das E-Government - also die digitale Verwaltung - ist dabei nur eine Facette. Franz-Reinhard Habbel spricht auch den Verkehr, digitale Nachbarschaftsnetzwerke, Tele-Medizin und den Handel an. Wichtig dabei: „Ich glaube nicht, dass der stationäre Handel von Online-Firmen verdrängt wird“, so Habbel - vorausgesetzt, er verändere sich. Zum Beispiel müssten Läden ihren Kunden online Einblicke in ihr Lager geben. „Dann kann ich nachschauen, ob der Laden im Nachbarort das Hemd in meiner Größe auch da hat und es sich lohnt, dort hinzufahren.“
Aus Sicht von Franz-Reinhard Habbel werden Staat und Kommunen künftig nicht mehr nur durch Geld und Recht gesteuert, sondern auch durch Daten. „Sie können bei der Lärmreduzierung oder bei der Luftreinhaltung helfen.“ Oder sie regen dazu an, Ziele zu formulieren - zum Beispiel die Rate der Schulabbrecher zu halbieren. Auf dem Weg dorthin kann ebenfalls die Digitalisierung helfen. „Eine Möglichkeit wäre es, Nachhilfe via Skype zu geben.“
Ein „Ja“ zur Digitalisierung gab es vom Weilheimer Gemeinderat. Allerdings fehlte so manchem dort noch die Fantasie, wie die digitale Zukunft Weilheims konkret aussehen könnte. Das wird sich wohl im Laufe des Prozesses oder spätestens im nächsten Jahr ändern. Da gehen Verwaltung und Gemeinderat nämlich auf Studienfahrt - in den digitalen Vorzeigestaat Estland, versteht sich.