In der Schulmensa der Realschule Weilheim geben 40 Schüler keinen Mucks von sich. Gebannt schauen sie auf den Redner mit Bart, stattlicher Leibesfülle und kurzen Haaren. Früher trug der Mann namens Manuel Bauer seinen Kopf kahl geschoren und war durchtrainiert. Wie der heute 41-Jährige mit unüberhörbar sächsischem Einschlag von seiner Neonazi-Vergangenheit erzählt, verschlägt den Zuhörern buchstäblich die Sprache.
Bauer, der nach seinem Ausstieg aus der Rechten Szene 2006 als freier Consultant Vorträge in ganz Deutschland hält, verfällt bewusst immer wieder in den Nazi-Jargon und erzählt fast beiläufig, wie er beim Bier holen in seiner Heimat Torgau mit einem Pärchen zusammenstößt, dessen männlicher Part offensichtlich ein Türke ist. „Den konnte ich in relativ kurzer Zeit handlungsunfähig machen. Die Frau schrie. Ich musste der Alten die Fresse stopfen.“ Er habe ihr seinen Stiefel in den Bauch getreten, obwohl er sah, dass sie schwanger war. Das Kind musste noch in der Nacht per Notgeburt geholt werden und überlebte. Das erfuhr er aber erst später. Der Blick der Frau, kurz bevor er zutrat, der verfolge ihn bis heute, sagt Bauer, der mittlerweile selbst Vater einer Tochter ist.
Mit für die jugendlichen und erwachsenen Zuhörer fast schmerzhafter Offenheit spricht Bauer in Details über seine Vergangenheit. Die Gespräche mit den Schülern hätten für ihn auch eine therapeutische Wirkung, sagt er nach dem Vortrag.
Manuel Bauer ist im sächsischen Torgau aufgewachsen, als Kind überzeugter Sozialisten. Als die Wende kam, war er elf Jahre alt, an der Schule orientierten sich die Jugendlichen entweder nach links oder rechts. Seine Kumpels waren rechts. „Also wurde ich es auch, wären sie links gewesen, wäre ich links“, erklärt er seine jugendliche Logik. Doch aus dem Mitläufer wurde mit den Jahren eine Führungskraft der rechten Szene. Er wurde Kameradschaftsführer und leitete unter anderem die Wehrsportgruppe „Racheakt“.
Die Eltern verstanden ihn nicht, lehnten seine Haltung ab. „Ich dachte, wenn die Eltern ein Kind lieben, unterstützen sie es, egal wie.“ Zu der Enttäuschung kam der Hass auf Ausländer, der sein Weltbild prägte. Manuel Bauer zeigt den erstaunten Schülern „Bildungsmaterial“ der rechten Szene, wo „wissenschaftlich“ erklärt wird, dass Afrikaner eine Untergattung des Affen sind. Dann projiziert er eine mittelalterliche Burg der „Weißen“ an die Wand, neben einer heutigen „Hütte“ der Schwarzen. Dazu die rhetorische Frage, wer intelligenter sei. Plötzlich sitzen die Schüler statt im Vortrag eines Neonazis in einer Neonazi-Schulung.
Der Ausländerhass und die Gewalt gehören bald zu seinem Alltag. Als ein „Kamerad“ beim Döner-Essen erwischt wurde - eine „Döner-Glatze“, der bei den Feinden aß, beging damals eine Todsünde -, wurde er von Manuel Bauer und Mitstreitern krankenhausreif geschlagen. „Er quiekte wie ein Welpe, als er in seiner Blutlache lag“, erzählt der Neonazi-Aussteiger scheinbar ungerührt. Es gehört zu seinen Mitteln, in die Sprache „von damals“ zu wechseln um dann normal weiterzufahren. „Zum Glück hat niemand seinen Kopf getreten, sodass er nicht tödlich verletzt wurde.“
Viele seiner Taten blieben ungesühnt, oft auch mithilfe von Anwälten des Nazi-Netzwerks. Für zweieinhalb Jahre musste er aber doch in den „Bau“. Dort wurde er geläutert, durch ausländische Mithäftlinge und das Aussteiger-Programm Exit. Von 2003 bis 2006 führte er ein Doppelleben, bis er endgültig ausstieg und in den bis dahin verhassten Westen ging, in den Freiburger Raum.
Dort gehören zu seinem Freundeskreis heute auch Flüchtlinge, er engagiert sich für sie. „Wie würdet ihr euch fühlen, wenn eure Familien getötet würden? Die meisten von ihnen sind traumatisiert.“ Zu einer indischen Frau hat er Kontakt aufgenommen. Sie und ihre Eltern hatte er in Dommitzsch überfallen, geschlagen und misshandelt, als sie fünf Jahre alt war. Dafür wurde er nicht verurteilt. „Heute ist sie Anwältin, um das deutsche Rechtssystem zu verstehen“, erzählt er und fügt hinzu: „Die Strafen sind viel zu lasch.“
„Warum konnte ich das machen, damals“, fragt er die Runde. Eine richtige Antwort gibt es nicht. Vom Saulus zum Paulus? Die Frage bleibt im Raum stehen, aber die Schüler sind ergriffen von seiner Offenheit. „Sie müssen viel öfter hier hinkommen. Weil viele einfach solche Dinge sagen, ohne zu reflektieren“, sagt einer und meint Vorurteile über Flüchtlinge und Ausländer. Auf dieser Mission sieht sich Manuel Bauer, der von seinen Vorträgen lebt.
Die Friedensbotschaft am Ende versöhnt mit seiner Geschichte, die kaum härter im Kontrast zum Tagesmotto hätte stehen können. „Gott sei Dank haben Sie noch den Bogen gekriegt“, sagt eine Lehrerin am Ende des Vortrags. „Ich hätte es sonst nicht ausgehalten.“