Weilheim und Umgebung

Ein Ort hält die Geschichte lebendig

Mahnung Die neu eingerichtete Büchervilla in Holzmaden ist ein generationsübergreifender Treffpunkt. Hier haben Kinder von Zeitzeugen über die Kriegs- und Nachkriegszeit in Holzmaden berichtet. Von Helga Single

Ein Ort jedes Alters: Von links Schwester Gertraude Fischer, Frieder Gerber, Rainer Stephan. Helga Single
Ein Ort jedes Alters: Von links Schwester Gertraude Fischer, Frieder Gerber, Rainer Stephan. Foto: Helga Single

Der 20. April 1945 wurde für Holzmaden zum Schicksalstag. Amerikanische Jagdbomber flogen, aus Göppingen kommend, zwei Angriffe auf den kleinen Ort. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei, und Holzmaden brannte lichterloh.

Im Garten der Büchervilla spürten Frieder Gerber, Pächter und Ideengeber des schmucken Kleinods, Schwester Gertraude Fischer von den Aidlinger Diakonissen und Gemeinderat Rainer Stephan der Zeit des Nationalsozialismus in Holzmaden nach. Alle drei sind seit Generationen mit dem Ort verwurzelt. Über das Dritte Reich zu sprechen, hält Gerber für wichtig angesichts der gesamtpolitischen Lage in der Welt.

An den Einfallstraßen und bei den Abschussrampen des Rakenflugzeugs „Natter“ im militärischen Sperrgebiet Hasenholz waren Panzersperren eingerichtet worden. Daher geriet Holzmaden in den Fokus der Alliierten, was wohl letztlich zur Bombardierung führte. Dabei verloren zwei Menschen ihr Leben, unzählige Verletzte waren zu beklagen und 24 Häuser wurden zerstört. Weiße Flaggen aufzuhängen, das war strikt verboten, sodass die nachrückende amerikanische Infanterie mit Angriffen aus dem Hinterhalt rechnete und den jungen Flakhelfer Werner Dierlamm, den späteren Pfarrer von Kirchheim, als menschliches Schutzschild an den ersten einfahrenden Panzer kettete.

Dieses traumatisierende Ereignis machte ihn später zum führenden Mitglied der „Aktion ohne Rüstung leben“ und aktiven Teilnehmer an Sitzblockaden am Pershing-Stützpunkt in Mutlangen. An jenem Tag im April endete für Holzmaden der Krieg. „Erst 40 Jahre später sprach der verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestags zur Beendigung des Krieges von der Befreiung vom Nationalsozialismus“, sagt Rainer Stephan. Diese Sichtweise war 1945 noch völlig fremd. Stattdessen herrschten Verzweiflung, Trauer und Schmerz über den verlorenen Krieg, und es kam zu heftigen Schuldzuweisungen gegenüber Parteifunktionären. Ab 1933 war das passiert, was überall in Deutschland passiert war: Die NSDAP hatte ständig an Akzeptanz in der Bevölkerung gewonnen und hielt die Zügel bis zum Schluss fest in der Hand.

Der Onkel von Rainer Stephan fand Arbeit und bescheidenen Wohlstand. Die damals 16-jährige Mutter von Schwester ­Gertraude lobte die hervorragende Jugendarbeit der Hitlerjugend und des „Bundes Deutscher Mädel“ (BDM). „Ihr gefiel das Miteinander, der Sport, man kam raus in andere Ortschaften. Die ganze Welt erwies 1936 Hitler die Referenz bei den Olympischen Spielen, was jeden beeindruckte“, sagt sie. Im geruhsamen Holzmaden nahm das Leben seinen Lauf. Den wenigen Kommunisten und SPDlern riet man, sich still zu verhalten, dann würde ihnen nichts passieren. In Ohmden setzte man ­SA-Leute aus Kirchheim schon mal mit Most schachmatt. „Sicherlich hatten einige Fanatiker „Mein Kampf“ gelesen, aber die Mehrheit der damals rund 700 Einwohner kämpfte mit dem Alltag“, sagt Schwester Gertraude.

Ihr Vater Christian Fischer führte die Schmiede und wurde 1943 Ortsgruppenleiter. Repressalien gegenüber Andersdenkenden bekam Heinrich Häberle zu spüren, in dessen „Krämerhaus“ Jungscharstunden abgehalten wurden. Die Partei wollte keine christliche Jugendarbeit und altpietistischen Stunden haben und machte ihm das Leben schwer. Erst 1949 wurde die Tradition fortgesetzt. ­Gertraudes Vater kam 1945 als gebrochener Mann aus dem Krieg. Beim Rückzug in Königsberg hatte er den Spruch „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl“ von Hedwig von ­Redern an einer Wand in einer Villa entdeckt und in sein Kriegstagebuch notiert. In den schweren Stunden gab das Trost. Als er im hohen Alter an Demenz erkrankte, las er daraus, was ihm half, zur Ruhe zu kommen.

Nach dem Krieg fand der Vater im Glauben Halt. In der Nachkriegszeit wurden in Holzmaden Vertriebene einquartiert. „Man realisierte das erschreckende Ausmaß des Krieges“, sagt Rainer Stephan. „Erst später konnte man reflektieren und über die vielen schlimmen Dinge, die geschehen waren, nachdenken.“