Weilheim. 104 Jahre sind nicht nur für Menschen ein biblisches Alter. Bestatter Stefan Jäck aus Weilheim plant, eine alte Leichenkutsche zu restaurieren, damit der ideelle Wert
erhalten bleibt. Im Jahr 1912 hatte Jakobine Mühlhäusern vom Pfundhard den Leichenwagen an die Marktgemeinde Weilheim gestiftet. Der damalige Wert waren 1 000 Mark. Bis 1965 war die Kutsche in Weilheim im Einsatz, wurde dann nach Neidlingen ausgeliehen und kam am Schluss wieder in das Familienerbe der Stifterin. Lange Zeit stand das stattliche Gefährt herum und war dem Verfall bestimmt. Im vergangenen Herbst erhielt Stefan Jäck durch die ansässigen Landfrauen den Hinweis, dass in der Nachbarschaft ein altertümlicher Leichenwagen rumsteht. Stefan Jäck nahm sich nach langer Überlegung der Kutsche an und schaffte es grade noch vor dem Wintereinbruch, das Gefährt ins Trockene zu retten. Nun steht sie in der Garage und fristet, langsam bröckelnd, ihr Dasein.
Sabine Christ, eine Freundin von Stefan Jäck, ist Restauratorin und Gutachterin in Kirchheim und hat sich die alte Leichenkutsche angeschaut und umgehend ihre Unterstützung angeboten. Das musste sie auch, denn Stefan Jäck hatte ihr vorgeschlagen, mit Wasser und Putzlappen an die Arbeit zu gehen, um die Verschmutzungen zu beseitigen. Die Hände über dem Kopf zusammenschlagend erklärte Sabine Christ, dass bei dieser Restaurierung eher mit Zahnbürste und Wattestäbchen gearbeitet werden muss. Blattgold- und -silber seien mit einer speziellen Grundierung und Haftschicht am Holz angebracht. Jegliche grobmotorischen Putzversuche würden diese Haftschicht zerstören und damit der Kutsche den Rest geben.
Stefan Jäck rechnet mittlerweile aus, wie viele Zahnbürsten und Stäbchen er wohl bei der Feinarbeit verbrauchen wird. Die Statik der Kutsche lässt es nicht mehr zu, dass sie eine Renaissance erlebt und nochmals für den Sargtransport in den Einsatz kommt. „Das Risiko ist zu hoch“, erklärt Stefan Jäck, „und ich habe ja keine Pferde. Die Holzräder mit Stahlummantelung halten der Belastung nicht mehr Stand.“ In der Region sei der Wunsch nach einem Totentransport mit einer Kutsche kaum aufgekommen. Jedoch, weiß Jäck, gäbe es in Reutlingen einen Bestatter, der auf Wunsch mit Kutsche und Pferd anrückt. Es sei auch alles eine Frage des Geldbeutels. In der Stiftungsurkunde zum Beispiel war der Maximalpreis für den Transport auf zwei Mark festgesetzt und damit eine der Bedingungen für die Schenkung. Heutzutage liege die Preisklasse deutlich höher, schmunzelt Stefan Jäck.
Eine professionelle Restaurierung der Kutsche würde nach aktuellen Schätzungen rund 15 000 Euro kosten. Da mache er das, sinniert er, doch lieber selber, und wenn es Jahre dauert, bis er fertig sei. „In meiner Freizeit ist das für mich eine entspannende Beschäftigung“, erklärt Stefan Jäck überzeugt und schüttelt zugleich den Kopf, „obwohl ich als Firmengründer und Inhaber im Grunde gar keine Freizeit habe.“
Beim Betrachten der Kutsche fällt einem umgehend die Imposanz auf und vor allem die aufwendige Handarbeit an verschiedenen Stellen. Sei dies Klöppelkunst für die dunklen Stoffe, die edelst goldfarben verarbeitet wurden, oder die zum Teil reliefartigen Malereien an den Holzseitenwänden. Dort, wo die oberste Schicht zum Teil abgebröckelt ist, kann man deutlich erkennen, dass viele Stellen mit Gold und Silber bearbeitet wurden. Etliche Oberflächen müssen bei der Instandsetzung restauriert, wenn nicht renoviert werden. Die Gardinen mit den goldenen Klöppel- und Stickarbeiten sind zerrissen und voller Löcher. „Das wird schwierig“, meint Stefan Jäck, „aber spannend, und ich habe ja mit Sabine Christ fachkundige Unterstützung. Ich will den ideellen Wert erhalten und die Kutsche als Zeugin der Zeit in einem noch zu erstellenden Schauraum ausstellen.“ Er habe zwar nicht die fachlichen Kenntnisse, aber wichtig sei, dass solche Reliquien – auch wenn sie nicht grade ins Regal passen – für die Nachwelt erhalten bleiben. In seinem Gesicht kann man förmlich den Tatendrang und die Vorfreude auf die Feinarbeit mit Wattestäbchen sehen.