Weilheim und Umgebung

Boll stimmt gegen Gewerbepark

Streitfrage Die Kurgemeinde beteiligt sich nicht an geplantem Gewerbegebiet bei Aichelberg. Die Mehrheit des Gemeinderats sieht keine Notwendigkeit und glaubt nicht an eine nachhaltige Ausgestaltung. Von Jürgen Schäfer

Der Gewerbepark würde neben der Autobahn entstehen.Foto: Jean-Luc Jacques
Der Gewerbepark würde neben der Autobahn entstehen. Foto: Jean-Luc Jacques

Fünf von sechs Gemeinden des Verbands Raum Bad Boll sind für ein Gewerbegebiet an der A 8 bei Aichelberg - die größte macht nicht mit. Bad Boll will sich nicht an einem Zweckverband beteiligen, der die Dinge steuern würde, wenn’s mal losgehen soll. Die Kurgemeinde lockt auch nicht die Hoffnung, auf lange Sicht von Gewerbesteuer zu profitieren. Eine Mehrheit von acht gegen sechs Räten war dagegen.

Es war eine leidenschaftliche Debatte. Dorothee Kraus-Prause (Grüne) zog in Zweifel, dass in allen Verbandsgemeinden Bedarf an Gewerbebauland existiere. In Bad Boll wüsste sie keinen Betrieb, in Hattenhofen seien Betriebe eher in einer schwierigen Situation. Bei Schuler, Stama und anderswo würden Flächen frei, in Aichelberg selber gebe es ja auch noch Gewerbeflächen. Im Land baue die Autoindustrie Arbeitsplätze zu Tausenden ab. Innovation sei gefragt, so Kraus-Prause. Die werde sich im Moment eher im Homeoffice entwickeln, im Bestand und auf Brachen, die neu belebt werden könnten. Ihre Kritik: Wolle man landwirtschaftliche Fläche bei Aichelberg, die auch der Artenvielfalt diene, für eine ungewisse Zukunft aufgeben? „Wir versuchen, mit Rezepten von gestern die Probleme von morgen zu lösen.“

In Aichelberg selber gebe es noch 2000 Quadratmeter Gewerbefläche. Dieser Tage treffe der Gemeinderat dazu Entscheidungen, und möglicherweise sei sie dann weg, erklärte Aichelbergs Bürgermeister Martin Eisele. Für ein großes Gewerbegebiet an der A 8 hätten namhafte Firmen angeklopft, er habe eine dicken Ordner mit Anfragen. „Da scharren welche mit den Hufen.“

Dr. Henning Schindewolf (UWV) glaubt nicht, dass bei Aichelberg ein modellhaftes Gewerbegebiet nach Nachhaltigkeitskriterien, städtebaulich kompakt und vielleicht mit Campus-Charakter, dazu „sozial gebaut“, entstehen kann, wie es Planer Thomas Sippel skizzierte. Schindewolf: „Es fehlt häufig das Geld für das, was erstrebenswert ist. Ich glaube die märchenhaft schöne Welt nicht. Firmen können die Optik bestimmen.“

Für Florian Junge (Grüne) ist es ein Luftschloss, viel zu unkonkret. Und dann, wie passe das zusammen: Zukunftstechnologie und gleichzeitig Logistik, ein Ameisenhaufen, hohes Verkehrsaufkommen, „all diese Belastungen, wollen wir das haben bei der Naherholung?“

Das Wasser im Wein, räumt Sippel ein, sei die Logistikbranche, die man ansiedeln müsse. Das ist die Forderung der Region, ohne die nichts geht. Aber: Man könne auch an Logistikbetriebe Forderungen zur Gestaltung stellen. „Das ist erfüllbar. Die boomen.“ Es sei auch so: Man sei ja auf der Suche nach guten Beispielen in Deutschland gewesen und habe nichts gefunden. „Deswegen wollen wir jetzt ein Modellbeispiel kreieren.“

Sven Koos (Grüne) verwies auf das Beispiel Schwieberdingen: Dort wolle die Industrie den

Standort ausbauen und nicht irgendwo hinziehen. Der Wirtschaftsförderer der Region habe gesagt, das Angebot an Gewerbeflächen im Landkreis sei größer als der Bedarf. Michael Baron (CDU) widersprach: Der Wirtschaftsförderer habe auch gesagt, der Kreis brauche Wirtschaftsfläche. Bürgermeister Hans-Rudi Bührle hakte ein. Verfügbar sei im Landkreis nur wenig, und der Kreis habe wirtschaftliche Probleme. Es dauere sehr lange, Neues zu entwickeln.

Dorothee Kraus-Prause verwies auf den Charakter von Bad Boll. Man habe das Logo „Gesundheit und Kultur“, man sei nicht der große Wirtschaftsstandort. Man habe auch nicht die großen Arbeitslosenzahlen. Es sei nicht so, dass man etwas erschließen müsse, um Leuten vor Ort Arbeit zu bringen.

Für Lars Zieger (CDU) ist das Projekt eine gewaltige Chance. Der Raum Stuttgart sei ein Dinosaurier mit altem Maschinenbau. Bad Boll könne sich beim Gewerbegebiet fit für die Zukunft machen. Die Finanzen würden klammer, wer wisse, ob man sich das Freibad und die Bücherei noch leisten könne. Und: „Wir sprechen nicht über eine Auenlandschaft.“

Neu in der Diskussion ist ein Bahnanschluss. Man könnte, so Baron, auf der Bahntrasse neben der Autobahn auch Güterverkehr abwickeln. Schindewolf glaubt das nicht. Bürgermeister Hans-Rudi Bührle führt die Boller Bahn ins Feld, die jetzt neu diskutiert wird: „Sie gibt diesem Projekt auch einen Schub.“