Weilheim und Umgebung

„Ihr müsst nicht leiden“

Theaterstück Melanie Stumpf aus Bad Boll und der Berliner Puppenspieler Wieland Jagodzinski machen auf das Verbot der weit verbreiteten Praktik von Genitalverstümmelung aufmerksam. Von Katja Eisenhardt

Im westafrikanischen Burkina Faso ist die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung trotz eines offiziellen Verbots nach wie vor weit verbreitet. Der Förderverein AIDS- und FGM-Aufklärung mit Sitz in Neidlingen leistet vor Ort Aufklärungsarbeit. Für den Verein sind Melanie Stumpf und der Berliner Professor für Puppenspielkunst Wieland Jagodzinski dorthin gereist. Die Mission: Aufklärungsarbeit gegen die weibliche Genitalverstümmelung zu leisten. Mit einem Schattentheaterprojekt.

„FGM steht für Female Genital Mutilation. Das ist in Burkina Faso nach wie vor ein großes Tabu-Thema“, erzählt Melanie Stumpf, die ursprünglich aus Stuttgart stammt, seit sieben Jahren aber in Frankreich lebt und jetzt auf Heimatbesuch war. Das Schattentheater sei eine behutsame Form, die Menschen vor Ort auf dieses sensible Thema aufmerksam zu machen und zum Nachdenken zu bewegen. „Es ist bildhaft. Zwar werden fürs Spiel realistische Puppen verwendet, dennoch ist das Stück am Ende eine abstrakte Darstellung der Thematik. Anders wäre das nicht möglich.“ Melanie Stumpf selbst war in erster Linie als Französisch-Dolmetscherin dabei, hat schließlich aber gemeinsam mit Wieland Jagodzinski und den Leuten vor Ort vier unterschiedliche Projekte auf den Weg gebracht. Eines davon ist ein Schattentheaterstück, das die Thematik der weiblichen Genitalverstümmelung aufgreift. Im Anschluss an jede Aufführung wurde das direkte Gespräch mit dem Publikum gesucht. Es gab auch Einzelgespräche, „denn es ist kulturell bedingt eigentlich nicht möglich, dass die Frauen von sich aus das Wort in der Öffentlichkeit ergreifen“, sagt Melanie Stumpf.

Die Gespräche zeigten: „Es bleibt ein schwieriges Thema. Aber das Feedback war, dass verstanden wurde, um was es geht. Dass der traditionelle Brauch nicht notwendig, ja vielmehr sehr schädlich ist.“ Klares Ziel sei es, die Thematik weiterhin publik zu machen. Verschiedene Theatergruppen sind nach der Vorbereitung durch Wieland Jagodzinski und Melanie Stumpf nun weiterhin eigenständig in den Dörfern unterwegs.

Hemmschwelle wird niedriger

Als Puppenspieler hat Wieland Jagodzinski an ihrer ersten Station im kleinen Dorf Ouahabou eine Gruppe Einheimische für sich gewonnen und angeleitet. „Die Menschen vor Ort haben mit uns den Inhalt des Stücks festgelegt. Sie kennen die Thematik“, sagt Stumpf. Durch die Integration von Einheimischen ins Theaterspiel sei die Hemmschwelle für das Publikum etwas niedriger.

Das Stück selbst handelt von einem jungen Ehepaar, das sein erstes Kind erwartet. Bei der Geburt kommt es durch die Verstümmelungen der Mutter zu massiven Problemen. Das Kind stirbt ebenso wie sie selbst. Der Witwer trifft schließlich auf einen Imam, der ihm bestätigt, dass nirgends im Koran von einer notwendigen Beschneidung der Frauen die Rede ist und er die neu kennengelernte, nicht beschnittene Frau problemlos heiraten kann. Beide bekommen nach einer unkomplizierten Geburt ein gesundes Kind.

„Kinderreichtum ist in Burkina Faso ein großes Thema, unbeschnittene Frauen gelten aber nach wie vor als unrein und nicht heiratsfähig. Wir wollen aufrütteln: Ihr müsst nicht leiden, das ist nicht normal und steht so auch nirgends geschrieben“, erläutert Melanie Stumpf die Intention des Theaterprojekts.

Eines sei klar: „Die Uhren ticken dort anders. Aber das Engagement lohnt sich, nach und nach bewegt sich etwas.“ Umso wichtiger sei es, dass die Projekte vor Ort weitergeführt und möglichst weitreichend verbreitet werden.

Wieland Jagodzinski und Melanie Stumpf mit ihrer ersten Theatergruppe: Die meisten unter ihnen sind Bauern, die die beiden Deuts
Wieland Jagodzinski und Melanie Stumpf mit ihrer ersten Theatergruppe: Die meisten unter ihnen sind Bauern, die die beiden Deutschen drei Wochen bei dem Projekt unterstützt haben.Fotos: pr

Von der Idee bis zum Verein

Im Winter 2006/07 führte die Vereinsvorsitzende und Schattentheaterspielerin Regina Fährmann gemeinsam mit einer kleinen Gruppe westafrikanischer Bäuerinnen das erste Schattenspiel unter dem Titel „Mariam“ auf, das über die Folgen der Beschneidung von Mädchen und Frauen aufklärt.

Im Jahr 2002 war die Künstlerin aus Bad Boll im Rahmen eines Kulturaustausches mit europäischen Märchen im Gepäck nach Westafrika geflogen. Mithilfe des Schattentheaters sollte sie hier auch bei der AIDS-Aufklärung helfen.

Im selben Jahr gründete Regina Fährmann den Förderverein und weitere Theatergruppen.

Im November 2016 war Regina Fährmann mit Puppenspieler Wieland Jagodzinski zuletzt in Burkina Faso. Seit Februar 2018 setzt er die Arbeit vor Ort fort. eis