Weilheim und Umgebung

Bauerntöchter erzählen in klaren Worten

Lesung Ulrike Siegel überlässt in ihren Büchern dem Hof-Nachwuchs das Schreiben. Der schildert authentisch die Realität aus der Innenschau. Von Iris Häfner

Bei der Lesung von Ulrike Siegel kamen bei vielen Hepsisauerinnen Erinnerungen hoch. Foto: Carsten Riedl
Bei der Lesung von Ulrike Siegel kamen bei vielen Hepsisauerinnen Erinnerungen hoch. Foto: Carsten Riedl

Das war ein Heimspiel für Bestseller-Autorin Ulrike Siegel aus Brackenheim. Sie war zu Gast bei den Landfrauen in Hepsisau und las auch aus ihren Büchern vor, in denen Bauerntöchter zu Wort kommen, die etwa gleich alt sind als die 1961 geborene Autorin. In mehr als einer Geschichte fanden sich die Hepsisauerinnen wieder. Das Stichwort Küchenzettel reichte aus, um unliebsame Erinnerungen heraufzubeschwören, was die mehrstimmigen Laut- äußerungen in der Zipfelbachhalle sofort klarmachten. Dabei handelte es sich um einen Zettel, der gut sichtbar auf dem Küchentisch für die von der Schule heimkehrenden Kinder lag - und selten etwas Gutes bedeutete, denn es waren in der Regel Arbeitsanweisungen.

So auch für Petra, die ihre Geschichte mit „Stubenfliege knusprig“ überschrieben hat. In dem Buch „Immer regnet es zur falschen Zeit“ hat Ulrike Siegel die Bauerntöchter selbst schreiben lassen. „Die härtesten Töne schlägt Petra an, die aus dem Raum Stuttgart kommt und zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Geschichte aufgeschrieben hat, Stadtplanerin in Sachsen war“, verriet die Autorin. Lag so ein Küchenzettel auf dem Tisch, hieß das für Petra zunächst einmal: alleine essen, den Topf mit der lauwarmen Mahlzeit unterm wärmenden Kissen vom Sofa holen und auf dem Holzherd warm machen. Dann musste die Liste auf dem Zettel abgearbeitet werden. Unausweichlich war das Nachkommen auf den Rüben- oder Kartoffelacker, die Heuwiese oder den Wengert, wo der Rest der Familie schon arbeitete. Besonders verhasst waren Petra die Fliegen, die zuhauf in der Küche herumflogen, weil den Kuhstall nur zwei Türen trennten und die „Miste“ auch nicht weit entfernt war. Bildhaft beschreibt sie, wie die Insekten zu Hunderten an den gelben Fliegenfängern klebten, in der Suppe im Teller landeten - oder eben schnell knusprig in der Pfanne gebraten waren. „Als die Identität von Petra dank einer Nachbarin aufgeflogen ist, sagte ihre Mutter: So war es. Die Zeiten waren so“, erzählte Ulrike Siegel. Übrigens: Petra betreibt heute eine Bäckerei in London und war in der Fernsehsendung „Hart aber fair“ zum Thema Brexit zu Gast.

Die Idee der Geschichten verselbstständigte sich, drei Bände von der Bauerntöchter-Reihe hat Ulrike Siegel herausgebracht. Im Buch „Kein Rindvieh - bloß kein Rindvieh“ lässt sie Prominente zu Wort kommen. So zum Beispiel Verena Bünten, vielen als Washington-Korrespondentin in der ARD ein Begriff. Sie hat ihr Kapitel mit „Scheißeschieben macht verwegen“ überschrieben. Zu viel Arbeit für zwei Erwachsene hat es auf dem Hof in der Nähe von Aachen gegeben. Obwohl sich die Eltern selten beklagten, hat sie als Kind diese nie enden wollende Arbeit und das permanente Müssen als bedrückend erlebt. Ihr Vater hatte einen 15-Stunden-Tag. Er war Besamungstechniker und sorgte auf vielen Höfen für Kuh-Nachwuchs. „Mein Vater, der Kälbchenmacher“, schreibt Verena Bünten und erinnert sich heute mit einem Grinsen an den für sie im Pubertäts-Alter peinlichen Spruch ihres Vaters auf dem Anrufbeantworter: „Liebe Kunden, am ersten Weihnachtsfeiertag macht der Bulle Urlaub. Ab morgen wird dann wieder besamt.“ Doch beim „Scheißeschieben, dieser meditativsten aller Bauernhoftätigkeiten“, hat sie ihr Leben strukturiert - und ist ihr die Idee mit dem Journalismus gekommen.

Vom Hof im Zabergäu in die weite Welt und wieder zurück

„Stallschwalben“ heißt das Buch, das Ulrike Siegel selbst geschrieben hat. Die Vögel haben sie schon als Kind fasziniert. „Die können nach Afrika fliegen - und kommen in unseren Stall zurück und fühlen sich da wohl“, wunderte sich die älteste von vier Töchtern. Heute geht es der Ländlichen Hauswirtschaftsmeisterin und Landwirtschaftsmeisterin ähnlich, die zudem in Nürtingen Agrarwissenschaften studiert hat: „Nach jeder Reise freue ich mich auf die Heimat.“ Bei Auslandsaufenthalten in Afrika, Lateinamerika und Indien stillte die Mutter zweier Kinder ihre Sehnsucht nach fremden Ländern. Außerdem war sie in den Jahren von 2003 bis 2015 die Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg. In dieser Zeit begann sie mit der Veröffentlichung ihrer Bauerntöchter-Geschichten.

Aktuelle Themen wurden in der Zipfelbachhalle nicht ausgeklammert. Beruhigend empfindet Ulrike Siegel die Aussage von Ernst Geprägs, einst Gründer und erster Präsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg: „Der Weizen wächst im Ochsentempo.“ Das heißt, es gibt trotz Hochzüchtungen nur eine Ernte im Jahr, wie zu den Zeiten, als noch mit Tieren gepflügt wurde. „Wir Menschen haben es nicht in der Hand, ob es eine Ernte gibt. Das prägt die Bauern im Innersten. Wir wissen, dass alles irgendwie begrenzt ist - denn unbegrenztes Wachstum nennen wir Krebs“, wurde die Autorin deutlich. Über Jahrtausende war der Mensch Ackerbauer und hat gelernt, mit den Ressourcen umzugehen. Das Industriezeitalter sei dagegen ein Klacks, aber für viele Probleme innerhalb kurzer Zeit verantwortlich. ih