Weilheim und Umgebung

Nach dem Viehmarkt in die „Tanne“

Serie Früher gehörte zur Bäckerei am Weilheimer Scholderplatz auch eine Gaststätte. Dort trafen sich Landwirte und Ausflügler, Tanzbegeisterte und Fußballer. Von Bianca Lütz-Holoch

Namensgeber für die Wirtschaft zur Tanne war der hohe Baum auf dem Scholderplatz. Um die Jahrhundertwende hieß die Gaststätte no
Namensgeber für die Wirtschaft zur Tanne war der hohe Baum auf dem Scholderplatz. Um die Jahrhundertwende hieß die Gaststätte noch Wirtschaft von J. Eck. Nach dem Kirschenmarkt auf dem Scholderplatz kehrten die Landwirte im Gasthaus ein.Fotos: Stadt Weilheim

Dass am Scholderplatz  8 in Weilheim Brot und Brezeln über den Ladentisch gingen, ist noch gar nicht lange her. Stillgelegt wurden Laden und Backstube erst, als die Bäckerei Scholderbeck vor fünf Jahren ihren Neubau im Gewerbegebiet Tobelwasen bezog.

Die Gastwirtschaft „Tanne“ dagegen, die sich im gleichen Haus befand, ist schon seit den Achtzigerjahren Geschichte. „Zwanzig Jahre lang haben wir Bäckerei und Gaststätte parallel geführt“, erinnert sich Werner Sigel, der noch heute mit seiner Frau in dem Haus am Scholderplatz lebt. Dann entschied sich das Ehepaar jedoch, die Wirtschaft aufzugeben und nur noch die Bäckerei weiterzuführen. „Das hat einfach nicht zusammengepasst“, sagt Werner Sigel. Manchmal, wenn es spät wurde, kam Werner Sigel erst um Mitternacht ins Bett. Drei Stunden später musste er wieder in der Backstube stehen.

Übernommen hatten Bäckermeister Werner Sigel und seine Frau Else den Betrieb im Jahr 1964 von Werner Sigels Eltern Jakob und Marie Sigel. Diese führten Laden und Lokal von 1927 an. Heute sind Werner Sigels Sohn Bernd und dessen Frau Eve Neubold-Sigel Chefs der Bio-Bäckerei Scholderbeck.

„Benannt worden ist die Wirtschaft nach der großen Tanne, die früher auf dem Scholderplatz stand“, erzählt Werner Sigel. Einst war der Scholderplatz Austragungsort zahlreicher öffentlicher Veranstaltungen: Der Rummel machte dort ebenso Station wie Zirkusleute, Kessel- und Schirmflicker. Vieh- und Kirschenmarkt sowie die Auswahl von Zuchtstieren fanden auf dem Platz statt. Auch der TÜV kam dorthin und versah Traktoren mit neuen Plaketten.

„Im Anschluss an die Veranstaltungen kamen die Bauern dann in die Tanne und bestellten ein Glas Most oder Bier“, so Werner Sigel. Das Bier bezogen übrigens schon Werner Sigels Eltern von einer Brauerei in Plochingen. An besonders feucht-fröhlichen Abenden wurden im Wirtshaus auch mal Wetten abgeschlossen - und zwar ging es darum, wer es wohl schaffe, die Tanne auf dem Scholderplatz hinaufzuklettern. Werner Sigel selbst kann sich an den Baum nicht mehr erinnern, sondern kennt ihn nur aus Erzählungen seiner Eltern. „Sie hat wohl nur bis Mitte der Dreißigerjahre dort gestanden“, so der heute 82-Jährige.

Beliebt war das Gasthaus zur Tanne aber nicht nur bei den Landwirten. Werner Sigels Mutter Marie pflegte im Nebenraum Tanztees zu veranstalten. Für musikalische Unterhaltung sorgte ein ganz besonderes Piano. „Dort stand ein elektrisches Klavier, und wenn man zehn Pfennig einwarf, spielte es eine Melodie.“ Werner Sigels Vater Jakob dagegen war für sein Eis bekannt. „Er hat schon in den Dreißigerjahren selbst Speiseeis hergestellt und auf Festen verkauft“, erzählt Werner Sigel - einmal sogar im Winter: „Das war eine große Attraktion.“

Als Werner Sigel und seine Frau die Gastwirtschaft führten, kamen sonntags oft auch Geschäftsleute aus Kirchheim mit ihren Familien mit dem Zug nach Weilheim, um in der Tanne Kaffee zu trinken und Käsekuchen zu essen. Abends trafen sich Werner Sigels Fußball-Kameraden in der Gaststube. Auch Spielerversammlungen wurden dort abgehalten.

Die Geschichte des Hauses am Scholderplatz reicht jedoch noch weiter zurück. „Es wurde um 1700 erbaut“, sagt Werner Sigel. 1898 war Johannes Eck dort Gastwirt und Bäcker. Damals hieß das Lokal noch Wirtschaft von J. Eck. Eine Nachbarin, die Ahnenforschung betrieben hat, ist zudem auf Quellen gestoßen, denen zufolge es schon 1736 eine Bäckerei am Scholderplatz gegeben haben soll, geführt von Johannes Schaufler.

Namensgeber für die Wirtschaft zur Tanne war der hohe Baum auf dem Scholderplatz. Um die Jahrhundertwende hieß die Gaststätte no
Namensgeber für die Wirtschaft zur Tanne war der hohe Baum auf dem Scholderplatz. Um die Jahrhundertwende hieß die Gaststätte noch Wirtschaft von J. Eck. Nach dem Kirschenmarkt auf dem Scholderplatz kehrten die Landwirte im Gasthaus ein.Fotos: Stadt Weilheim

Über die Serie „Alte Gastwirtschaften“

Serie Der Teckbote stellt in einer Serie „Alte Gastwirtschaften“ in Weilheim vor. Grundlage dafür ist eine Liste, die der Weilheimer Stadtführer Wilhelm Braun zusammengestellt hat.

Quellen Informationen zu den Gasthäusern stammen zum Teil aus Archiven und Chroniken. Vieles ist aber auch mündlich überliefert und basiert auf Erzählungen ortskundiger Bürger. Die Artikel der Serie sind deshalb nicht mit wissenschaftlichen Arbeiten gleichzusetzen, sondern dienen vielmehr dazu, Erinnerungen festzuhalten.

Kontakt Wer andere oder zusätzliche Informationen zu alten Gaststätten in Weilheim hat, kann unter 0 70 21/97 50 22 gerne telefonisch Kontakt mit der Redaktion aufnehmen. bil