Weilheim und Umgebung

Berliner Mauer steht in der schwäbischen Provinz

Kunst Joe Schönmoser ließ 19 jeweils bis zu 4,6 Tonnen schwere Teile auf fünf Tiefladern von Berlin ins Schwabenland transportieren. Er betrachtet sich als Verwalter der Geschichte. Von Heike Siegemund

Berliner Mauer, Albershausen, Joe Schönmoser
Berliner Mauer, Albershausen, Joe Schönmoser

Die Berliner Mauer teilte einst Deutschland. Heute befinden sich die Einzelteile überall auf der Welt: in Brüssel, San Francisco, New York, London, . . . - und in Albershausen. Wer Joe Schönmosers Hof betritt, traut seinen Augen kaum: Dort stehen 19 monströse originale Mauerstücke, jeweils zwischen drei und 4,6 Tonnen schwer. Die Einzelteile sind bunt bemalt, Künstler hatten sie gestaltet. Unschwer zu erkennen sind die Hinterlassenschaften der sogenannten Mauerspechte - also der Menschen, die die Mauer nach der Wende mit Hammer und Meißel bearbeitet hatten. Es ist Kunst und gleichzeitig ein Stück deutsche Geschichte, das hier im vergleichsweise kleinen Albershausen die Blicke auf sich zieht.

Wie kommt der 46-Jährige an diese Zeugnisse der Geschichte? Durch seine Medienproduktionsfirma „take entertainment“, die Image- und Produktfilme sowie Eventdokumentationen für Firmen oder Parteien produziert, ist Joe Schönmoser viel unterwegs. „Wir sind international tätig und lernen dadurch viele Leute kennen.“ Ein „glücklicher Zufall“ und die Tatsache, dass er sehenden Auges durchs Leben gehe, führten dazu, dass Joe Schönmoser auf den Kurator Patrice Lux traf, „der die Mauerkunst Anfang der 90er ins Leben gerufen hatte“. Die Mauerstücke, die Schönmoser nun sein Eigen nennt, seien bei offiziellen Ausstellungen in Berlin gezeigt worden; „es gibt eine ganze Künstlerserie dazu“, erzählt der Albershausener.

Freilich könne nicht jeder einfach so daherkommen und ein Mauerstück mitnehmen. Denn zum einen brauche man den Platz dafür; und zum anderen habe Lux gewisse Grundsätze und wolle wissen, was mit diesem Gut der Geschichte passiert, das ja auch ein Mahnmal darstelle. Schönmoser musste den Kurator nicht überreden, erzählt er. Über langjährige Freundschaften und Beziehungen in der Szene sei es keine Frage gewesen, dass er die Mauerteile, die „nie auf dem freien Markt waren“, erwerben konnte. Das war im Oktober 2016. Der Transport der Stücke von der Hauptstadt ins Schwabenland sei ein riesiger logistischer Aufwand gewesen, erinnert sich der 46-Jährige: „Auf fünf Tiefladern rollten die Teile nach Albershausen.“

Joe Schönmoser ist ein kunstaffiner Sammler - das wird jedem klar, der die Räume seiner Film- und Fernsehproduktionsfirma betritt. Unzählige Vasen, Kannen und Teller von Rosenthal, alles Unikate, wurden feinsäuberlich über- und nebeneinander in Regalen aufgestellt. Graffitis und weitere Kunstwerke, wie zum Beispiel ein großes, aus mehreren Einzelteilen bestehendes Bild mit der Aufschrift „Leading with Creativity“, zieren die Wände. Ein Flügel steht mitten im Raum. Alte Holzpaletten hat Schönmoser zu Sitzmöbeln und Tischen umgestaltet. Und dazwischen: Miniatur-Mauerstücke aus Porzellan von Rosenthal - bunt bemalt oder in schlichtem Weiß. Eines davon ist handsigniert von Michail Gorbatschow und stammt ursprünglich aus der Sammlung von Patrice Lux.

Im Prinzip ist das gesamte Gebäude ein Kunstwerk. Es handelt sich um eine ehemalige Edeka-Filiale, was jedoch nicht mehr zu erkennen ist. Schönmoser, der Architektur studiert hat, zeichnete für den Innenausbau verantwortlich. Die frühere Wurstküche nutzen seine Frau Viola Mergenthaler und die Künstlerin Gudrun Niethammer als Atelier, um zu malen. „Wir sind kreativ - vom Pinselstrich bis zum Pixel“, sagt Schönmoser. In dieses Umfeld fügen sich die Mauerstücke auf dem Hof bestens ein. Und was passiert jetzt damit? Schönmoser will die Teile nicht vermarkten, sondern stehen und wirken lassen. Eigentlich will er auch nicht im Rampenlicht stehen; vielmehr betrachtet er sich auch als Verwalter der Geschichte, als jemand, der Schätze aufbewahrt und erhält. Immer wieder werden junge Leute auf die Mauerstücke aufmerksam, erzählt er. Viele 18-Jährige hätten von den geschichtlichen Hintergründen keine Ahnung. Hier klärt er gerne auf.

„Man muss wohl schon ein bisschen crazy sein“, solch‘ imposante Mauerteile auf seinen Hof zu stellen, sagt der Albershausener grinsend, der ursprünglich aus dem schwäbischen Ochsenhausen kommt und der Liebe wegen in den Kreis Göppingen zog. Doch der Prozess um Mauerfall und Wende habe ihn bewegt. 17 Jahre war er alt, als die Mauer fiel. Damals besuchte er ein Internat, in das dann schlagartig viele junge Leute aus den neuen Bundesländern kamen.

An den Mauerstücken fasziniert Schönmoser „die Vielfalt, die das Schreckgespenst Mauer später auslöste“: Man habe es geschafft, die Teile „als Display für alle Arten der Meinung zu nutzen“ - also einen Platz für Künstler zu schaffen, auf dem sie sich ausdrücken können. Seine geschichtsträchtigen Errungenschaften könnte man auch für die eine oder andere Produktion seiner Agentur verwenden - vorausgesetzt, „sie können sinnvoll eingesetzt werden“. Außerdem hat Joe Schönmoser eine Vision: die Gründung eines Kunstvereins. Denn mit vereinten Kräften müsse man die Mauerstücke vor dem Verfall bewahren.

Berliner Mauer, Albershausen, Joe Schönmoser
Berliner Mauer, Albershausen, Joe Schönmoser

Skulpturenpfad in Hattenhofen

Ein Mauerstück aus der Sammlung von Joe Schönmoser ist bis Ende Juli im Rahmen des „Kunst-Kultur-Skulpturenpfads“ vor der Sillerhalle in Hattenhofen zu sehen. Das Stück zeigt zwei konträre Motive: auf der Vorderseite einen bunt gestalteten Indianer, ein Zeichen für Freiheit und Unabhängigkeit, und auf der Rückseite Baschar al-Assad. Auf einer Beschreibung dazu ist zu lesen: „So sehen wir auf einem Mauerteil zwei Welten: positiv und negativ. So werden wir daran erinnert, dass es immer eine Wahlmöglichkeit gibt.“ hei