Weilheim und Umgebung

Innovative Technik trifft auf moderne Architextur

Unternehmenswegzug Die Kirchheimer Firma Ortlieb verlässt die Teckstadt und zieht in den nächsten Wochen nach Zell unter Aichelberg um. Der Betrieb wurde im Landkreis Göppingen mit offenen Armen empfangen. Von Iris Häfner

Das neue Gebäude der Firma Ortlieb fällt am Ortseingang von Zell sofort ins Auge. Foto: Markus Brändli

Industriekomplexe und Ästhetik müssen sich nicht ausschließen. Diesen Beweis liefert die noch in Kirchheim ansässige Firma Ortlieb. Maßgeblich für die ins Auge fallende Architektur verantwortlich ist Dr. Dieter Simpfendörfer – Geschäftsführer, Ingenieur und Kunstsammler in Personalunion. Mangels adäquatem Angebot der Teckstadt hat es ihn mit seinem Betrieb über die Kreisgrenze nach Zell unter Aichelberg verschlagen, wo er mit offenen Armen empfangen wurde.
„Die beengten Produktionsverhältnisse und die überkommene Gebäudesubstanz in der Dettinger Straße in Kirchheim sind der Grund für den Neubau“, sagt Dieter Simpfendörfer. Das Grundstück im Zeller Gewerbepark „Wängen“ hat eine Größe von 14 500 Quadratmetern zuzüglich einer Optionsfläche von weiteren 5 500 Quadratmetern. Die Nutzfläche der Halle beträgt 5 800 Quadratmeter, das Verwaltungsgebäude 2 200. „Wir können hier bis zu 130 Mitarbeiter beschäftigen, im Moment haben wir rund 80“, erklärt der Geschäftsführer. Doch damit nicht genug: „Wenn die Situation es erfordert, können wir die Personalkapazitäten auf 200 bis 300 Mitarbeiter erweitern“. Fast alle Mitarbeiter gehen mit nach Zell, einige wenige sind nicht motorisiert und scheitern an den schwierigen Verbindungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die Bauarbeiter und Handwerker wuseln noch an allen Ecken und Enden durch die große Produktionshalle und den Verwaltungsbau. Einem Ufo gleich, dockt der lichtdurchflutete Halbrundbau an die Produktionshalle an. Welcher Geist hier weht, wird dem Besucher schon im Eingangsbereich bewusst. „Hier wird eine Skulptur von Jan Meyer-Rogge stehen. Das Kunstwerk hat eine Art Wächterfunktion“, sagt Dieter Simpfendörfer und zeigt auf das solide Fundament, auf dem es künftig stehen wird. Das ist auch nötig: Es ist etwa drei Tonnen schwer und rund 2,80 Meter hoch. Den großzügig gestalteten Innenraum des Verwaltungsgebäudes wird ein Werk des Stuttgarter Künstlers Camill Leberer schmücken, mit dem der Firmenchef befreundet ist.
Dieter Simpfendörfer lebt mit der Kunst, sie soll deshalb auch Einzug in das Firmengebäude halten im Einklang mit der Architektur, denn ein attraktives Arbeitsumfeld für seine Mitarbeiter liegt dem umtriebigen Macher am Herzen. „Ich sehe das Gebäude als Gesamtbauwerk. Über Industriearchitektur lässt sich Identität mit dem Betrieb schaffen. Die Menschen merken, ob sie willkommen sind oder nicht. Meine Mitarbeiter müssen keine Bittsteller sein – sie sind ein hohes Gut“, sagt Dieter Simpfendörfer. Er ist überzeugt davon, dass ihm das neue Firmengebäude hilft, gut qualifizierte Fachkräfte leichter akquirieren zu können als dies jetzt in dem vergleichsweise bescheidenen und alten Bau in Kirchheim der Fall ist.
Auch die Technik hat es in sich, der Geschäftsführer setzt auf die neuesten Umweltstandards. „Das Gebäudeensemble dürfte eines der technisch anspruchsvollsten und innovativsten Industriebauwerke Baden-Württembergs und darüber hinaus sein“, sagt er selbstbewusst. Die Abwärme der Maschinen sorgt sowohl für die Heizung als auch die Kühlung des Gebäudes. In der Halle gibt es einen Luftaustausch von 60 000 bis 80 000 Kubikmetern pro Stunde und weitere 17 000 im Verwaltungsrund. Dazu kommt noch eine Fotovoltaikanlage auf dem Hallendach. Sie produziert etwa 370 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Zu 85 Prozent wird diese Energie von der Firma Ortlieb selbst genutzt. Das ist etwa ein Drittel des durchschnittlichen Strombedarfs. „Wir wollen so weit wie möglich energieautark sein“, sagt Dieter Simpfendörfer über sein Konzept.


Firmengeschichte und Produkte

In der großen Halle steht schon vor dem großen Umzug einsam ein Bearbeitungszentrum – der Laie würde dazu Großmaschine sagen – hinter Planen geschützt. Dieses Zentrum kann drehen, fräsen und bohren und produziert so Spannsysteme mit hoher Produktivität: Die Belegungszeit hat sich um 80 Prozent reduziert. Mittlerweile steht das Pendant ebenfalls in Zell. Der Umzug hat also schon begonnen, abgeschlossen sein soll er Ende Juli.
Die beiden Bearbeitungszentren ersetzen elf Maschinen, die somit nicht umgezogen werden müssen. Allerdings werden 80 Apparate den Standort wechseln. Teilweise sind für den Wiederaufbau die Hersteller beauftragt.
„Wir sind ein traditioneller Betrieb, uns gibt es seit 106 Jahren“, erklärt Dieter Simpfendörfer. Die Ortlieb ­Präzisionssysteme GmbH & Co. KG wurde in Esslingen-Mettingen 1911 gegründet. In der Firma wurden Spannsysteme für Werkzeugmaschinen hergestellt.
„Seit der Übernahme durch die Beteiligungsgesellschaft der in Kirchheim ansässigen gemeinnützigen Wilhelm-Narr-Stiftung in den Jahren 1996 und 1999 kam die Lohnfertigung im Bereich der hydro-pneumatischen Komponenten von Lkw-Bremsen hinzu“, erläutert der Unternehmer. Zu den Kunden zählen die Firmen Bosch und Knorr-Bremse.
Nach der Jahrtausendwende hat Ortlieb mit der Entwicklung und dem Bau innovativer Antriebssysteme auf Basis von Planetenwälzgewindetrieben begonnen, einer Antriebstechnik aus der Raumfahrt. Seit 31. Dezember 2010 sind beide Firmen unter dem Dach der Ortlieb Präzisionssystem GmbH & Co. KG vereint. „Seitdem hat sich die Ertragssituation sehr positiv entwickelt“, freut sich der Chef.
Sein Unternehmen beschreibt er als einen der traditionsreichsten und renommiertesten Hersteller der klassischen Spanntechnik weltweit. „Zudem hat es sich in den vergangenen Jahren auch in der Antriebstechnik zu einem der globalen Technologieführer gemausert“, sagt Dieter Simpfendörfer. Sein Betrieb erreicht Jahresumsätze von 10 bis 12 Millionen Euro.
Die Produkte finden Absatz in den Branchen Werkzeugmaschinenbau, Automatisierungs- und Automobilindustrie. „Ein Umsatzanteil von mehr als 40 Prozent entfällt auf das Auslandsgeschäft, wobei der Löwenanteil des Exports wiederum den USA und China zuzurechnen ist“, verrät der Geschäftsführer.ih