Wenn der Kirchheimer Architekt Jochen Stüber, selbst gelernter Zimmerer, vom neuen Fachwerk des Bissinger Rathauses spricht, gerät er schnell ins Schwärmen. Von der Zusammenarbeit mit dem Bauhistoriker Tilmann Marstaller und von den Zimmerleuten mit der Zusatzqualifikation eines Restaurators, die das 1669 erbaute frühbarocke Wahrzeichen des Ortes behutsam restaurieren. All das geschieht trotz „Corona-Flaute“ bei den Gewerbeeinnahmen und teilweise erheblichen Lieferproblemen und Preissteigerungen für Baustoffe.
Dabei decken die Profis auch die „Sünden“ der Vorgänger auf, etwa Silikonfugen, die sich lösen und Wasser in die Konstruktion hineinlassen, aber nicht wieder austrocknen lassen. Stattdessen werden dieses Mal die Fugen mit Dreikantleisten und Hanfstricken abgedichtet, die bei Regen quellen, dichten und danach wieder ein Austrocknen des Fachwerks erlauben. „Ich mache aber keinem einen Vorwurf, das war damals der Stand des Wissens“, sagt Jochen Stüber. Alles was zu erhalten ist, wird erhalten. Auch der bauzeitliche Lehmputz aus dem 17. Jahrhundert ist zwischen den alten Balken noch zu finden.
Im Laufe seiner Geschichte wurde das Fachwerk vollständig verputzt – wann genau, ist nicht überliefert. In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts hat man es wieder freigelegt. „Damit wollte man der Vorstellung vom heimeligen Dorf entsprechen“, sagt Jochen Stüber. Zum 300. Jubiläum im Jahr 1969 wurde es erneut „hübsch“ gemacht, indem „Überplattungen“ auf das Fachwerk genagelt und mit Leim abgedichtet wurden. Mehr als ein Drittel der Fassade ist damit bearbeitet worden. Der Blick hinter diese Art von „Altschadenverblendung“ brachte viel morsches Holz und Schwämme zutage. „In manches Stück konnte man den Meterstab einfach reinstecken“, erzählt Jochen Stüber. Wenn eine Schädigung da ist, zieht das Holz Wasser an wie ein Schwamm. Vom nassen Element gibt es am Bissinger Rathaus reichlich: Die Hauptfassade geht nach Westen raus, von dort kommen der meiste Wind und Regen.
Holz darf nicht „neu“ sein
Das verrottete Fachwerk wird teilweise komplett nachgebaut, andere historische Hölzer bleiben erhalten. Das „neue“ Holz ist dabei nicht ganz neu, sondern gebrauchte Eiche. „Sie wurde 15 Jahre gelagert, stammt oftmals aus anderen Häusern. Wichtig ist, dass das Holz nicht mehr arbeitet“, erklärt der Architekt. Was seine Vorgänger in Sachen „Fassadenrenovierung“ auch nicht hatten, war der 3-D-Scanner des Bauhistorikers Marstaller, der das Haus Stockwerk für Stockwerk mit all seinen Details, Mauerfugen und Unebenheiten exakt abgebildet hat und die Vorlage für die Arbeiten bildet. „Das können Sie sonst gar nicht schaffen. Da können zwischen Zeichnung und den tatsächlichen Gegebenheiten 30 Zentimeter liegen“, sagt Jochen Stüber.
Die Liebe zum Detail geht sogar soweit, dass die Teile der Holzvertäfelung und das Parkett nummeriert werden, um nach der Fassadenrenovierung wieder identisch verlegt werden zu können. „Das grenzt an detektivische Arbeit“, sagt er und zeigt eine Quittung aus dem Jahr 1905, die dem Boden sein Alter attestiert.
Die Kosten hat der Gemeinderat mit einem Puffer bei 420 000 Euro kalkuliert. „Das wird wohl eine Punktlandung“, ist Bürgermeister Marcel Musolf zuversichtlich. Seit neun Monaten laufen die Bauarbeiten, und wenn dann voraussichtlich Ende des Jahres die Holzstruktur fertig ist, die Böden wieder verlegt und die Putzschichten getrocknet sind, kann auch die Kunst- und Musikschule wieder einziehen. Das Aushängeschild des Ortes erstrahlt dann wieder in neuem Glanz und das Wichtigste: Auch hinter der schönen Fassade herrscht wieder Stabilität.
Die Gemeinde investiert fast zwei Millionen Euro
Die Gemeindehalle schlägt im Bissinger Haushalt mit ihren neuen Fenstern und der neuen Rauchwarnanlage mit rund 250 000 Euro zu Buche. Die Dachsanierung und die Begrünung auf dem Altbau der Schule wird rund 360 000 Euro kosten. Für die Renovierung des alten Rathauses sind nach einigen Anpassungen aufgrund verschiedener Entwicklungen während der Bauphase 420 000 Euro veranschlagt worden.
Das Feuerwehrmagazin ist derzeit das teuerste Projekt im Ort. Für die Erweiterung mit dem Anbau und den neuen Umkleiden und Spinden sowie dem Stellplatz für ein Einsatzfahrzeug sind 1,4 Millionen Euro veranschlagt, von denen die Gemeinde rund 900 000 Euro übernimmt. Für die Erweiterung mit der neuen Garage für den Mercedes Vito wurden angrenzende Grundstücke erworben, außerdem wird es an der Vorderen Straße eine Warnanlage geben, wenn die Einsatzfahrzeuge ausrücken.
Der Umbau hat den Hintergrund, mehr Platz für Umkleiden zu schaffen, auch für die Jugendfeuerwehr, sowie die Laufwege zur Werkstatt und Kommandozentrale zu entzerren. Für das historische Feuerwehrfahrzeug wird ebenfalls eine neue Garage gebaut. Sie entsteht neben den Fahrradstellplätzen in Richtung Vordere Straße.
Die Arbeiten befinden sich bereits im zweiten Bauabschnitt. Um die steigenden Baustoffkosten zu deckeln, sind verschiedene Maßnahmen getroffen worden. So wird die Holzdecke in den neuen Umkleiden nicht verkleidet und die Toiletten standen bereits vor Beendigung der Arbeiten in den Sanitärräumen auf dem Hof. Hintergrund: die konnte der Bauleiter bereits günstig erwerben und hatte deshalb bereits frühzeitig „zugeschlagen“. zap