Weilheim und Umgebung

Ein Dorffürst wird zu selbstherrlich

Vortrag Georg Wendt berichtet im Weilheimer Jubiläumsjahr über „Die Affäre Schultheiss“ und damit über einen Skandal, der sich 1575 nur durch eine Amtsenthebung aus der Welt schaffen ließ. Von Andreas Volz

Kirche und Rathaus kommen heute weitaus besser zurecht als vor 450 Jahren: Im Anschluss an den Vortrag von Georg Wendt in der Pe
Kirche und Rathaus kommen heute weitaus besser zurecht als vor 450 Jahren: Im Anschluss an den Vortrag von Georg Wendt in der Peterskirche (unten) hatte die Stadt Weilheim zum Umtrunk ins Rathaus eingeladen (oben). Fotos: Markus Brändli

Die Affäre Schultheiss hält alles, was der Titel verspricht. Der Begriff „Schultheiß“ ist allerdings doppeldeutig. Zum einen geht es um einen Mann dieses Namens: Samuel Schultheiss. Zum anderen hat er vor 450 Jahren das Amt des Weilheimer Schultheißen versehen, auch wenn es damals Amtmann oder - leicht verkürzt - Amann hieß. Skandalös war die Geschichte auf jeden Fall, obwohl sich heute nicht mehr klären lässt, wer den größeren Anteil daran hat, dass sie sich um 1574/75 zum Skandal auswuchs.

War der Amtmann der alleinige Bösewicht? Oder hat er sich lediglich durch seine selbstherrliche Art zu viele Gegner geschaffen? Gegner wie Pfarrer Johannes Scholl, der im Oktober 1574 in seiner „Skandalpredigt“ gegen den Amann von der Kanzel wetterte? War es also eine Art Kampf zwischen Don Camillo und Peppone?

Die Geschichte „ausgegraben“ hat Dr. Georg Wendt, Stadtarchivar in Aalen. In der Weilheimer Peterskirche berichtete er zum Abschluss der Jubiläumsvortragsreihe, wie Weilheim schon lange vor Schultheiss und Scholl endgültig an die Württemberger fiel und somit an Bedeutung verlor, zugunsten der Nachbarstadt Kirchheim. „Der Weilheimer Amtmann sah sich dadurch herabgestuft zu einem Dorfschultheißen“.

Die Kirchheimer dagegen setzten ihre wachsende Bedeutung immer selbstbewusster in Szene - auch baulich - und baten dafür die Umlandgemeinden zur Kasse. Weil die sich weigerten, klagte der Kirchheimer Vogt bereits in einem Schreiben von 1534 über „die purn“, also die groben Bauern „uff dem lannd“. Dabei hat sich 40 Jahre später Weilheims Amtmann Samuel Schult­heiss alles andere als bäuerisch verhalten.

Im Gegenteil: Er spielte den großen Herrn, als er Anfang der 1570er-Jahre seine Tochter mit „Helffer“ Löffler, dem Diakon, verheiratete: In Zeiten von Missernten, Teuerung, Hunger und Epidemien ließ Schultheiss die Hochzeit groß feiern - doppelt so groß wie es ihm angesichts der Notzeiten von oben genehmigt worden war. Georg Wendt beschreibt den Amtmann denn auch als „machtverliebten Dorffürsten“.

Pfarrer Johannes Scholl dürfte von der eigenen Bedeutung in ähnlichem Maße überzeugt gewesen sein, und so gerieten die beiden Herren spätestens 1574 aneinander. Doch war das Beziehungsgeflecht noch viel komplizierter: Dia­kon Löffler war dienstlich dem Pfarrer untergeordnet, familiär aber dem Amtmann verbunden. Als er 1573 - nicht allzu lang nach der Hochzeit - verstarb, hinterließ er statt ordentlicher Verhältnisse auch noch einen Haufen Schulden. Der Schwiegervater erklärte sich für nicht zuständig - und machte sich so die Gläubiger zu Gegnern.

Die Sache geht an die Kirchheimer Obervogtei - und von dort an den herzoglichen Oberrat. Peinliche Untersuchungen gegen den Amtmann werden eingeleitet. Der wiederum vertraut auf die Hilfe seines Schwagers, des Untervogts Johannes Probst. - Die Geschichte hätte das Zeug für eine Seifen­oper, denn der Untervogt liegt im ständigen Clinch mit seinem Vorgesetzten, Kirchheims Obervogt Hans von Remchingen. Insofern ist die Auseinandersetzung um den Weilheimer Amtmann wohl auch eine Art Stellvertreterkrieg.

„Da wird richtig dreckige Wäsche gewaschen“, sagt Georg Wendt mit dem zeitlichen Abstand von 450 Jahren. Der „Wäschekorb“ ist aber auch prall gefüllt mit „Schmutzwäsche“: Samuel Schultheiss - ohnehin kein Kind von Traurigkeit - ist in eine Wirtshausschlägerei verwickelt, die aus Streitigkeiten im Spiel entsteht und mit dem Einsatz eines Messers endet. Schultheiss war es, der das Messer gezückt hat. Der Untervogt sperrt aber den Gegner seines Schwagers ein und verpflichtet ihn nach der Freilassung auch noch zum Stillschweigen.

Weilheims keusche Susanna

Mummenschanz, den die frisch verwitwete Tochter des Amtmanns aufführt, wird gleichfalls dem Vater zur Last gelegt - ebenso wie die Affäre um seine Magd: Schultheiss entlässt diese, als sich ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen lässt. Vater sei der Knecht, sagt er. Aber hartnäckig halten sich Gerüchte, Schultheiss selbst habe die Magd geschwängert. Er soll sie sogar vergewaltigt haben, im Egenfirst. Der Pfarrer predigt deswegen über die beiden Alten, die Susanna im Bade bedrängten, und vergleicht den Amtmann mit diesen Negativgestalten aus dem Alten Testament.

Wie endet die Geschichte? Wie das Hornberger Schießen: Dem Amtmann ist kein Fehlverhalten in der Amtsführung nachzuweisen. Trotzdem wird er im März 1575 seines Amtes enthoben, um den Frieden im Städtchen wiederherzustellen - durch einen Neuanfang. Pfarrer Scholl darf bleiben, wird aber vermahnt, künftig bei seinem Text und „dessen ehrlicher Explication zu bleiben“.

Heute dient der Skandal von einst nur noch der historisch fundierten Unterhaltung. Aber es ist gute Unterhaltung - weit besser als alle Seifenopern im Fernsehen.

1250 Jahre Weilheim, Stadtjubiläum, Vortragsreihe in der Peterskirche, Dr. Wendt, Tillmann Marstaller und Manfred Waßner
1250 Jahre Weilheim, Stadtjubiläum, Vortragsreihe in der Peterskirche, Dr. Wendt, Tillmann Marstaller und Manfred Waßner
1250 Jahre Weilheim, Stadtjubiläum, Vortragsreihe in der Peterskirche, Dr. Wendt, Tillmann Marstaller und Manfred Waßner
1250 Jahre Weilheim, Stadtjubiläum, Vortragsreihe in der Peterskirche, Dr. Wendt, Tillmann Marstaller und Manfred Waßner