Weilheim und Umgebung

„Ihr Blick verfolgt mich bis heute“

Bildung Auf dem Aktionstag „Frieden“ der Realschule Weilheim hat der ehemalige Neonazi Manuel Bauer über seine Vergangenheit erzählt. Es war schwerverdauliche Kost mit einer Friedensbotschaft. Von Thomas Zapp

Das menschliche Peace-Symbol war der krönende Abschluss des Friedens-Projekttags an der Realschule Weilheim. Foto: Carsten Ried
Das menschliche Peace-Symbol war der krönende Abschluss des Friedens-Projekttags an der Realschule Weilheim. Foto: Carsten Riedl

In der Schulmensa der Realschule Weilheim geben 40 Schüler keinen Mucks von sich. Gebannt schauen sie auf den Redner mit Bart, stattlicher Leibesfülle und kurzen Haaren. Früher trug der Mann namens Manuel Bauer seinen Kopf kahl geschoren und war durchtrainiert. Wie der heute 41-Jährige mit un­überhörbar sächsischem Einschlag von seiner Neonazi-Vergangenheit erzählt, verschlägt den Zuhörern buchstäblich die Sprache.

Bauer, der nach seinem Ausstieg aus der Rechten Szene 2006 als freier Consultant Vorträge in ganz Deutschland hält, verfällt bewusst immer wieder in den Nazi-Jargon und erzählt fast beiläufig, wie er beim Bier holen in seiner Heimat Torgau mit einem Pärchen zusammenstößt, dessen männlicher Part offensichtlich ein Türke ist. „Den konnte ich in relativ kurzer Zeit handlungsunfähig machen. Die Frau schrie. Ich musste der Alten die Fresse stopfen.“ Er habe ihr seinen Stiefel in den Bauch getreten, obwohl er sah, dass sie schwanger war. Das Kind musste noch in der Nacht per Notgeburt geholt werden und überlebte. Das erfuhr er aber erst später. Der Blick der Frau, kurz bevor er zutrat, der verfolge ihn bis heute, sagt Bauer, der mittlerweile selbst Vater einer Tochter ist.

Mit für die jugendlichen und erwachsenen Zuhörer fast schmerzhafter Offenheit spricht Bauer in Details über seine Vergangenheit. Die Gespräche mit den Schülern hätten für ihn auch eine therapeutische Wirkung, sagt er nach dem Vortrag.

Manuel Bauer ist im sächsischen Torgau aufgewachsen, als Kind überzeugter Sozialisten. Als die Wende kam, war er elf Jahre alt, an der Schule orientierten sich die Jugendlichen entweder nach links oder rechts. Seine Kumpels waren rechts. „Also wurde ich es auch, wären sie links gewesen, wäre ich links“, erklärt er seine jugendliche Logik. Doch aus dem Mitläufer wurde mit den Jahren eine Führungskraft der rechten Szene. Er wurde Kameradschaftsführer und leitete unter anderem die Wehrsportgruppe „Racheakt“.

Die Eltern verstanden ihn nicht, lehnten seine Haltung ab. „Ich dachte, wenn die Eltern ein Kind lieben, unterstützen sie es, egal wie.“ Zu der Enttäuschung kam der Hass auf Ausländer, der sein Weltbild prägte. Manuel Bauer zeigt den erstaunten Schülern „Bildungsmaterial“ der rechten Szene, wo „wissenschaftlich“ erklärt wird, dass Afrikaner eine Untergattung des Affen sind. Dann projiziert er eine mittelalterliche Burg der „Weißen“ an die Wand, neben einer heutigen „Hütte“ der Schwarzen. Dazu die rhetorische Frage, wer intelligenter sei. Plötzlich sitzen die Schüler statt im Vortrag eines Neonazis in einer Neonazi-Schulung.

Der Ausländerhass und die Gewalt gehören bald zu seinem Alltag. Als ein „Kamerad“ beim Döner-Essen erwischt wurde - eine „Döner-Glatze“, der bei den Feinden aß, beging damals eine Todsünde -, wurde er von Manuel Bauer und Mitstreitern krankenhausreif geschlagen. „Er quiekte wie ein Welpe, als er in seiner Blutlache lag“, erzählt der Neonazi-Aussteiger scheinbar ungerührt. Es gehört zu seinen Mitteln, in die Sprache „von damals“ zu wechseln um dann normal weiterzufahren. „Zum Glück hat niemand seinen Kopf getreten, sodass er nicht tödlich verletzt wurde.“

Viele seiner Taten blieben ungesühnt, oft auch mithilfe von Anwälten des Nazi-Netzwerks. Für zweieinhalb Jahre musste er aber doch in den „Bau“. Dort wurde er geläutert, durch ausländische Mithäftlinge und das Aussteiger-Programm Exit. Von 2003 bis 2006 führte er ein Doppelleben, bis er endgültig ausstieg und in den bis dahin verhassten Westen ging, in den Freiburger Raum.

Dort gehören zu seinem Freundeskreis heute auch Flüchtlinge, er engagiert sich für sie. „Wie würdet ihr euch fühlen, wenn eure Familien getötet würden? Die meisten von ihnen sind traumatisiert.“ Zu einer indischen Frau hat er Kontakt aufgenommen. Sie und ihre Eltern hatte er in Dommitzsch überfallen, geschlagen und misshandelt, als sie fünf Jahre alt war. Dafür wurde er nicht verurteilt. „Heute ist sie Anwältin, um das deutsche Rechtssystem zu verstehen“, erzählt er und fügt hinzu: „Die Strafen sind viel zu lasch.“

„Warum konnte ich das machen, damals“, fragt er die Runde. Eine richtige Antwort gibt es nicht. Vom Saulus zum Paulus? Die Frage bleibt im Raum stehen, aber die Schüler sind ergriffen von seiner Offenheit. „Sie müssen viel öfter hier hinkommen. Weil viele einfach solche Dinge sagen, ohne zu reflektieren“, sagt einer und meint Vorurteile über Flüchtlinge und Ausländer. Auf dieser Mission sieht sich Manuel Bauer, der von seinen Vorträgen lebt.

Die Friedensbotschaft am Ende versöhnt mit seiner Geschichte, die kaum härter im Kontrast zum Tagesmotto hätte stehen können. „Gott sei Dank haben Sie noch den Bogen gekriegt“, sagt eine Lehrerin am Ende des Vortrags. „Ich hätte es sonst nicht ausgehalten.“

Friedvolle Workshops und Vorträge

Uta Johanna Walle. Foto: Carsten Riedl
Uta Johanna Walle. Foto: Carsten Riedl

Einen Projekttag zum Thema Frieden hat sich die Lehrerin und Schulseelsorgerin Christine Lay mit ihren Kollegen vorgenommen und viel Herzblut und Zeit investiert. Das erste Schulhalbjahr steht unter diesem Thema, unter anderem wurden im Religions- oder Ethikunterricht folgende Fragen behandelt: „Wie wollen wir leben? Was braucht es, um gut füreinander da zu sein, sodass jeder „wachsen“ kann? Was heißt und bedeutet „Frieden“?

An mehr als 30 Workshops konnten die Weilheimer Schüler klassenübergreifend teilnehmen, da konnte man Friedenstauben in der Schulküche backen, Friedenssymbole mit Linoleum drucken, hölzerne Kerzenhalter mit Friedenssymbolen einfräsen, mit dem Stuttgarter Percussionist Till Ohlhausen für den Frieden trommeln oder einen Poetry Slam einüben, oder mit Anke Marx vom Staatstheater Stuttgart ein Theaterstück. Eine weitere Gruppe gestaltete eine große Friedensfahne aus mehreren einzelnen Flaggen mit Friedensmotiven.

Mehrere Vorträge und Diskussionen gehörten ebenfalls dazu. Neben dem Weilheimer Pfarrer Eckhard Schlatter sprach auch der ehemalige Rektor der Weilheimer Realschule, Winfried Rindle. Dabei ging es über sein Herzensthema Afrika, zu diesem Anlass speziell die afrikanische Jugend. Uta Johanna Walle sprach mit einer Schülergruppe über „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg. Die „GFK“ soll bei alltäglicher Kommunikation sowie friedlicher Konfliktlösung im persönlichen, beruflichen oder politischen Bereich helfen. „Für mich war es eine neue Erfahrung, mit Schülern zu arbeiten“, sagt die siebenfache Mutter, die normalerweise Seminare für Erwachsene anbietet. Sie konnte bei den Spielen und Übungen mit Jugendlichen ebenfalls neue Erfahrungen machen. „Wichtig ist für die Schüler zu erkennen: Was fühle ich, was brauche ich? Das ist für viele schon schwer genug“, sagt sie über die Grundlagen friedlicher Kommunikation.

Zum Abschluss um 12 Uhr spielte nicht nur die Schulband im Wechsel mit den Percussionisten. Es wurde auch aus Schülern ein Friedenszeichen gebildet und die vorher gebastelte Friedensflagge an der Schulfassade aufgehängt. Danach ging es zu einer Abschlussbesprechung in die Klassenräume.

Die Realschule Weilheim wurde 2018 als „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ ausgezeichnet. „Unser Schulethos steht unter dem Motto „Miteinander lernen - füreinander da sein!“, erklärt Christine Lay. „In unserem Unterricht und täglichem Zusammensein achten wir daher aufeinander und haben das Thema Respekt und das friedliche Miteinander im Blick.“ zap