Weilheim und Umgebung
Feier in Neidlingen: Diese Kirche hat keine Risse

Jubiläum Vor 275 Jahren wurde die Neidlinger Dorfkirche eingeweiht, nach nur einem halben Jahr Bauzeit. Ihr Bau erforderte von den Neidlingern ganzen Einsatz, manchmal nicht ganz freiwillig. Von Peter Dietrich

Die alte Neidlinger Kirche stand auf dem jetzigen Friedhofsgelände, sie war baufällig und zu klein. Einmal hat es während des Gottesdienstes im Chor laut gekracht, und es bildeten sich Risse im Mauerwerk. Fortan wollte niemand mehr an dieser Stelle sitzen, und der Platz wurde noch knapper. Die Neidlinger wünschten sich eine größere Kirche, sie sollte näher in der Ortsmitte stehen. Im Jahr 1746 begann die Planung.

Vogt Gerok fuhr nach Stuttgart, um bei Herzog Carl Eugen eine Eingabe zu machen. Der Kirchbau wurde bewilligt – allerdings mit Abstrichen: So manches fand der Herzog einfach zu luxuriös für eine Dorfkirche. Dietmar Brendel und Ernst Ruoss, die viel über die Kirche zu erzählen wissen, verweisen auf die Entwurfszeichnung. Darauf sind fünf Spitzgauben auf dem Dach zu sehen, sie wurden nie gebaut. Dafür fehlen auf dem Entwurf die massiven Abstützungen für den Kirchturm. Die kamen 1801 hinzu, als der Turm sich zu neigen begann.

Geld und Sachspenden kamen aus unterschiedlichen Quellen

Baumeister war Johannes Rothacker aus Esslingen, 4000 Gulden sollte er laut Bauvertrag für die schlichte, aber geräumige Kirche bekommen. Auf ihre rund 400 Plätzen passte damals etwa der halbe Ort. „Die Neidlinger Einwohner haben über 300 Gulden gespendet“, sagt Dietmar Brendel. Ernst Ruoss ergänzt, dass es nicht nur beim Geld blieb: „Die Bürger wurden zur Mithilfe beim Bau eingeteilt.“ Auch weiter entfernte Gemeinden spendeten für den Kirchbau, wie etwa Alpirsbach, Königsbronn, Maulbronn und Heidenheim. Aus Schopfloch kamen vier Gulden, Gruibingen spendete acht Gulden. In den Bittschreiben des Vogts, die unter anderem die Stadt Kirchheim, das Hospital in Nürtingen und den Landtag erreichten, ging es um größere Beträge, und so kamen insgesamt 600 Gulden zusammen. Sogar Sachspenden gab es: Aus Ochsenwang kamen zwei Eichen. Insgesamt 320 Stämme kamen aus dem Schwarzwald, sie wurden den Neckar hinaufgeflößt und dann bei der Köngener Brücke gelagert.

Der „Weilheimer Armenkasten“, eine Art Gemeindefonds für Bildung, Kultur und Soziales, wurde vom Herzog zur Gabe von 200 Gulden verpflichtet. Später legten die Weilheimer sogar noch etwas drauf: Als sie sich 1780 für die Weilheimer Peterskirche ein neues, größeres Altargitter leisteten, schenkten sie Neidlingen den kleineren Vorgänger.

Nach einem halben Jahr war die Kirche schon fertig

So viel Baumaterial wie möglich wurde für die neue Kirche von ihrer Vorgängerin übernommen. Erstaunlich ist die kurze Bauzeit: Die Grundsteinlegung war im Mai 1746, am 28. Oktober des selben Jahres wurde die Kirche schon eingeweiht. Der Turm war da aber noch nicht fertig. Er folgte erst 1747. An eine Heizung war damals aber noch nicht zu denken, sie kam erst 1908.

Altar, Kanzel und Taufstein standen einst in einer Linie, denn in der Theologie der Reformation gehören Wort und Sakrament zusammen. Bei der Renovierung von 1965 bekam der Taufstein dann einen neuen Platz. Die Sakristei, die sich früher hinter dem Altar befand, wurde damals in den neu gebauten Kirchsaal hinter der Kirche verlegt. Der ehemalige Außeneingang zur Sakristei ist noch heute zu erkennen. Daneben sind zwei Gedenktafeln für Vogt Gerok und seine Frau zu sehen. Er wird von seinen neun Kindern als „Freund Gottes und der Menschen“ beschreiben, seine Frau beschrieb Vogt Gerok selbst als „getreueste Gattin“ und „zärtlichste Mutter“. Bei der Renovierung von 1965 bekam die Kirche innen ihre Marmorfarben zurück, doch was wie echter Marmor aussieht, ist in Wirklichkeit Holz.

Dramatisch verlief die Geschichte der drei Glocken: Mehrmals erforderten unerklärliche Sprünge einen Neuguss. Zwei Glocken wurden von den Nazis 1942 zu Kriegszwecken entwendet. Die große Glocke kehrte Ende 1947 zurück, die mittlere Glocke blieb fort. Ihr 1948 beschlossener Ersatz verzögerte sich um fünf Jahre: Wegen des Koreakriegs waren Zinn und Kupfer sehr teuer, die neue Glocke hätte über 6000 Mark gekostet. Später waren es nur noch 4000 Mark. Die Glocken läuten heute automatisch, lassen sich aber an die Seile umhängen. Dann spüren die Konfirmandinnen und Konfirmanden, wie anstrengend das Läuten früher war. Dietmar Brendel erinnert sich noch genau ans frühere Honorar: „Fürs Läuten gab es zehn Pfennig, bei einer Hochzeit 50 Pfennig.“

Fest. Den 275. Geburtstag der Kirche feiern die Evangelischen Kirchengemeinden Neidlingen und Hepsisau am Reformationstag. Um 10 Uhr beginnt der gemeinsame Gottesdienst mit Pfarrerin Ute Stolz, Pfarrerin Inga Kaltschnee, Vikarin Larissa Hopp und einem Bläserensemble. Bis 16.30 Uhr folgt ein Festprogramm in und um die Kirche und eine Kirchturmführungen.