Weilheim und Umgebung

Gegen Hass kämpfen

Gesellschaft Medienwissenschaftler Pörksen will beim Auftakt der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der Akademie Bad Boll mit seinem Vortrag „Fakt und Fake“ die Liebe zu Fakten fördern. Von Annerose Fischer-Bucher

Hier geht‘s rein: die evangelische Akademie Bad Boll. Fotos: Markus Brändli
Hier geht‘s rein: die evangelische Akademie Bad Boll. Fotos: Markus Brändli

In den vergangenen 75 Jahren der Evangelischen Akademie Bad Boll ging es immer um einen werteorientierten Diskurs und öffentlichen Dialog mit der

Der Medienwissenschaftler Professor Pörksen. Foto: pr

Betonung auf Zusammenhalt“, sagte Akademiedirektor Professor Dr. Jörg Hübner kürzlich vor zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft. Er bezeichnete die kommende Dekade als eine Zeit von wichtigen globalen und regionalen Entscheidungen, die es in sich habe, weil Interessen und Meinungen immer mächtiger aufeinanderprallten.

Wenn es gelänge, einen achtsamen Dialog, Vertrauen untereinander und Liebe zu Fakten zu fördern, sei schon viel gewonnen, wozu die Akademie beitragen wolle. Jeder könne einen Beitrag dazu leisten, sagte Hübner: „Wir wollen visionär und ansteckend sein für Humanität in Glaube, Hoffnung und Liebe.“

Den Festvortrag zum Auftakt des Jubiläumsjahres hielt der Medienwissenschaftler Professor Dr. Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen zum Thema „Fakt und Fake – Meinungsbildung im globalen Zeitalter“. Pörksen ist durch viele Veröffentlichungen bekannt und forscht über die Macht der öffentlichen Empörung und die Macht der Lüge im digitalen Zeitalter. Er bezeichnete die Akademie als ein Diskurs- und Dialogkraftwerk, von dessen Freundlichkeit er beeindruckt sei.

Die Akademie wird dieses Jahr 75. Foto: Markus Brändli

Der Referent stieg mit einem Beispiel aus der Welt der Falschnachrichten ein, bei dem ein zu erwartender Orkan in Florida geleugnet wurde. Den flüchtenden Fake-News-Produzenten habe dann die Realität eingeholt. Pärksen versuchte, die Merkmale der heutigen Zeit zu diagnostizieren und meldete Kritik am Begriff „postfaktisches“ Zeitalter an, weil es voraussetze, dass es ein faktisches Zeitalter gegeben habe. Es könne zudem als Indiz genommen werden, dass die Narrative des rechten Spektrums in die Mitte der Gesellschaft eingesickert seien.

Er beschrieb die Neuordnung der Informationswirklichkeit als „schrecklich und schön“ zugleich. Mit einer neuen Geschwindigkeit, einer neuen Gewissheit, mit immer neuen Anreizen einer Erregungsindustrie zum Hype und mit immer neuen Techniken der Manipulation gebe es keine Professionalisierung, denn jeder könne mitmachen.

Der Medienwissenschaftler sagte, er selbst pendle zwischen Euphorikern, die den Informationsreichtum als profitabel ansehen, und Apokalyptikern, die den Untergang einer Diskurskultur durch Hass und Falschinformationen befürchten. Er sagte, die Lösung sei ebenso wie die Wahrheit nicht einfach. Die Frage sei, wie man die Ideale von Informationsfreiheit und Mündigkeit bewahren und gegen Desinformation und Hass kämpfen könne.

Bernhard Pörksen plädierte für eine „redaktionelle Gesellschaft der Zukunft“ mit der Orientierung an den Leitlinien eines guten Journalismus: zuerst prüfen, später publizieren, dabei Relevanz und Proportionalität beachten, Skepsis im Umgang mit Macht und Einstellungen, auch der eigenen. Einige seiner Vorschläge: ein Schulfach, die Änderung des klassisch-eta­blierten Journalismus in Richtung Pakt mit dem Publikum durch maximale Transparenz und Dialogisierung sowie die Institutionalisierung eines Plattformrats. Für diese Impulse und Ausführungen bekam er viel Beifall.

Wichtig für die Republik

Meinungsbeiträge NWZ Redaktion  Jürgen Schäfer
Meinungsbeiträge NWZ Redaktion Jürgen Schäfer

Eine neue politische Streitkultur hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach dem Mordanschlag an der Synagoge von Halle für dringlich erachtet. Er sagt auch, wie sie aussehen soll: Dass man in ehrlicher und vornehmer Weise miteinander kämpft. So wie es Konrad Adenauer bei der Fertigstellung des Grundgesetzes formulierte.

Dies geschieht in der Evangelischen Akademie Bad Boll seit 75 Jahren, und ihre Arbeit ist heute so wichtig wie damals. Bei der Geburtsstunde der Akademie lag das Grauen des Nazi-Regimes kein halbes Jahr zurück, und heute sind es wieder Morde, Hass und Hetze, die den freiheitlichen Rechtsstaat erschüttern. Es geht darum, ehrlich und vornehm zu streiten - oder wie es Akademiedirektor Professor Jörg Hübner sagt: „die Begegnung, der Dialog, der achtsame Diskurs, schon Streit, aber respektvoll, auf Augenhöhe.“

Die Evangelische Akademie Bad Boll ist eine Institution der Kirche, aber auch eine für die Republik. Sie hat die Demokratie in ihren Auseinandersetzungen begleitet und mitgeprägt, sie hat aufs Tapet gebracht, was die Bürger umtrieb, wovor sie sich fürchteten, was sie von der Politik forderten. Von der Wiederbewaffnung bis zur Globalisierung, von der Studentenrevolte bis zum Klimawandel. Mitsprache ist ihr Programm. Sie will an der Ausgestaltung der demokratischen Gesellschaft mitwirken. Jeder ist zu den Tagungen eingeladen. So wie der Bundespräsident das Wort an die Bürger richtete: „Sie alle haben ein Stück Deutschland in Ihrer Hand.“ Und: „Derzeit braucht die Demokratie vor allem uns.“

Man darf sich freuen, dass die Region einen solchen Anker der freiheitlichen Gesellschaft hat. In Bad Boll sitzt sogar die Mutter aller kirchlichen Akademien, nach ihrem Vorbild wurden viele weitere gegründet. Es schmückt auch Bad Boll, wenn Prominenz kommt: Altkanzler Schröder war mehrmals hier, mit ihm und vor ihm Politiker aus den Zeiten seit 1949. Ein besonderer Freund der Akademie war Erhard Eppler über mehr als 50 Jahre hinweg. Zum Jubiläum kommen Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landesbischof Frank Otfried July. Das ist Anerkennung für eine Institution, die die Demokratie braucht, weil Streit immer ist und in einer offenen Gesellschaft ausgetragen werden kann. Das macht sie stark.