Weilheim und Umgebung

Mit der Rechnung kommt der Schock

Verbraucher Eine Gas-Nachzahlung von 13 600 Euro – für Familie Böhm aus Weilheim steht sofort fest, dass ein Irrtum vorliegt. Doch bis sie ihren Gasanbieter davon zu überzeugen kann, dauert es. Von Bianca Lütz-Holoch

Wer die Jahresabrechnung für überhöht hält, muss zwar - unter Vorbehalt - zahlen, kann aber auf Regress klagen.Foto: Marcel Heck
Wer die Jahresabrechnung für überhöht hält, muss zwar - unter Vorbehalt - zahlen, kann aber auf Regress klagen.Foto: Marcel Heckel

Als Nicola Böhm den Brief mit ihrer Gasabrechnung öffnet, trifft sie fast der Schlag: 13 600 Euro soll die Weilheimerin fürs Jahr 2017 nachzahlen. In acht Tagen werde die Summe eingezogen, teilt ihr Gasanbieter - die Stadtwerke Heidenheim - darin mit. „Wer soll denn eine solche Summe aufbringen?“ fragt sich Nicola Böhm und schüttelt den Kopf über den angeblichen Gasverbrauch ihrer vierköpfigen Familie: „Damit könnte man ja eine mittelgroße Firma heizen“, sagt sie.

Schnell dämmert ihr, was schief gelaufen sein könnte. „Bei uns wurde ein Vierteljahr vorher der Gaszähler ausgetauscht“, so Böhm. Ein Blick auf das Gerät bestätigt ihren Verdacht: Der Stand dort stimmt nicht mit dem Protokoll überein, das die Netze BW beim Austausch erstellt hatte. Nicola Böhm ist erleichtert. „Ich habe beim Kundenservice der Stadtwerke Heidenheim angerufen und dachte, die Sache lässt sich leicht aus der Welt schaffen.“ Doch das ist nicht der Fall. „Die Frau am Telefon ist gar nicht auf meine Theorie mit dem Zähler eingegangen. Sie behauptete, unser Verbrauch sei zu niedrig und die Zahlen würden so stimmen“, ärgert sich Nicola Böhm. Ihre Bitte, das Unternehmen möge sich mit der Netze BW in Verbindung setzen habe die Mitarbeiterin zurückgewiesen. Auch ein Beweisfoto habe die Dame am Telefon nicht wollen. „Sie sagte, das könne man ja fälschen.“

Sprachlos gemacht hat die 51-jährige Weilheimerin noch etwas anderes: „Die Mitarbeiterin hat behauptet, ich hätte über Jahre falsche Zählerstände mitgeteilt. Durch den Zählertausch sei der Betrug nun aufgeflogen“, erinnert sich Nicola Böhm, die seit 16 Jahren Kundin bei den Stadtwerken Heidenheim ist, entsetzt an das Gespräch.

Michael Schäfer, Vertriebsleiter der Stadtwerke Heidenheim, widerspricht der Darstellung von Nicola Böhm. „Unsere Mitarbeiterin hat Frau Böhm niemals Betrug unterstellt“, betont er: „Ich war sogar zufällig im Raum, als die Servicemitarbeiterin mit Frau Böhm telefonierte und habe alles mitbekommen.“ Seine Kollegin habe lediglich gesagt, dass hohe Nachzahlungen zustande kommen können, wenn Zählerstände jahrelang nicht abgelesen, sondern der Verbrauch lediglich geschätzt werde.

Auch dass sich der Kundenservice geweigert habe, Erkundigungen bei der Netze BW einzuholen, sei falsch. „Es wurde ein Protokoll angefordert, das schon vorlag, als ich später selbst mit Frau Böhm telefoniert habe“, sagt Michael Schäfer. Die Kundin aus Weilheim, so sagt er, sei am Telefon sehr aufgebracht gewesen. Dafür hege er jedoch ein gewisses Verständnis: „Wenn ich eine Rechnung über 13 600 Euro Nachzahlung bekommen hätte, wäre ich auch vom Stuhl gefallen.“

Nicola Böhm unterdessen ergreift selbst die Initiative. „Ich habe mich an die Netze BW gewandt und gebeten, mit den Stadtwerken Heidenheim Kontakt aufzunehmen.“ Dort hat die Weilheimerin Glück: Die Mitarbeiterin entspricht ihrem Wunsch.

Gleichzeitig stoppt Nicola Böhm bei ihrer Bank die Abbuchung der 13 600 Euro an die Stadtwerke Heidenheim und weist das Kreditinstitut an, den ersten Abschlag für 2018 zurückzubuchen. Auf Grundlage der fälschlicherweise berechneten Nachzahlung hatten die Stadtwerke dafür bereits 1 300 Euro eingezogen.

Erst drei Wochen später kann Nicola Böhm aufatmen. „Es wurde alles schriftlich korrigiert“, sagt sie. Aber: Das Vertrauen in den Gasanbieter ist weg. „Deshalb habe ich beschlossen, den Vertrag vorzeitig zu kündigen - aus wichtigem Grund“, so Böhm. „Aber das wurde mir zwei Mal abgelehnt.“

„Ein außerordentliches Kündigungsrecht gibt es nicht“, sagt Michael Schäfer, Vertriebsleiter der Stadtwerke Heidenheim, auf Anfrage. Sein Unternehmen habe sich im Nachhinein nun aber dazu entschlossen, die Kundin vorzeitig aus dem Vertrag zu entlassen. „Aus Kulanz“, betont Schäfer. „Denn wir haben keinen Fehler gemacht. Die Netze BW hat den falschen Zählerstand übermittelt.“ Nachvollziehen lässt sich das bei der Netze BW nicht mehr. „Im Datensatz der Kundin ist uns nichts Außergewöhnliches aufgefallen“, sagt Pressesprecherin Dagmar Jordan.

Wer Schuld hat, ist für Nicola Böhm auch nicht so wichtig. „Es kann ja mal ein Fehler passieren, das ist gar nicht das Problem“, betont sie: „Was mich aufgebracht hat, ist die Art und Weise, wie ich als Kundin behandelt wurde.“ Und noch etwas fragt sie sich in dem Zusammenhang: „Ich wusste mir ja letztendlich zu helfen. Aber was, wenn so etwas einem älteren Menschen passiert oder jemandem, der nicht so gut Deutsch kann?“

Drei Fragen an Verbraucherschützer Matthias Bauer

1. Wie verhalte ich mich richtig, wenn ich eine zu hohe Gas- oder Stromrechnung bekomme?

Der Gas- oder Stromversorger kann im Normalfall darauf bestehen, dass seine Rechnungen umgehend bezahlt werden. Wehren können sich die Kunden trotzdem, nur in umgekehrter Reihenfolge: Wer die Jahresabrechnung für überhöht hält, muss zwar - unter Vorbehalt - zahlen, kann aber seinerseits auf Regress klagen.

2. Gilt das auch, wenn die Summe unverhältnismäßig hoch ist?

Anders sieht es aus, wenn die Jahresrechnung ohne ersichtlichen Grund eklatant nach oben geschnellt ist. Liegt der Anstieg bei mehr als dem Doppelten, kann der Kunde die Überprüfung des Stromzählers verlangen - und muss erst zahlen, sobald festgestellt ist, dass der Zähler funktioniert und der Verbrauch zutreffend ist. Ganz wichtig: Verbraucher sollten bei Streitigkeiten den Netzbetreiber auffordern, den Zähler bei einem Tausch zu Beweiszwecken aufzubewahren.

3. Aus welchen Gründen kann man einen Vertrag vorzeitig kündigen?

Verbraucher haben verschiedene Kündigungsmöglichkeiten: Sonderkündigungsrechte bei Preiserhöhungen und im Falle einer Insolvenz auch eine außerordentliche Kündigung. Fehler in der Rechnung und schlechter Service rechtfertigen eine Kündigung nur nach Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung. Wir raten an, Energieverträge nur auf die Dauer von zwölf Monaten und mit einer Kündigungsfrist von einem Monat abzuschließen. Falls der Vertragspartner nicht kundenfreundlich ist, kann so schnell reagiert und ein Anbieterwechsel eingeleitet werden.bil/Foto: pr

Info Matthias Bauer ist Abteilungsleiter für den Fachbereich Bauen, Wohnen, Energie bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.