Weilheim und Umgebung
Gewerbegebiet Rosenloh: Bürger löchern Experten

Beteiligung Von Flächenverbrauch bis Gefahrenpotenzial: Bei einer Anhörung kamen viele Fragen rund um das geplante Gewerbegebiet in Weilheim und zur Ansiedlung von Cellcentric auf den Tisch. Von Bianca Lütz-Holoch

Fast vier Stunden lang haben Weilheimer Bürger eine Expertenrunde mit Fragen rund um das geplante Gewerbegebiet Rosenloh in Weilheim „gelöchert“. Mithören konnte jeder Interessierte: Die Anhörung, die Teil eines groß angelegten Bürgerbeteiligungs-Prozesses zum geplanten Gewerbegebiet und der Ansiedlung einer Brennstoffzellen-Fabrik von Cellcentric ist, wurde per Stream übertragen. Genutzt haben das Online-Angebot weniger als 40 Personen.

Zusammengetragen worden waren die Fragen bei einer vorangegangenen Treffen der Bürgerwerkstatt. An ihr nimmt eine feste Gruppe von bis zu 25 Weilheimer Bürgern teil. Sie nutzten nun auch die Gelegenheit, spontane und kritische Zwischenfragen zu etlichen Themen zu stellen. Großen Raum nahmen Flächenverbrauch und Verkehr sowie zu Details um die geplante Brennstoffzellen-Fabrik von Cellcentric, einem Joint Venture von Daimler Truck und Volvo, ein.

 

„Wir haben 35 Standorte geprüft.
Wolfgang Küstner

Zu den wichtigsten Argumenten gegen das Gewerbegebiet gehört der Flächenverbrauch. Ihn prangern auch die Naturschutzverbände der Region an. Sie fordern, Cellcentric solle die Fabrik lieber auf einer Industriebrache in der Region bauen. Entsprechend lautete eine Frage an die Experten: „Warum werden keine Industriebrachen genutzt?“ Eine Antwort lieferte Wolfgang Küstner von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart. „Wir haben 35 Standorte geprüft.“ Keine sei so geeignet gewesen wie die Fläche im Rosenloh. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Größe des Grundstücks. „15 Hektar Brachfläche sind die Vorgabe“, verdeutlichte er. Die meisten Grundstücke in der Region hätten maximal zehn oder gar nur fünf Hektar Fläche. Lediglich das Scheufelen-Areal in Lenningen erfülle die Größenvorgabe. Allerdings passten dort weder die Verkehrsanbindung noch die zeitliche Schiene. „Es ist frühestens in fünf Jahren großflächig verfügbar“, so Küstner. Er ließ auch anklingen, dass Cellcentic Alternativen außerhalb der Region habe. „Es besteht die Gefahr, dass das Unternehmen abwandert“, warnte er.

Fakt ist, dass in der Region durch die Transformation in der Automobilindustrie im großen Stil Flächen frei werden. „Allerdings ist damit erst zwischen 2025 und 2030 zu rechnen“, betonte Wolfgang Küstner. Auf dieses Dilemma ging auch Andreas Streitberger von der IG Metall Esslingen ein. „Wir brauchen Perspektiven für die Beschäftigten in der Automobilbranche nach der Transformation.“ Ein scharfer Schnitt sei aber nicht möglich. Und während des Übergangszeitraums brauche es nun mal zusätzliche Flächen, um neue Werke zu bauen, bevor die alten stillgelegt werden.

Keine weitere Expansion in Weilheim

Dass der Brennstoffzellen-Entwickler in Weilheim weiter expandiert, schloss Geschäftsführer Professor Dr. Christian Mohrdieck aus: „Zusätzliche Flächenbedarfe hat Cellcentric in Weilheim nicht.“ In den 15 Hektar seien bereits zwei Bauabschnitte enthalten.

Auch die Sorge der Naturschützer, es drohe ein „Rosenloh II“, das bis zur Autobahn reicht, versuchten die Experten auszuräumen. Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle teilte mit, dass die Stadt sich verpflichten möchte, bis zum Jahr 2030 auf zusätzliche Entwicklungen im Außenbereich zu verzichten. Zudem ist der Bereich bis zur Autobahntopographisch schwierig und liegt in einem geschützten Grünzug, der Planungen erschwert. „Grünzüge sind aber auch nicht in Stein gemeißelt“, räumte Berthold Frieß, Amtschef im baden-württembergischen Verkehrsministerium, ein.

Laut wurde auch die Sorge, das Gewerbegebiet beschere dem ohnehin schon geplagten Weilheim noch mehr Verkehr. „Wir gehen davon aus, dass rund 1500 Fahrzeuge mehr pro Tag fahren, davon 200 bis 250 Lastwagen“, sagte Stefan Wammetsberger, Geschäftsführer des Verkehrsbüros Koehler und Leutwein. Ihm zufolge entlastet die geplante Straße im Norden des Rosenloh sogar neuralgische Punkte wie die „Aral-Kreuzung“. Um Verkehr in der Stadt einzusparen, helfe dagegen nur ein Gesamtkonzept für alternative Mobiltät.

Was den Wunsch nach einer weiteren Autobahnausfahrt in Holzmaden angeht , machte Berthold Frieß vom Verkehrsministerium des Landes wenig Hoffnung. Zuständig sei der zwar Bund. „Unserer Erfahrung nach hat so ein Anliegen aber keine Chance.“ Dazu würden die anderen Ausfahrten zu nah liegen. Gute Nachrichten hatte Stefan Wammetsberger, was den Autobahnanschluss bei Aichelberg angeht. „Der südliche Teil wird angepasst und leistungsfähig ausgebaut.“

 

Was die Fabrik mit sich bringt

Eine Fabrik für Brennstoffzellen in Weilheim – was genau das bedeutet, beschäftigte auch die Teilnehmer der Bürgerwerkstatt.

Zum Thema Lärm hat Cellcentric durch seine Pilotfabrik in der Esslinger Pliensauvorstadt bereits Erfahrung. Projektleiter Wolfgang Liebl versicherte, dass laut Gutachten die Lärmemissionen bei der Produktion deutlich unter den Grenzwerten liegen. „Es geht um Dichtungsprozesse und nicht um Stanzen oder so etwas“, sagte er.

Verarbeitet werden Edelmetallpulver, Alkohol, Kunststofffolien und Dichtungsmaterialien, erläuterte Cellcentric-Geschäftsführer Professor Christian Mohrdieck. Auch Wasserstoff wird auf dem Gelände gelagert. Von der Menge her werde man aber weit unterhalb der bei fünf Tonnen liegenden, kritischen Störfallgrenze bleiben. Eine Brennstoffzelle selber gelte – anders als eine Batterie – nicht als Gefahrenstoff. Ganz wichtig auch: „Aus der Fabrik kommt kein Qualm.“

Bis zu 500 zusätzliche Arbeitsplätze sollen in der geplanten Fabrik in Weilheim entstehen. Aktuell beschäftigt Cellcentric rund 350 Mitarbeiter, viele davon leben in der Region. Geben wird es in der Brennstoffzellen-Fabrik sowohl Stellen für Hochqualifizierte, aber auch viele gewerbliche Arbeitsplätze in der Produktion. 

 

Kommentar: Mehr als nur schwarz-weiß

Es ist eine Premiere: Zum ersten Mal hat die Stadt Weilheim ein Bürgergutachten in Auftrag gegeben. Damit möchte sie die Einwohner abseits eines Bürgerentscheids in die Entscheidung über das geplante Gewerbegebiet Rosenloh und die Ansiedlung des Brennstoffzellen-Entwicklers Cellcentic einbeziehen. Das hat aber auch für Kritik gesorgt. Denn aktiv an dem Prozess beteiligen können sich nicht alle Weilheimer, sondern lediglich 25 Bürger, die per Zufallsprinzip ausgewählt wurden. Auch ist das Gutachten, das am Ende des Prozesses steht und dem Gemeinderat als Entscheidungsgrundlage dient, nicht verbindlich.

Spätestens jetzt lässt sich jedoch feststellen: Das Bürgergutachten zum Rosenloh in Weilheim hat das Zeug dazu, ein voller Erfolg zu werden. Bei der Expertenanhörung ist deutlich geworden, wie ernst die ausgewählten Ehrenamtlichen ihren Job nehmen. Die Fragen, die sie gemeinsam mit der externen Pojektmanagerin Ute Kinn ausgearbeitet haben, deckten nicht nur eine riesige Bandbreite an Themenfeldern und Kritikpunkten ab, sondern gingen auch in die Tiefe. Diesem großen Engagement zollten selbst die Befürworter eines Bürgerentscheids Respekt.

Eben jene sehen es nach wie vor als Nachteil, dass bei dem Bürgergutachten – anders als bei einem Bürgerentscheid – nur ein kleiner Teil der Weilheimer aktiv eingebunden ist. Genau da liegt aber auch die Stärke dieser Form der direkten Demokratie. Denn das Thema Rosenloh und Ansiedlung von Cellcentric in seiner ganzen Komplexität begreifen kann nur, wer sich intensiv damit auseinandersetzt, sich alle Seiten anhört, Experten, Befürworter und Gegner befragt. Genau das haben die so genannten „Zufallsbürger“ getan und sind damit zu einer Art „Expertenbürger“ geworden.

Und noch etwas macht das Bürgergutachten zu einem großen Gewinn. Während es bei einem Bürgerentscheid lediglich um die Frage „ja“ oder „nein“ geht, bietet das Gutachten weit mehr. Es wägt nicht nur sämtliche Aspekte gegeneinander ab, sondern kann auch konkrete Empfehlungen geben, etwa zu Auflagen für die Firmen und die genaue Ausgestaltung des Bebauungsplan. Kurz: Es ist – wie die Realität – mehr als schwarz und weiß.

Übrigens: Sollte doch noch ein Bürgerentscheid in Weilheim angestoßen werden, ist das Bürgergutachten keineswegs Zeit- und Geldverschwendung gewesen. Es könnte dann zu einer Informationsbroschüre zusammengefasst und an alle Bürger verteilt werden, um ihnen eine fundierte Grundlage für ihr Votum zu bieten.