Weilheim und Umgebung

„Es geht darum, Vielfalt zu bewahren“

Natur 15 240 Streuobstbäume stehen rund um Bissingen. Rolf Braun hat sie alle gezählt und in Kleinstarbeit jedes Detail notiert. Die Zahl der Bäume ist gewachsen, aber das kann sich ganz schnell wieder ändern. Von Melissa Seitz

Bis auf den letzten Zentimeter: Roland Thaler misst den Umfang, und Rolf Braun notiert sich alle Details.Foto: Jean-Luc Jacques
Bis auf den letzten Zentimeter: Roland Thaler misst den Umfang, und Rolf Braun notiert sich alle Details. Foto: Jean-Luc Jacques
Symbolbild
Schöner Feind: Misteln entziehen vielen Bäumen Wasser und Mineralstoffe. Symbolbild

Rolf Braun schwingt sich auf sein Fahrrad, verstaut seinen prall gefüllten Ordner in der Tasche und radelt zum nächsten Einsatzort: einer Streuobstwiese in Bissingen. Der Naturexperte zählt in seiner Freizeit Streuobstbäume rund um die Seegemeinde. Das ist keine Aufgabe von ein paar Tage - vielmehr aber von ein paar Monaten. Wie es überhaupt dazu kam, weiß der erste Vorsitzende des Nabu Kirchheim noch ganz genau. 1987 wurde er vom Landesnaturschutzverband und dem Nabu gebeten, eine Stellungnahme zum Landschaftsschutzgebiet abzugeben. „Und da überlegte ich mir, wie ich die Qualität der Streuobstwiesen am besten festhalten kein,“ erzählt Rolf Braun. „Mir war sofort klar: Bäume sind das auffälligste Zeichen.“

Stammumfang misst 3,21 Meter

Doch wie läuft so eine Streuobstzählung eigentlich ab? „Am besten geht es, wenn Schnee liegt“, verrät der engagierte Naturschützer, „denn dann sieht man seine Fußspuren im Schnee und weiß, wo man schon war und wo noch nicht.“ Und die Chance, dass bei der Zählung wirklich Schnee liegt, ist bei Rolf Braun sehr hoch: Er ist nämlich immer über den Winter auf seinem Drahtesel unterwegs - genauer gesagt über zwei Winter hinweg. Bei seiner aktuellen Streuobstzählung hat er Ende November 2015 angefangen, im März 2017 waren dann alle Daten gesammelt. Rolf Braun zählt fünf verschiedene Baumarten in insgesamt 25 Bereichen: Apfel, Birne, Kirsche, Walnuss, Zwetschge und Bäume, die er noch nicht sicher zuordnen kann. Die unterteilt er dann in verschiedene Kategorien ein - je nachdem, wie groß ihr Umfang ist.

 

Ein Exemplar hat den Bissinger besonders beeindruckt. „Ich habe 1987 einen Birnenbaum gemessen, der einen Umfang von 3,10 Metern hatte“, erzählt der Experte. Damals wurde der Birnenbaum auf 100 bis 130 Jahre geschätzt. Heute misst der Stammumfang 3,21 Meter. „Die Jahresringe sind so nah aneinander, man kann sie kaum zählen“, sagt er. Im Baum reiht sich Spechthöhle an Spechthöhle. Der Birnenertrag ist zur Nebensache geworden. „Der Baum spielt eine große Rolle im Ökosystem“, erklärt der Hobbyornithologe.

1987 zählte Rolf Braun 13 600 Streuobstbäume, dieses Jahr kamen 15 240 Bäume zusammen. „Damals wurden die jungen Viertel- und Halbstämme nicht mitgezählt“, erklärt der Baumexperte, „deswegen kann man die beiden Ergebnisse nicht ohne weiteres miteinander vergleichen.“ Doch der erste Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins Bissingen, Rudolf Thaler, warnt davor, sich auf diesem doch sehr guten Ergebnis auszuruhen: „Jeder Baum hat irgendwann ein Ende.“ So auch ein Exemplar an der Auffahrt nach Ochsenwang. „Den nächsten Sturm wird er möglicherweise nicht überleben“, prophezeit Rudolf Thaler. Dieser Baum ist nur einer von vielen, die es bald nicht mehr rund um die Seegemeinde geben wird. „Es muss schnell etwas nachkommen“, sagt Rolf Braun. „Nachpflanzungen sind enorm entscheidend, wie unsere Streuobstwiesen in den nächsten Jahrzehnten aussehen werden.“ Und zwar müssen auch Bäume gepflanzt werden, von denen man eventuell nichts ernten kann. „Es geht darum, Vielfalt zu bewahren“, weiß Rudolf Thaler.

Schnitt ist nicht gleich Schnitt

Das Thema „Nachpflanzung“ scheint aber nicht in den Köpfen der Menschen verankert zu sein. „Früher waren wir noch vom Streuobst abhängig“, erzählt der erste Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins.

In Schnitt- und Pflegekursen soll Wissen an den Mann gebracht werden. Denn laut Rudolf Thaler darf man die Bäume nicht einfach abschneiden. Ein logischer Baumschnitt müsse gelernt sein. Mit einem einfachen Schnitt sei es nicht getan. „Wenn jemand Tiere auf einer Streuobstwiese hält, muss er die Bäume unbedingt zusätzlich mit einem Zaun schützen“, erklärt Rudolf Thaler. Ein Drahtzaun kann aber nicht jedes Tier davon abhalten, an einem Baum zu nagen oder sich daran zu reiben. Ziegen zum Beispiel umgehen die Absperrung, indem sie sich aufeinanderstellen. Der erste Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins hat aus diesem Grund eine konkrete Meinung: „Ziegen gehören nicht auf eine Streuobstwiese.“

Sehen schön aus, sind aber gefährlich

Auch Misteln tragen ihren Teil dazu bei, dass viele Streuobstbäume langsam zu Grunde gehen. „Es mag zwar schön aussehen, wenn die Bäume im Winter grün sind“, sagt Rudolf Thaler, „aber die Misteln entziehen ihnen Wasser und Mineralstoffe.“ Schnell ist dann nicht nur ein Baum betroffen, sondern auch alle anderen Bäume drum herum.

Am besten ist es laut Rudolf Thaler, den befallenen Ast komplett zu entfernen. „Das geht aber meistens nicht“, weiß er. Aus diesem Grund reicht es oft aus, die Misteln mit einer Säge herauszuschneiden. Der Baum wird dadurch nicht beschädigt: „Die Kerbe schließt sich wieder“, erklärt der erste Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins Bissingen. sei