Weilheim und Umgebung
Der Lohn für die Arbeit: 102 Oechsle

Serie Ein Jahr lang hat der Teckbote den Hobby-Weingärtner Rainer Bauer begleitet. Der Höhepunkt ist die Weinlese – mit einem Spitzenergebnis. Von Bianca Lütz-Holoch

Immer höher türmen sich die Berge aus prallen, dunkelblauen Spätburgunder-Trauben in dem grünen Zuber auf. „Etwa drei Stunden dauert es, bis der ganze Weinberg abgeerntet ist“, sagt Rainer Bauer. Einer alleine schafft das allerdings nicht. Bei der Weinlese bekommt der Weilheimer Hobby-Wengerter deshalb Unterstützung von Familie und Freunden. Sieben Frauen und ein Mann scheiden an diesem Vormittag die Trauben von den Reben, drei so genannte Schlepper ziehen die mit Trauben gefüllten Bottiche den Berg hinunter und kippen deren Inhalt in die beiden riesigen, grünen Zuber auf dem Autoanhänger. Es wird gelacht, geplaudert - und geschwitzt. „In kurzen Hosen haben wir noch nie gelesen“, sagt Rainer Bauer. Andrea Kunfalvi, seit 30 Jahren Lesehelferin, hat schon ganz anderes erlebt: „Einmal habe ich gelesen, als Schnee auf den Trauben lag - mit frostigen Fingern“, erinnert sie sich.

 

 

 

 

Und aus noch einem Grund geht die Lese in diesem Jahr besonders problemlos über die Bühne. „Die Qualität der Trauben ist so gut, dass man nichts rausschneiden muss“, freut sich Rainer Bauer. Deshalb hat er auch die Anweisung gegeben: „Alles in den Eimer, was blau ist.“ Im vergangenen Jahr war das ganz anders: Faulige und von Insekten angefressene Beeren mussten vorm Ernten mühsam entfernt werden.

„In kurzen Hosen haben wir noch nie gelesen."
Rainer Bauer
Der Hobby-Wengerter über das außergewöhnliche Wetter in diesem Jahr

Den Lese-Termin bestimmen die Weingärtner nicht selbst: „Er wird von der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck vorgegeben“, so Bauer. An diesem Tag ist der Spätburgunder dran - eine der letzen Sorten, die gelesen werden. Jahr für Jahr wird aus den blauen Weilheimer Spätburgunder-Beeren der rote Bertold-Wein gekeltert. „Da sind dann auch wirklich nur Trauben von der Limburg drin“, betont er.

Gute Ernte: Rainer Bauer kippt einen Eimer voll Spätburgunder-Trauben in den Transportzuber. In der Neuffener Kelter saugt er di
Gute Ernte: Rainer Bauer kippt einen Eimer voll Spätburgunder-Trauben in den Transportzuber. In der Neuffener Kelter saugt er die Früchte ein. Christine Anhut entnimmt Maischeproben.Fotos: Carsten Riedl

Um die Mittagszeit sind die Reben abgeerntet und die grünen Zuber voll. Am Himmel brauen sich die ersten Wolken zusammen. Zeit für die fünf Wengerter, die an der Limburg Spätburgunder anbauen, sich zu einer Autokolonne zu formieren und Richtung Neuffener Kelter zu fahren.

Dort wartet Christine Anhut, Geschäftsführerin der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck. Sie überwacht die Anlieferung der Trauben, notiert bei jedem Weinbauern die Menge und misst das Mostgewicht der Maische. „Dieses Jahr gibt es eine Menge schöne Trauben - mit vielen Oechsle“, lobt sie.

Es dauert nur kurz, dann sind die Weilheimer an der Reihe. Rainer Bauer rangiert sein Fahrzeuggespann unter das Vordach der Kelter und steigt auf den Anhänger. Über ihm baumelt ein Gerät, das wie ein riesiges Staubsauger-Rohr aussieht. Der Weilheimer Hobby-Wengerter greift zu, taucht das Metallrohr in den Bottich und beginnt, die Früchte mit rhythmischen Bewegungen einzusaugen. Christine Anhut schaut aus dem Inneren der Kelter zu. Dorthin werden die Trauben durch das Rohr befördert. „Als erstes werden sie von den Stielen befreit, dann landen sie in der Waage“, sagt die Geschäftsführerin der Weingärtnergenossenschaft und deutet auf ein siloartiges Metallgefäß.

Immer wieder wirft Christine Anhut einen Blick auf das Display. „Das Maximum sind 1500 Kilo“, sagt sie. Ganz so weit geht die Anzeige bei Rainer Bauers Fuhre nicht nach oben. Nach 1309 Kilogramm ist Schluss. „Das ist die gleiche Menge, die ich auch im letzten Jahr hatte“, stellt der Weinbauer fest.

Kaum ist der Wiegevorgang abgeschlossen, geht die Siloöffnung auf. Schwallartig strömt die schwarzblaue Beerenmasse heraus und sammelt sich in den großen Metallbehälter darunter. Von dort aus wird die Maische in Tanks gepumpt. Die Weilheimer bekommen einen eigenen. Ausgebaut wird der Wein übrigens bei der Weingärtner-Zentralgenossenschaft in Möglingen. Die roten Trauben werden als Maische dorthin geliefert, die weißen werden zuvor in Neuffen zu Saft gepresst.

Dann wird es spannend: Christine Anhut entnimmt eine kleine Probe der Maische und tropft sie aufs Refraktometer. Damit bestimmt sie das Mostgewicht, also den Zuckergehalt des Safts, der in Oechslegraden gemessen wird. „102“, notiert die Geschäftsführerin der Genossenschaft auf dem Zettel - ein Spitzenwert. Für Rainer Bauer ist das ein Moment großen Stolzes: „So viele Oechsle habe ich noch nie erreicht“, sagt er und strahlt. „Das ist ein schöner Lohn für ein Jahr Arbeit.“

Ähnlich gut ergeht es den anderen vier Limburg-Wengertern. Auch sie erzielen fast alle über 100 Oechsle­. Für Werner Kauderer, den Vorsitzenden der Weilheimer Weinbergbesitzer, steht fest: „Der Bertoldwein 2018 wird eine Spätlese“. Diese Bezeichnung wird auch auf dem Etikett stehen. Sie zeugt nicht nur von der besonderen Qualität der Trauben. „Es darf dann auch kein Zucker zugesetzt werden“, so Kauderer.

Dass die Oechslegrade solche Dimensionen erreichen, liegt an den hervorragende Bedingungen in diesem Jahr, aber auch an der Art, wie die Reben erzogen und gepflegt werden. „Qualität statt Quantität“ heißt die Devise der Genossenschaft. „Wir dürfen höchstens 120 Kilogramm Ertrag pro Ar abliefern“, so Rainer Bauer. Im Laufe des Reifungsprozesses dezimieren die Wengerter immer wieder die Traubenmenge, um die Qualität der verbleibenden Früchte zu erhöhen.

Für die Weingärtner kehrt nun erst einmal Ruhe ein - allerdings nicht für lange. „Nach der Weinlese ist vor der Weinlese“, formuliert es Rainer Bauer. Sobald das Laub gefallen ist, beginnt wieder ein neues Jahr im Weinberg.