Weilheim und Umgebung

„Mehr Demokratie“: Bissingen ist im Bürgerrat vertreten

Initiative Ein Verein hat bundesweit 160 Menschen ausgelost, die an insgesamt zehn Tagen online über die deutsche Außenpolitik debattieren. Das Ergebnis wird dem Bundestag überreicht. Von Thomas Zapp

Ansicht - Gemeinde Bissingen mit Kirche und Rathaus
Blick auf die Gemeinde Bissingen mit Kirche und Rathaus. Foto: Jean-Luc Jacques

Um mediale Aufmerksamkeit geht es der Bissingerin oder dem Bissinger augenscheinlich nicht: Denn die einzige Person aus der Seegemeinde, die für den bundesweiten Bürgerrat ausgelost worden ist, möchte anonym bleiben. Mit 159 weiteren Bundesbürgern berät das Bissinger Mitglied des Gremiums seit gestern über Deutschlands Außenpolitik. Um möglichst repräsentativ zu sein, wurde der Bürgerrat in einem aufwendigen Prozedere zusammengestellt (siehe Infokasten).

Den Organisatoren des Vereins „Mehr Demokratie“ geht es dabei um die Möglichkeit, die Bürger stärker zu beteiligen. Der Name bezieht sich wohl nicht von ungefähr auf ein Zitat von Willy Brandt: Wir wollen mehr Demokratie wagen“, sagte er zu seinem politischen Programm als Bundeskanzler zu Beginn der 70er-Jahre. Dabei ging es ihm darum, die Menschen zur Mitverantwortung zu ermutigen, forderte dabei „Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen“. Das ist heute aktueller denn je.

Konkret geht es bei der zweiten Auflage des Bürgerrats um Deutschlands Rolle in der Welt. Auf zehn Online-Veranstaltungen werden die 160 Ausgelosten aller gesellschaftlichen Gruppen Empfehlungen dazu erarbeiten, wie die Bundesrepublik künftig auf der weltpolitischen Bühne auftreten soll. Dabei wird in fünf Themenbereichen diskutiert: Nachhaltige Entwicklung, Wirtschaft und Handel, EU-Außenpolitik, Frieden und Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Jede ausgeloste Person wird einem Themenbereich zugeordnet und diskutiert in immer wieder neu zusammengesetzten Kleingruppen - wegen Corona natürlich ausschließlich online. „Nur das Moderations- und Technik-Team ist in einem eigens dafür eingerichteten Studio am Alexanderplatz Berlin. Ohne Corona hätte der Bürgerrat vor Ort, wahrscheinlich in einem großen Berliner Hotel, stattgefunden“, sagt Sprecherin Anne Dänner. „Wir sehen das mal als Chance an, denn es wird sicher in Zukunft, auch ohne Corona, noch einige Online-Verfahren geben“, fügt sie hinzu. Doch die Organisatoren räumen auch ein, dass dadurch einige potenzielle Teilnehmer ausgeschlossen werden, zum Beispiel wenn ihnen die technischen Voraussetzungen fehlen.

Online werden auch ­Fachleute verschiedene Perspektiven zu den Einzelthemen darstellen und anschließend für Fragen zur Verfügung stehen. Alle Beratungen werden moderiert und dokumentiert. Insgesamt umfassen die Beratungen 50 Stunden. Auch werden die Beratungen moderiert, um möglichst alle gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen.

Am Ende der zehn Runden sollen die 160 Bürgerinnen und Bürger über Handlungsempfehlungen zur Außenpolitik abstimmen, die am 19. März in Form eines Bürgergutachtens von Bundestagspräsident Schäuble und allen Fraktionen entgegengenommen ­werden. „Ein geloster Bürgerrat bringt das ganze Land an einen Tisch. Bei diesem Bürgerrat geht es um Empfehlungen zu Deutschlands außen­politischer Rolle, aber auch darum, ein neues Element politischer Beteiligung zu erproben. Nebenbei gewinnen wir Erkenntnisse über Bürgerräte im Online-Format“, sagt ­Claudine Nierth, Vorstandssprecherin des Vereins „Mehr Demokratie“, der das Projekt in Kooperation mit der Initiative „Es geht LOS“ als selbst verantwortetes und eigenfinanziertes Modellprojekt organisiert. „Geloste Bürgerräte können die Distanz zwischen Bürgerschaft und Parlament überwinden und den Mitgliedern des Bundestages wichtige Entscheidungshilfen geben. Sie stärken das Vertrauen in die Demokratie und können die Politik bereichern.“

Die Idee eines Bürgerrates ist nicht neu. In Europa gilt er in Irland als am weitesten fortgeschritten und hat dort weitreichenden Einfluss gewonnen, etwa beim Thema Abtreibung. In Deutschland bekam die Idee im Zuge Fridays-­For-Future-Demonstrationen wieder Aktualität, als mehrere Aktivisten „Klima-Räte“ forderten. Allerdings hat das Format auch seine Grenzen: Eine Verpflichtung für die politischen Parteien, die Empfehlungen zu übernehmen, gibt es nicht.

Die offiziellen Teile der Themengruppen werden im Youtube-Kanal „Mehr Demokratie“ gezeigt. Große Sitzungen laufen im Livestream hier