Weilheim und Umgebung

Kinder büffeln auf dem Rummel

Volksfest Seit drei Jahren engagiert sich die Bissingerin Dora Schäfer-Hack in der Wasenschule in Bad Cannstatt. Hier drücken Schaustellerkinder für ein paar Wochen die Schulbank. Von Alicia Kaiser

Dora Schäfer-Hack (oben) macht ihre ehrenamtliche Tätigkeit große Freude: Zweimal im Jahr unterrichtet die pensionierte Lehrerin
In der Wasenschule in Bad Cannstatt übt vor dem Klassenzimmer eine Schaustellertochter das Geteilt-Rechnen mithilfe von Kastanien. Foto: Alicia Kaiser

Kreischende Kinder in Kettenkarusells, Süßkram, Dirndl und massenhaft Bier - das erwartet die Besucher auf dem Cannstatter Wasen. Am Rand des Festplatzes befindet sich jedoch eine Attraktion, von der die meisten nichts wissen und die auch nicht für sie bestimmt ist: die Wasenschule. Hier findet Unterricht für Schaustellerkinder statt. Dora Schäfer-Hack nimmt sich für ein paar Wochen im Jahr dieser Aufgabe an.

Wasenschule auf dem Cannstatter Volksfest, Dora Schäfer-Hack aus Bissingen ist dabei
Dora Schäfer-Hack aus Bissingen unterrichtet in der Wasenschule. Foto: Alicia Kaiser

„Jetzt wird‘s gleich wuseln“, meint sie, denn morgens um zehn herrscht reger Trubel in der Wasenschule. Die größeren Kinder packen unter lautem Geschwätz zusammen und verabschieden sich von ihren „Bildungspaten“. Zur gleichen Zeit trudeln die Grundschulkinder ein. An den Wänden hängen bunte Lernplakate und eine Tafel. Auf den Tischen liegen Bücher und Stifte. Ein paar Minuten später kehrt Ruhe ein, und die Kids fangen mit ihren Aufgaben an. - Wie in einer ganz normalen Schule. Aber der Schein trügt.

Wasenschule auf dem Cannstatter Volksfest, Dora Schäfer-Hack aus Bissingen ist dabei
Das Klassenzimmer für die Wasenschule stellt die Feuerwehr zur Verfügung. Foto: Alicia Kaiser

Die Wasenschule ist so ungewöhnlich wie ihre Schüler. Ihre Lebenswege unterscheiden sich ganz wesentlich vom Alltag der meisten Gleichaltrigen. Die Schaustellersprösslinge sind nahezu das ganze Jahr unterwegs und reisen von Fest zu Fest. Für viele von ihnen ist es ganz normal, zwanzig Mal im Jahr die Schule zu wechseln. Das bedeutet dauernd ein ungewohntes Umfeld und ständig das Gefühl, der Neue zu sein, der niemanden kennt. Außerdem variiert der Lehrplan von Bundesland zu Bundesland. Die Kids können nie davon ausgehen, dass ihre nächste Klasse gerade über dem gleichen Stoff brütet. Trotzdem sollen sie denselben Bildungsstand erreichen. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Schausteller Analphabeten sind. Auf die Unterstützung ihrer Eltern können die Kinder deshalb nicht unbedingt zählen. Ein Bildungspate bringt es auf den Punkt: „Die Kinder, die zu uns kommen, leben in einer anderen Welt.“ Hier spiele Bildung oft eine untergeordnete Rolle und es sei auch nicht unüblich, dass die Kleinen erst in den frühen Morgenstunden ins Bett gingen. Alleine schaffen sie das nicht: „Oft bleiben solche Kids ohne Chancen und werden im Schulsystem regelrecht diskriminiert“, bedauern die Bildungspaten.

Dem Schaustellernachwuchs helfen deshalb in der Wasenschule 28 Ehrenamtliche, darunter Dora Schäfer-Hack aus Bissingen. Sie betreuen die Schüler „eins zu eins“, das sei ideal, vor allem für die Jüngeren, meint die pensionierte Realschullehrerin und Bildunspatin aus Überzeugung. Für die Kinder sei es auch besonders wichtig, Vertrauen aufzubauen. Oft erzählen sie erst dann, was sie noch nicht können. Die Lücken herauszufinden und sie zu schließen, ist die Aufgabe der Paten, die sich liebevoll um ihre Schützlinge kümmern. Seit einem Jahr steht für Tests und Gruppenarbeit außerdem das Schulmobil zur Verfügung.

Die Atmosphäre in der Schule am Rand des Rummelplatzes ist entspannt. Der Umgang sei sehr respektvoll, erzählt Dora Schäfer-Hack: „Ich finde es beeindruckend, wie man mit so vielen verschiedenen Kindern ruhig und friedlich arbeiten kann.“ Für die Bissingerin stehen die Schüler im Vordergrund. Die Dankbarkeit der Kinder und Eltern, aber auch der Lernerfolg, geben der ehemaligen Lehrerin das gute Gefühl, sich sinnvoll zu engagieren.