Weilheim und Umgebung

Konflikte kennen keinen Stundenplan

Pädagogik Die Weilheimer Limburg-Grundschule wünscht sich mehr Schulsozialarbeit. Über einen entsprechenden Antrag, den die SBV gestellt hat, soll heute Abend der Gemeinderat entscheiden. Von Bianca Lütz-Holoch

Mal ist es eine Brotbox, die vom Tisch gestoßen wird, mal ein Schubser auf dem Pausenhof oder eine unbedachte Äußerung - oft sind es kleine Dinge, die für Grundschulkinder eine große Bedeutung haben. „Wir müssen während der Lernzeit immer wieder Konflikte klären“, sagt Ulrike Haist, Leiterin der Weilheimer Limburg-Grundschule. Das ist in Weilheim keineswegs schlimmer als anderswo. Im Gegenteil: „Wir sind keine Brennpunktschule“, betont die Rektorin. „Und wir verwahren uns dagegen, dass unsere Kinder auffällig sind.“

Dennoch wünscht sich die Schule eine umfassendere Schulsozialarbeit - eine Auffassung, wie sie auch die Esslinger Hochschulprofessorin Dr. Regine Morys vertritt (siehe Interview). Aktuell ist der Limburg-Grundschule eine 50-Prozent-Stelle zugewiesen. Die Soziale Bürgervereinigung Weilheim (SBV) hat im Rahmen der Haushaltsberatungen nun beantragt, die Stelle auf 75 Prozent zu erhöhen. Heute Abend entscheidet der Gemeinderat im Rahmen der Etatverabschiedung darüber.

Schulsozialarbeiterin Eva-Maria Schmidt kümmert sich in Weilheim um 13 Grundschulklassen und zwei Förderschulklassen. Sie macht Pausenangebote, führt Einzelgespräche mit den Kindern und übt mit ihnen immer wieder ein, wie sie sich bei Konflikten oder im Falle von Mobbing richtig verhalten. Auch steht die Sozialpädagogin Eltern und Lehrern als neutrale Beraterin zur Seite.

„Die Schulsozialarbeit sehen wir als Qualitätsmerkmal“, sagt Ulrike Haist. Gebraucht werde sie aber nicht nur stundenweise, sondern eigentlich während der gesamten Unterrichtszeit. „Wir brauchen verlässliche Zeiten“, verdeutlicht auch die stellvertretende Schulleiterin Eileen Müller. „Kinder stören und streiten schließlich nicht nur dann, wenn die Schulsozialarbeiterin laut Stundenplan gerade da ist.“ Und Streits gehören an Schulen nun mal zum Alltag. „In dem Alter haben Kinder oft noch nicht die richtigen Strategien, mit Konflikten umzugehen“, weiß Eileen Müller. Ihnen diese zu vermitteln, sei erklärtes Ziel der Schule. „Wir legen hier den Grundstein“, sagt die Konrektorin. „Und wenn Kinder von klein auf das richtige Verhalten lernen, beherrschen sie es auch, wenn sie groß sind.“

Die Limburg-Grundschule hat mehrere Programme, um Konfliktfähigkeit zu lernen. So achten auf dem Schulhof ausgebildete Grundschüler als „Pausenengel“ nach dem Rechten. „Faustlos“ schult die Kinder darin, gewaltfrei mit Wut und Ärger umzugehen und soziales Kompetenztraining lehrt sie Empathie.

Aber ganz ohne Hilfe von außen geht es eben nicht immer - vor allem nicht, ohne dafür Unterrichtszeit einzubüßen. „Manchmal können Schüler nach einen Streit einfach nicht weiterarbeiten, oder sie haben einen schlechten Tag, an dem sie wiederholt den Unterricht stören“, sagt Ulrike Haist. Auch können nicht alle Trainings und Übungen im Unterricht stattfinden. Genau dann kommt Schulsozialarbeiterin Eva-Maria Schmidt ins Spiel. Sie nimmt sich der Kinder außerhalb des Klassenzimmers an, spricht mit ihnen und hört zu. „Manchmal kommt raus, dass es morgens schon Streit mit den Geschwistern gab“, nennt Ulrike Haist ein Beispiel. Manchmal erzählt ein Kind aber auch, dass sich seine Eltern gerade trennen und es sich Sorgen darum macht, wie es mit ihm weitergeht. „Die Scheidungs- und Trennungsraten sind zum Teil sehr hoch“, weiß Ulrike Haist. Rund 20 Prozent der Weilheimer Grundschüler - so die Statistik - suchen die Schulsozialarbeiterin einmal auf, wenn sie Probleme haben. Acht bis zehn Prozent brauchen öfter Hilfe.

In schwierigen Situationen ist es oft auch für Eltern hilfreich, Kontakt zur Schulsozialarbeiterin aufzunehmen und sich bei ihr Rat in Erziehungsfragen zu holen. „Sie ist neutral und hat Schweigepflicht“, betont Eileen Müller.

Manche Kinder brauchen an der Schule einfach auch jemanden zum reden, der keine Noten verteilt und sie nicht nach ihren schulischen Fähigkeiten beurteilt. „Wir Lehrer kommen nun mal von der Leistungsseite, und es ist gut, wenn jemand den Blick auf andere Dinge richtet“, so Müller.

„Ideal wäre eine Stelle auf acht Klassen“

In Weilheim geht es im Rahmen der Haushaltverabschiedung heute Abend um die Erhöhung der Schulsozialarbeitsstelle. Aktuell kümmert sich dort eine 50-Prozent-Kraft um 13 Grundschul-Klassen und zwei Förderschul-Klassen. Bianca Lütz-Holoch hat mit Dr. Regine Morys, Professorin an der Hochschule Esslingen, darüber gesprochen, warum Schulsozialarbeit wichtig ist und in welchem Umfang sie sinnvollerweise stattfinden sollte.

 

Warum ist Schulsozialarbeit überhaupt notwendig?

Dr. Regine Morys: Die Schulsozialarbeit sieht die Kinder nicht in erster Linie als Schüler mit ihren Leistungen, sondern als Individuen mit unterschiedlichen Stärken und familiären Hintergründen. Sie ergänzt die Perspektive der Lehrkräfte und ist für Kinder und Eltern mit deren individuellen Problemen und Fragen da.

Geht es denn dabei vor allem um Kinder, die Schwierigkeiten haben?

Morys: Bei Bedarf arbeitet die Schulsozialarbeit natürlich auch intervenierend. Vor allem aber dient sie als vorbeugendes Angebot der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort an den Grundschulen. Sie unterstützt beim Gruppengeschehen in Schulklassen und kann eine wichtige Funktion zur Prävention von Gewalt, Mobbing und Diskriminierung haben. Sie unterstützt auch bei Schulwechsel und Inklusion und macht Angebote in den Bereichen Gesundheit, Medienbildung und Freizeitgestaltung. Nicht zuletzt sind Schulsozialarbeiter auch wichtige Ansprechpartner für die Lehrer und die Schulleitung.

Welches sind denn die „Hauptprobleme“ an Grundschulen?

Wir sprechen nicht von „Problemen“, sondern von „Entwicklungsaufgaben“. Herausforderungen für Kinder im Grundschulalter sind auf der einen Seite die Auseinandersetzung mit der Schülerrolle, die Beurteilung ihrer Leistungen und das Leistungsgefälle, also die Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten. Es geht aber auch um den Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen und darum, Regeln, Normen und ein Moralverständnis zu erwerben. Vor allem Kinder, die sich mit dem Schulsetting schwertun, kann die Schulsozialarbeit gut unterstützen und stärken.

In welchem Umfang sollte Schulsozialarbeit stattfinden, damit sie überhaupt sinnvoll ist?

Gerade wegen der Bedeutung der Grundschule als erster und grundlegender Schule und dem damit verbundenen Aufbau von Selbstkonzept, Schulfreude, und Leistungsmotivation sollte eine solide Ausstattung mit Schulsozialarbeitern erfolgen. Ideal wäre aus meiner Sicht eine ganze Stelle auf etwa acht Klassen.

Info Dr. Regine Morys ist Professorin an der Hochschule Esslingen und Leiterin des Bachelor-Studiengangs „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege. Vor ihrem Studium der Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Schulpädagogik war sie über zehn Jahre lang als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen tätig.