Weilheim und Umgebung

Mit Wattestäbchen ans Blattgold

Bestatter Stefan Jäck will eine 104 Jahre alte Leichenkutsche restaurieren

Der Weilheimer Bestatter Stefan Jäck nimmt Maß. Das Holz der Leichenkutsche war teilweise mit Blattgold bemalt. Fotos: Thomas Kr
Der Weilheimer Bestatter Stefan Jäck nimmt Maß. Das Holz der Leichenkutsche war teilweise mit Blattgold bemalt. Fotos: Thomas Krytzner

Weilheim. 104 Jahre sind nicht nur für Menschen ein biblisches Alter. Bestatter Stefan Jäck aus Weilheim plant, eine alte Leichenkutsche zu restaurieren, damit der ideelle Wert

erhalten bleibt. Im Jahr 1912 hatte Jakobine Mühlhäusern vom Pfundhard den Leichenwagen an die Marktgemeinde Weilheim gestiftet. Der damalige Wert waren 1 000 Mark. Bis 1965 war die Kutsche in Weilheim im Einsatz, wurde dann nach Neidlingen ausgeliehen und kam am Schluss wieder in das Familienerbe der Stifterin. Lange Zeit stand das stattliche Gefährt herum und war dem Verfall bestimmt. Im vergangenen Herbst erhielt Stefan Jäck durch die ansässigen Landfrauen den Hinweis, dass in der Nachbarschaft ein altertümlicher Leichenwagen rumsteht. Stefan Jäck nahm sich nach langer Überlegung der Kutsche an und schaffte es grade noch vor dem Wintereinbruch, das Gefährt ins Trockene zu retten. Nun steht sie in der Garage und fristet, langsam bröckelnd, ihr Dasein.

Sabine Christ, eine Freundin von Stefan Jäck, ist Restauratorin und Gutachterin in Kirchheim und hat sich die alte Leichenkutsche angeschaut und umgehend ihre Unterstützung angeboten. Das musste sie auch, denn Stefan Jäck hatte ihr vorgeschlagen, mit Wasser und Putzlappen an die Arbeit zu gehen, um die Verschmutzungen zu beseitigen. Die Hände über dem Kopf zusammenschlagend erklärte Sabine Christ, dass bei dieser Restaurierung eher mit Zahnbürste und Wattestäbchen gearbeitet werden muss. Blattgold- und -silber seien mit einer speziellen Grundierung und Haftschicht am Holz angebracht. Jegliche grobmotorischen Putzversuche würden diese Haftschicht zerstören und damit der Kutsche den Rest geben.

Stefan Jäck rechnet mittlerweile aus, wie viele Zahnbürsten und Stäbchen er wohl bei der Feinarbeit verbrauchen wird. Die Statik der Kutsche lässt es nicht mehr zu, dass sie eine Renaissance erlebt und nochmals für den Sargtransport in den Einsatz kommt. „Das Risiko ist zu hoch“, erklärt Stefan Jäck, „und ich habe ja keine Pferde. Die Holzräder mit Stahlummantelung halten der Belastung nicht mehr Stand.“ In der Region sei der Wunsch nach einem Totentransport mit einer Kutsche kaum aufgekommen. Jedoch, weiß Jäck, gäbe es in Reutlingen einen Bestatter, der auf Wunsch mit Kutsche und Pferd anrückt. Es sei auch alles eine Frage des Geldbeutels. In der Stiftungsurkunde zum Beispiel war der Maximalpreis für den Transport auf zwei Mark festgesetzt und damit eine der Bedingungen für die Schenkung. Heutzutage liege die Preisklasse deutlich höher, schmunzelt Stefan Jäck.

Eine professionelle Restaurierung der Kutsche würde nach aktuellen Schätzungen rund 15 000 Euro kosten. Da mache er das, sinniert er, doch lieber selber, und wenn es Jahre dauert, bis er fertig sei. „In meiner Freizeit ist das für mich eine entspannende Beschäftigung“, erklärt Stefan Jäck überzeugt und schüttelt zugleich den Kopf, „obwohl ich als Firmengründer und Inhaber im Grunde gar keine Freizeit habe.“

Beim Betrachten der Kutsche fällt einem umgehend die Imposanz auf und vor allem die aufwendige Handarbeit an verschiedenen Stellen. Sei dies Klöppelkunst für die dunklen Stoffe, die edelst goldfarben verarbeitet wurden, oder die zum Teil reliefartigen Malereien an den Holzseitenwänden. Dort, wo die oberste Schicht zum Teil abgebröckelt ist, kann man deutlich erkennen, dass viele Stellen mit Gold und Silber bearbeitet wurden. Etliche Oberflächen müssen bei der Instandsetzung restauriert, wenn nicht renoviert werden. Die Gardinen mit den goldenen Klöppel- und Stick­arbeiten sind zerrissen und voller Löcher. „Das wird schwierig“, meint Stefan Jäck, „aber spannend, und ich habe ja mit Sabine Christ fachkundige Unterstützung. Ich will den ideellen Wert erhalten und die Kutsche als Zeugin der Zeit in einem noch zu erstellenden Schauraum ausstellen.“ Er habe zwar nicht die fachlichen Kenntnisse, aber wichtig sei, dass solche Reliquien – auch wenn sie nicht grade ins Regal passen – für die Nachwelt erhalten bleiben. In seinem Gesicht kann man förmlich den Tatendrang und die Vorfreude auf die Feinarbeit mit Wattestäbchen sehen.

Mit Wattestäbchen ans Blattgold
Mit Wattestäbchen ans Blattgold

Betreuer, Berater und Begleiter

Weilheim. Heute kommt der Tod überraschender, weil man sich heute kaum Gedanken über das Sterben macht. Vor 100 Jahren starb der Mensch zu Hause und wurde dort auch aufgebahrt. Wer sich nicht schon zu Lebzeiten – Waldbesitz vorausgesetzt – den eigenen Sarg gebaut und auf den Dachboden gestellt hatte, wurde vom Schreiner oder Sargbauer vermessen. Den Tod stellten damals nicht die Mediziner fest, sondern die Leichenbeschauer. Dazu war in der Gemeinde oder Stadt eine Leichenbesorgerin bestellt, die für 50 Mark im Jahr die Toten wusch und bekleidete. Die drei Tage dauernde Totenwache wurde zu zweit abgehalten, und während dieser verschränkte man den Verstorbenen die Hände auf der Brust, um es zu sehen, falls der vermeintliche Tote noch atmete. Nach diesen drei Tagen lieferte der Schreiner den Sarg. Die Leichenkutsche kam mit Pferdegespann zum Haus des Verstorbenen, und dann ging es direkt zum Friedhof, wo die Trauerfeier und die Erdbestattung stattfanden.

Erst während des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahre 1963 gab der Vatikan die Feuerbestattungen frei, und diese durften bis vor 20 Jahren nur von Land und Kreis durchgeführt werden. Damals war eine Feuerbestattung auch an die Glaubensfrage geknüpft. Es galt der Glaube, dass man im verbrannten Zustand am jüngsten Tage der Auferstehung nicht in den Himmel käme.

War es früher immer der gleiche Ablauf: Tod – Kutsche – Friedhof, gestaltet sich die heutige Bestattungskultur individueller. Gab es lange Zeit nur die Erdbestattung, kann man heute aus vielen Begräbnisarten auswählen. Feuerbestattung, Seebestattung und Friedwaldbestattung ergänzen die Möglichkeiten, und selbst die Trauerzeit kann heute praktisch personenbezogen gestaltet werden. Die Möglichkeit, die eigene Bestattung vorher zu bestimmen, nutzen aber noch sehr wenig Menschen, weiß Bestatter Stefan Jäck. „Es wäre für die Angehörigen wesentlich einfacher, da beim letzten Weg eines Menschen die Planung mit vielen Gewissensbissen verbunden ist“, erklärt Jäck und fährt fort, „in solchen Fällen sind die Bestatter dann Betreuer, Berater und Begleiter.“ Oft werde der letzte Wille der Verstorbenen oder die Gestaltung der Hinterbliebenen infrage gestellt. „Nach wie vor herrscht beim Tod und was dazugehört eine recht konservative Meinung.“

Er selbst, so Jäck, empfinde die Individualität bei der Bestattung als bessere Trauerbewältigung. Die Wünsche machen die Arbeit spannender, aber auch arbeitsreicher. Man erlebe viel, plaudert Stefan Jäck aus dem Nähkästchen. Hätten früher getragene Orgelstücke die Trauerfeier begleitet, greife man heute eher auf Musik von Andreas Gabalier oder auf das Ave Maria von Helene Fischer zurück. Als speziell betitelte Jäck den Wunsch vor einiger Zeit, am offenen Sarg einen Sektempfang zu geben. „Aber solange es würdevoll ist“, berichtet er, „gibt es unzählige Möglichkeiten. Aber Stripperinnen am Sarg, wie es in Japan üblich ist, oder ein Feuerwerk auf dem Friedhof lehne ich ab, das geht dann zu weit.“ Dazu komme die Kostenfrage. Viele Anfragen von Angehörigen gingen in Richtung Discount-Bestatter. Bei diesen Angeboten fehle jedoch das Individuelle, und für jeden zusätzlichen Wunsch müssen man viel bezahlen. In den meisten Fällen seien dies versteckte Kostenfallen.

Auf die Frage nach dem schlimmsten Erlebnis wird Stefan Jäck nachdenklich: „Das war am 11. März 2009, der Amoklauf von Winnenden. Da war ich bei der Krisenintervention und habe als Seelsorger die Bestatter betreut, die die vielen Kinder aus dem Schulhaus tragen mussten.“ So etwas wünsche man niemandem, da sei ihm die eine Trauerfeier viel lieber gewesen, bei der sich der Verstorbene das Lied „Spiel mir das Lied vom Tod“ als Musik gewünscht hatte.

Eine weitere Kuriosität im sonst ernsten und würdevollen Bestattungsgeschäft sei, so Jäck schmunzelnd, die Verdrehtheit mit den Jahreszeiten. Im Winter, wenn der Boden hart und zum Teil gefroren ist, gäbe es die meisten Erdbestattungen und im Sommer mehr Einäscherungen. Stefan Jäck grinst verschmitzt bei der Frage, ob er seine eigene Beerdigung schon geplant habe.

„Ich wäre ein schlechter Bestatter, wenn ich nicht schon den Plan im Kopf hätte, aber niedergeschrieben habe ich den Ablauf noch nicht.“ Dann zieht er den dunklen, langen Mantel an und verabschiedet sich mit den Worten: „Ich muss los, eine Kundin wartet.“