Weilheim und Umgebung
Die erstaunliche Geschichte vom Turmbau zu Holzmaden

Vortrag Gemeindepfarrer Andras Taut erinnert mit viel Humor und Detailwissen an den langwierigen Neubau der Stephanuskirche vor 50 Jahren. Von Thomas Zapp

Zu ihrer Stephanus-Kirche haben die Holzmadener ein besonderes Verhältnis, sei es die alte oder die neue, die mittlerweile auch schon  seit 50 Jahren im Zentrum der Gemeinde steht. „Ich gehöre zu den letzten Konfirmanden der alten Kirche“, sagt Gemeinderat Rainer Stephan. Damals im Jahr 1969 wurden die Glocken im Turm noch per Hand geläutet, und die kleine flog schon mal aus dem Schallloch, wenn man zu fest dran zog.

An solchen und anderen Anekdoten erfreuen sich knapp 50 Gäste beim Vortrag des Gemeindepfarrers Andreas Taut „Pläne, Pech und Politikpoker – oder: Warum es zehn Jahre dauerte, bis die Holzmadener ihre neue Kirche hatten.“

 

„Dass die alte Kirche unter Denkmalschutz stand, spielte keine Rolle.“
Pfarrer Andreas Taut
über den damaligen Stellenwert alter Gemäuer

 

Da erfährt man auch, warum der neue Kirchturm an allen vier Seiten eine Uhr hat. Ursprünglich waren nur drei vorgesehen, die Ostseite sollte kein Ziffernblatt bekommen. Aber an der Seite wohnte Zimmermann Fritz Bezler und der wollte die Turmuhr sehen. Also spendete er Striche und Zeiger einfach. 

Solche und andere Anekdoten hat Pfarrer Taut akribisch aus Archiven und Erzählungen zusammengetragen und sorgt in seinem launigen Vortrag immer wieder für Lacher, wenn es um den Kirchturm und dessen Rolle beim Neubau von Kirche und Gemeindehaus geht. Es begann mit dem späteren Gründer des heutigen Weltkonzerns Festo, Gottlieb Stoll: Der Holzmadener stiftete 1950 die „Stoll-Glocke“, die bis heute in der Urwelt-Gemeinde läutet. Ende der 50er wollte er eine elektrische Läute-Anläge installieren, und da stellte sich die Frage, ob der alte Turm aus dem Jahr 1669 das überhaupt aushalten würde. 

Ein Gutachten fiel ernüchternd aus: Umbau oder Erhöhung, besser noch Abriss und Neubau, lautete der Rat der Experten und überzeugte auch den Oberkirchenrat. Die Grundkonzeption der Kirche sei im übrigen so unbefriedigend, dass man sie auch durch eine Renovierung nicht verbessern könnte, also auch die sollte neu gebaut werden. Auf einer Projektion zeigt Andreas Taut das alte Gotteshaus mit einer halsbrecherisch schmalen Treppe zur Kanzel und eng stehende Bänke in einem gedrungenen Kirchenschiff. Ein Brief des Unternehmers Stoll an den damaligen Pfarrer Günther Wais ließ keine Zweifel aufkommen: „Drücken Sie es durch!“ 

Zur Umsetzung gab es dann viele Ideen, darunter diese: Die Kirche in den Pfarrgarten neben das Rathaus zu bauen und den alten Turm auf der anderen Straßenseite als „Campanile“ stehen zu lassen. Bekanntermaßen ist es so nicht gekommen, die Kirche blieb an ihrem alten Platz, bis dahin hatte es einige hitzige Diskussion im Gemeinderat und im Kirchengemeinderat gegeben. Bürgermeister Otto Vogt war ein Gegner der Pfarrgarte-Lösung. Ihm  schwebte vielmehr  eine Vergrößerung des Rathauses vor oder wie es Dekan Hermann Gölz in einem Bericht an den Oberkirchenrat formulierte: „Ein Wirtschaftswunderrathausplan, der mit dem Umzug des Kirchengebäudes in das Hintertreffen geraten würde.“ 

Das Schulhaus muss weichen

Die Kirche blieb an ihrem Platz, sollte aber ein Gemeindehaus bekommen. Dafür musste allerdings das alte Schulhaus weichen. Doch bis es soweit war, musste erste der neue Schulstandort auf dem Brühl fertig gestellt sei. Auch gab es Streit um den 36 Quadratmeter großen „Abortpatz“ der Schule. Der Unternehmer Gotthilf Fischer erhob auf diesen Grund Anspruch, da dieser seinem Großvater gehört hatte. Nach viel Hin und Her – wieder einmal – wurde man sich einig und Fischers Natursteinwerk durfte sich noch über den Auftrag für die Fertigung der Schieferplatten an Altar und Kanzel freuen.

Die Pläne waren 1968 weitgehend fertig, aber noch immer ging man davon aus, nur den oberen Teil des Turms mit der baufälligen Glockenstube und den Dachstuhl zu ersetzen. Doch es blieb ein Streitpunkt, Bürgermeister Otto Vogt wollte den Turm weghaben. „Man feilschte im Sommer 1969 wie auf einem Basar über die Aufteilung der Turmkosten.“ ​​​​​​Am Ende beteiligte sich die bürgerliche Gemeinde mit etwas mehr als die Hälfte an den Gesamtkosten von 100 000 Mark.​

 Im Jahr 1972 wurde er t atsächlich fertiggestellt und bekam vier Glocken: die neue große As-Glocke, die auf „B“ gestimmte Stoll-Glocke von 1950, die historische Des-Glocke von 1659 und die kleine neue Es-Glocke: Sie erfreuen die Gemeinde seitdem mit ihrem „Te-Deum“-Melodie. Und schließlich bekam er 2005 sogar das alte Turmkreuz wieder: Mit dem Hahn und seinen paar Dellen, die von Einschüssen der amerikanischen Soldaten stammen. Es bleibt sicher nicht die letzte Anekdote der bewegten Kirchengeschichte.