Weilheim und Umgebung

In der Freiheit der Berge

Neuanfang Die Familie Hägele aus Neidlingen bricht alle Zelte in der Region ab und bewirtet künftig in einer Berghütte in Österreich Wanderer. Viele kannten die Hägeles von den Wochenmärkten. Von Heike Siegemund

Die Familie Hägele vor ihrem Verkaufsstand in Neidlingen: Mittlerweile sind Elfi und Armin Hägele mit Töchterchen Emma bereits n
Die Familie Hägele vor ihrem Verkaufsstand in Neidlingen: Mittlerweile sind Elfi und Armin Hägele mit Töchterchen Emma bereits nach Österreich ausgewandert. Die 13-jährige Stefanie zieht später nach.Fotos: Heike Siegemund/privat

Alle Zelte abbrechen, nochmals ganz von vorn beginnen und auf eine Berghütte auswandern: In der Hektik des Alltags treibt dieser Gedanke viele um, doch nur wenige wagen letztlich diesen Schritt. Die Familie Hägele aus Neidlingen tut genau das: Elfi und Armin Hägele ziehen mit ihren beiden Kindern auf eine Berghütte in 1 466 Metern Höhe im österreichischen Lechtal. In der urigen „Sulzlalm“ im Sulzeltal bewirtet das Ehepaar künftig Wanderer und Ausflügler mit Tiroler Spezialitäten.

Die Hägeles sind keine Unbekannten in der Region: Viele kannten und schätzten sie wegen ihrer Landwirtschaft, mit Kartoffel, Obst- und Weinbau. Auf drei Wochenmärkten verkauften sie Obst, Gemüse, selbst gemachte Fruchtaufstriche, Destillate und mehr: in Nellingen, in Bad Ditzenbach und im Bad Überkinger Ortsteil Hausen. Außerdem boten sie ihre Waren jeden Samstag in Neidlingen an und bewirteten so manches Hochzeitsfest in ihrem Heimatort. Nun also der Schlussstrich, der viele schockiert - zumal die Entscheidung sehr spontan fiel: Mitte April informierten die Hägeles ihre Wochenmarkt-Kunden; schon Anfang Mai machte sich die Neidlinger Familie auf in die Alpenrepublik.

Dort erwartet sie kein Luxus: Elfi und Armin Hägele teilen sich mit ihren drei und 13 Jahre alten Töchtern Emma und Stefanie ein Schlafzimmer. Außer Bad und Toi­lette gibt es keine weiteren Privaträume. Zum Kochen und Essen nutzen die Hägeles die Küche und den Gastraum der „Sulzlalm“, die innen bis zu 35 und außen bis zu 200 Personen Platz bietet. „Wir sind Wohnen auf engem Raum gewohnt“, winkt Elfi Hägele schmunzelnd ab. In ihrer früheren Dachgeschosswohnung in Neidlingen hatte die Familie 56 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung - jetzt muss sie noch enger zusammenrücken. Doch die Hägeles freuen sich auf ihr neues Leben. „Ich werde schaukeln und mit dem Hund spielen“, sagt die kleine Emma begeistert. Auch ihre Schwester Stefanie ist gespannt: Einziger Wermutstropfen sei, dass es auf der Alm kein Wlan gibt, meint die 13-Jährige, die Anfang Mai noch nicht mit ihren Eltern und ihrer Schwester mitreiste: Bis zu den Sommerferien wohnt sie bei ihrer Patentante in Neidlingen; zum neuen Schuljahr besucht sie dann eine österreichische Schule.

Vieles verändert sich auch für die 36-jährige Elfi Hägele und ihren 49 Jahre alten Mann. Doch Fans der Berge sind sie beide. „In den Bergen stellt man fest, wie banal doch manche Dinge sind“, betont Elfi Hägele, die früher eine Zeit lang auf dem Bergbauernhof ihres Onkels in Österreich mithalf. Der größte Reiz an ihrem neuen Leben sei die gewonnene Freiheit, ergänzt sie. Das bestätigt ihr Mann: Er möchte vor allem „runterfahren, den Kopf frei kriegen - und es wäre schön, mehr Zeit für die Familie zu haben“.

Auf die „Sulzlalm“ kamen die Hägeles durch Zufall: Sie entdeckten im Allgäuer Bauernblatt eine Annonce: „Suche Pächter für sehr gut laufende Almhütte im Lechtal/Tirol Mai - Oktober“. Eine Nacht schliefen sie darüber - am nächsten Tag riefen sie an. Wenige Tage später fuhren sie nach Österreich, um mit dem Besitzer der Alm zu sprechen, der weiterhin die Landwirtschaft übernimmt, aber die Gastronomie abgeben wollte. Nachdem man sich gut verstanden hatte, bewarben sich Elfi und Armin Hägele offiziell bei der Gemeinde Holzgau. Und so kam es zum Treffen mit dem Bürgermeister, der den Hägeles sofort per Handschlag eine Zusage gab.

Wie es mit der Familie aus Neidlingen in den Wintermonaten weitergeht, steht noch in den Sternen. „Wir sind Arbeitstiere, wir kriegen einen Job“, zeigt sich Elfi Hägele zuversichtlich. Auch ihr Mann ist gelassen. „Vielleicht kaufen wir ein Haus mit Ferienwohnungen, die wir vermieten?“ Die Eltern und Verwandten lassen die Familie ungern ziehen, verstehen aber die Gründe (siehe Kasten). Wehmutstropfen für Elfi und Armin Hägele: das Zurücklassen von ihren Kunden hier. Manche haben zum Abschied Kuchen, Blumen oder ein Kärtchen überreicht. „Wir hätten nie gedacht, dass uns unsere Kunden so ans Herz gewachsen sind.“