Weilheim und Umgebung

Der Tierflüsterer sagt Au revoir

Erziehungshilfe Nach 15 Jahren auf dem Michaelshof geht Pierrot van Haesebroeck in den Ruhestand. Nun wird eine neue pädagogische Fachkraft mit „tierischen“ Fähigkeiten gesucht. Von Bianca Lütz-Holoch

Die Arbeit mit Tieren und Jugendlichen ist sein Metier: Pierrot van Haesebroeck mit seinen Schützlingen.Fotos: Jean-Luc Jacques
Die Arbeit mit Tieren und Jugendlichen ist sein Metier: Pierrot van Haesebroeck mit seinen Schützlingen. Fotos: Jean-Luc Jacques

Mit kräftigen Bürstenstrichen fährt Fabia

Pierre von Haesebroeck, der Heilpädagoge und Tierflüsterer vom Michaelshof geht in Ruhestand
Auf dem Michaelshof. Foto: Jean-Luc Jacques

n über Merlins goldenes Fell. Aaron hält das Pferd am Strick fest und streichelt vorsichtig seine weiche Nase. „Und jetzt legt ihr den Lamas noch die Halfter an“, sagt Heilpädagoge Pierrot van Haesebroeck. Geschickt zäumen die beiden Jugendlichen die Tiere auf, dann geht es auf in Richtung Koppel.

Die Arbeit mit den Tieren steht bei den Kindern und Jugendlichen der Erziehungshilfeeinrichtung Michaelshof in Hepsisau hoch im Kurs. „Fast alle wollen herkommen“, erzählt Pierrot van Haesebroeck mit Akzent und schmunzelt zufrieden. Seit 15 Jahren kümmert sich der gebürtige Franzose um Kinder und Tiere auf dem Michaelshof. Anfangs war er noch zur Hälfte für die Wohngruppen zuständig, dann wechselte er komplett auf die Jugendfarm, die nur ein paar Schritte entfernt von den Wohnhäusern liegt.

Schon früh morgens begleitet er die Zweierteams, die Stalldienst haben, zu den Ponys Merlin und Mickey und den Lamas Ruby und Griselle. Danach arbeitet er einzeln mit den Jugendlichen. Nachmittags gibt van Haesebroeck Reitunterricht auf dem kleinen Platz am Hof oder im Wald und bietet Lama-Spaziergänge an.

„Bei den Tieren kommen die Kinder zur Ruhe“, weiß Pierrot van Haesebroeck. Gerade während der Einzelstunden, wenn die Jungen und Mädchen mal nicht in der Gruppe sind, sondern sich alleine um die Tiere kümmern können, fällt die Spannung von ihnen ab. Wichtig ist aus Sicht des Pädagogen auch der Aufenthalt in der Natur: „Wir gehen das ganze Jahr über in den Wald - egal ob im Sommer oder im Winter.“ Nicht erst einmal hat van Haesebroeck erlebt, dass zappelige, unkonzentrierte Heranwachsende ganz ruhig werden und ihre ganze Aufmerksamkeit den Vierbeinern und der Umgebung schenken.

Heute haben Fabian und Aaron Stalldienst. Sie stellen frisches Wasser bereit, kratzen Merlin und Mickey die Hufe aus und räumen den Mist weg: „Zu den Tieren kann man Vertrauen haben. Sie lenken einen ab, wenn man etwas Schlimmes erlebt hat“. sagt Aaron. Das sieht auch Fabian so: „Sie spüren, wenn man traurig ist“, weiß der 14-Jährige. Als er vor zwei Jahren ganz neu auf den Michaelshof kam, fand er bei den Vierbeinern Trost und Gesellschaft.

Pierre von Haesebroeck, der Heilpädagoge und Tierflüsterer vom Michaelshof geht in Ruhestand
Auf dem Michaelshof. Foto: Jean-Luc Jacques

Auch Pierrot van Haesebroeck weiß, wie es ist, das Zuhause zu verlassen, und an einem fremden Ort neu anzufangen. Zwei Mal hat er das schon selbst erlebt. Eigentlich ein „Sch‘ti“ - wie die Bewohner Nordfrankreichs genannt werden -, ließ er vor 40 Jahren seine Heimat und seinen Job in einer Fabrik hinter sich und zog in die Pyrenäen. „Dort war ich 20 Jahre lang Hirte in den Bergen“, erzählt der 65-Jährige. 800 Kühe und 25 Pferde hatte er unter seinen Fittichen. Damals erlebte er auch, wie sinnstiftend und heilsam der Umgang mit Tieren sein kann.

20 Jahre später wagte er einen weiteren Neustart und zog nach Deutschland - der Liebe wegen. Als er gerade seine heilpädagogische Ausbildung auf der Ziegelhütte abgeschlossen hatte, erfuhr er, dass der Michaelshof für seine frisch gegründete Jugendfarmeinen Pädagogen suchte, der mit Kindern und Tieren gleichermaßen kann - ein Traumjob für Pierrot van Haesebroeck.

Nun jedoch geht der „Tierflüsterer“ in den Ruhestand. „Ich ziehe wieder in die Pyrenäen“, sagt van Haesebroeck. Dort hat er auch eine Tochter und Enkelkinder.

Für den Michaelshof bedeutet das einen Umbruch. „Pierrot hatte eine ganz besondere Art, mit Kindern und Tieren umzugehen“, sagt Einrichtungsleiter Jens Binder-Frisch. Ihn eins zu eins ersetzen - das geht nicht. „Für uns ist das ein guter Zeitpunkt, um die Arbeit auf der Jugendfarm auf neue Beine zu stellen“, so Binder-Frisch. Dazu braucht es einen oder mehrere neue pädagogische Mitarbeiter, die gleichermaßen ein Händchen für Kinder und Tiere haben. „Wir wünschen uns jemanden, der professionelles heilpädagogisches Reiten oder tiergestützte Pädagogik anbieten kann.“ Teilzeitkräfte sind kein Problem. Auch möchte Jens Binder-Frisch die Jugendlichen noch stärker in die Versorgung der Vierbeiner einbinden. Auch der Tierbestand könnte wachsen: „Vor allem im Kleintierbereich gibt es noch Kapazitäten.“

Jugendhilfeeinrichtung mit Tierfarm

Der Michaelshof ist eine Einrichtung der stationären Jugendhilfe im Kreis Esslingen und wird vom Verein Michaelshof Ziegelhütte getragen. Die Schule dort wird als Freie Schule der Erziehungshilfe geführt.

Rund 50 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 15 Jahren leben auf dem Michaelshof in sieben Wohngruppen. In der Schule vor Ort können sie ihren Förder-, Haupt- oder Werkrealschulabschluss machen und an andere Schulen wechseln.

Die Anthroposophie dient der Einrichtung seit jeher als Grundlage. Ziel des Michaelshofs ist es, Kindern und Jugendlichen aus schwierigen Situationen eine neue Perspektive zu bieten.

Der Aktivbereich mit Gärtnerei, Tierfarm und Kunsttherapie bildet neben Wohnen und Schule eine dritte Säule.

Neue Mitarbeiter mit pädagogischer Ausbildung werden für tiergestützte Therapie oder Reittherapie gesucht. Interessierte können sich unter der Nummer 0 70 23/1 07 77 an Jens Binder-Frisch wenden.bil