Weilheim und Umgebung

„Das prägt dich ein Leben lang“

Tradition Tobias Maier geht auf die Walz. Drei Jahre und einen Tag lang. Er reist ohne Geld und hat nur das Allernötigste in seinem Bündel. Von Sabine Ackermann

Die dreijährige Walz der Zimmerleute beginnt mit einer Kletteraktion über das heimatliche Ortsschild. Aufgefangen wird der Neuli
Die dreijährige Walz der Zimmerleute beginnt mit einer Kletteraktion über das heimatliche Ortsschild. Aufgefangen wird der Neuling dann von einer Gruppe erfahrener Gesellen. Foto: privat

Gut gelaunt sitzt Tobias Maier auf dem Ortsschild. Hier endet Albershausen. Gleich wird sich der 24-Jährige direkt in die Arme einer Handvoll Gesellen auf der Walz fallen lassen. Erfahrene Zimmerleute in traditioneller Kluft, abgeschabt und ausgebleicht und längst nicht so neu wie jene, in der Tobias Maier fortan drei Jahre und einen Tag lang stecken wird.

Foto: Sabine Ackermann

Alle sind sie irgendwo in Deutschland über ein Ortsschild geklettert, haben in der Nähe ein Loch gebuddelt, eine Schnapsflasche sowie ganz persönliche Dinge dort versteckt. Einen Kreis gebildet, sich in den Arm genommen und unter Tränen verabschiedet. Nach fast sechs Stunden am Ortsschild beginnt auch für Tobias Maier die Reise. Er zieht los, hinaus in die Welt, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Heute hier, morgen dort“, ganz nach Hannes Waders Lied, ist dieser Brauch wieder im Kommen, wird die Tradition von der Jugend wieder hochgehalten. Exakt 1 096 Tage - falls er vorher nicht aufgibt - darf er nicht zurückkommen, muss er als Freiheitsbruder des Freiheitsschachtes unterwegs sein. Aber warum tut man sich das heute noch an? Ohne Smartphone, Laptop, ohne Geld in der Tasche und häufig auch ohne Schlafplatz oder Essen umherzuziehen, selbstverständlich in Einhaltung der Bannmeile. „Das heißt, man darf sich seiner Familie bis auf 50 Kilometer nicht nähern“, weiß Daniel Burckhardt, der als erfahrener „Altgeselle“ den Neuen in den ersten drei Monaten begleiten und einlernen wird. Um überhaupt losziehen zu dürfen, muss man einen Gesellenbrief vorweisen sowie schuldenfrei, unverheiratet und kinderlos sein. Wichtige Voraussetzungen, um nicht die „Biege zu machen“.

Freiheit und Rituale

Die Walz, das bedeutet einerseits Freiheit, anderseits aber auch große Entbehrungen, harte Gesetze und Rituale, wie beispielsweise die traditionelle Kleidung und das Ohrring nageln. Die Walzbrüder dürfen in der Öffentlichkeit ausschließlich ihre Kluft tragen. Nur eine, die kompletten drei Jahre lang.

Lange hat Tobias Maier darauf hingearbeitet, als Ziele setzt er sich den Meisterbrief sowie die Selbstständigkeit. „Dass ich mal auf die Walz gehe, war mir eigentlich schnell klar“, betont der 24-Jährige, der obendrein eine abgeschlossene Ausbildung als Metzger hat.

Animiert von seinem Namensvetter und besten Kumpel Tobias, der seit drei Monaten auf der Walz sei, war sein Vater Hermann Maier dafür sofort Feuer und Flamme. „Das prägt dich ein Leben lang. Das hätte ich auch gerne gemacht, doch zu meiner Zeit war das nicht so populär.“ Richtig schwer ums Herz, ist es natürlich den wichtigsten Frauen in seiner Familie. So wie Regina Heinecke. Auch wenn sie nicht seine leibliche Mutter ist, macht sie sich Sorgen. „Doch er ist glücklich dabei und wird auf allen Ebenen etwas lernen. Das ist gut für die Charakterbildung“, sagt sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und dann ist da natürlich noch seine Freundin Annabell Rieker, die allerdings schon kurz nach dem Kennenlernen „vorgewarnt“ wurde. „Das wird hart. Aber warum sollte ich ihm im Wege stehen, wenn ich doch weiß, dass dies sein Lebenstraum ist“, zeigt die 20-jährige Industriekauffrau aus Schlat Verständnis und freut sich auf ganz viel altmodische Post. Denn schreiben und ein Anruf von einem fremden Telefon aus, wie beispielsweise das des Arbeitgebers auf Zeit, sei erlaubt, weiß Daniel Burckhardt zu berichten.