Weilheim und Umgebung

Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht

Gastronomie Immer mehr Landgasthöfe schließen die Wirtshaustür für immer. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft fehlen geeignete Nachfolger oder das Geld für Umbauten. Doch es gibt auch positive Beispiele. Von Inge Czemmel

In der „Sonne“ in Pliensbach geht es immer rund. Foto: Jean-Luc Jacques
In der „Sonne“ in Pliensbach geht es immer rund. Foto: Jean-Luc Jacques

Es ist 12 Uhr mittags: Das Gasthaus Sonne in „Bleschba“, zu Deutsch Pliensbach, ist proppenvoll. In der urigen alteingesessenen Vesperwirtschaft lassen sich viele das Tagesessen schmecken. Heute gibt es Leberknödel. Wahlweise in selbstverständlich eigens gekochter „guter Fleischbrühe“ oder mit Sauerkraut. Wer die drei Riesenknödel schafft, ist ein guter Esser: „Halbe Portionen reichen, und dann kann man immer noch was mitnehmen“, weiß Horst Bäuerle, der jeden Mittag in der Sonne isst. Er verrät: „Hier ist es mittags voll und abends noch voller.“ Nicht nur für Bäuerle ist die Sonne wie eine zweite Wohnstube.

 

Auf den Tisch kommt Deftiges. Foto: Jean-Luc Jacques
Auf den Tisch kommt Deftiges. Foto: Jean-Luc Jacques

Der Familienbetrieb der Schrades hat viele Stammgäste aus nah und fern. Sie alle wissen die ehrliche Hausmannkost und vor allem die Schlachtplatte, die es einmal im Monat gibt, zu schätzen. Doch nicht in allen Landgasthöfen scheint es so gut zu laufen wie in der Sonne. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga in Baden-Württemberg hat festgestellt, dass deren Zahl in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen ist und deshalb finanzielle Unterstützung für die „Dorfgastronomie“ gefordert.

Die Beharrlichkeit des Verbandes scheint sich nun auszuzahlen. „Kultusministerin Susanne Eisenmann versprach bei der Delegiertentagung in Heilbronn 20 Millionen Euro, die in den Jahren 2020 und 2021 als „Sonderprogramm für Gasthäuser“ ausgezahlt werden sollen“, freut sich Daniel Ohl, Sprecher des Südwest-Ablegers des Dehoga. Das Geld soll aus dem Topf des „Entwicklungsprogramms ländlicher Raum“ kommen und ist für Investitionen in die Dorfgastronomie gedacht, die ein Faktor für Lebensqualität und soziales Miteinander, aber auch ein unverzichtbarer Teil der touristischen Infrastruktur ist.

Doch warum gibt es immer weniger Dorfgasthäuser und Landgasthöfe? Der Dehoga nennt den Strukturwandel im ländlichen Raum als Grund. Dörfer, die früher Lebensmittelpunkt und Arbeitsort waren, hätten zunehmend den Charakter von „Schlafdörfern“. Zudem hätten sich die Freizeitgewohnheiten und die Stammtischkultur verändert. Salopp formuliert: Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht mehr“, fasst Ohl zusammen. „Die Dorfgastronomie braucht heute einen deutlich größeren Einzugsbereich, und nur wer zum ,Ziel‘ wird, hat Perspektiven. Das Angebot muss also so originell und attraktiv sein, dass sich ein weiterer Anreiseweg lohnt.“
Damit geht Alexander Münchow von der NGG, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, konform. Er ist jedoch auch der Meinung, dass mehr in die Infrastruktur des ländlichen Raumes investiert werden müsse und nennt als ein Beispiel von vielen den Nahverkehr.
Ein weiterer Knackpunkt ist laut Dehoga, dass in den nächsten fünf Jahren im Ländle etwa 4000 inhabergeführte gastgewerbliche Betriebe einen Nachfolger brauchen. „Das ist die Sollbruchstelle, an der heute viele Traditionsbetriebe scheitern“, weiß Ohl. Es sei nicht so, dass niemand übernehmen wolle, aber mögliche Nachfolger sähen sich häufig einer betagten Ausstattung und neuen Auflagen bei Pächterwechsel und damit einem hohen Investitionsbedarf gegenüber. Willigen Nachfolgern und nach vorne schauenden Gastronomen mit Eigenkapitalschwäche unter die Arme zu greifen, sie bei Modernisierungen zu unterstützen und zu stabilisieren – dazu könnten die Fördermittel, deren Verwendungsdetails noch erarbeitet werden müssen, beitragen.
Für Alexander Münchow von der NGG, der sich über die in Aussicht gestellte finanzielle Unterstützung ebenfalls freut, sind die Details die entscheidende Sache. Er wünscht sich, dass ein Teil der Mittel auch für Personalfindung und -bindung verwendet wird und nennt zudem die Wichtigkeit eines attraktiven Marketings.
Für das komplexe Phänomen des „Dorfgastronomiesterbens gibt es weitere Faktoren, die man auch „schwierige Rahmenbedingungen“ nennen könnte. „In Familienbetrieben erlebt die junge Generation eine oft sehr hohe Arbeitsbelastung“, so Ohl. „Man muss sich ja nicht nur um Küche und Gäste kümmern, sondern ist auch durch Bürokratie und Dokumentationspflichten belastet. In der Abwägung zwischen Risiken und Chancen entscheiden sich dann viele gegen die Selbstständigkeit.“ Zudem sei Mitarbeitermangel, der durch rechtliche Einschränkungen beim Mitarbeitereinsatz noch verschärft werde, das aktuell meistgenannte Problem der Betriebe.
Das Mitarbeiterproblem hält Alexander Münchow zum Teil für hausgemacht. „Ein gutes Einkommen, attraktive Arbeitszeiten und -bedingungen zu schaffen wären ein erster Schritt“, meint er. „Aus der Perspektive junger Leute muss der Job auf dem Land mindestens so attraktiv sein wie der in der Stadt“, weiß er. „Häufig wird nicht einmal der im Tarifvertrag stehende Minimallohn bezahlt.“