Weilheim und Umgebung
Pfarrer will Volk „aufs Maul schauen“

Karriere Peter Brändle, einst Pfarrer in Weilheim, leitet seit einem Jahr die evangelische Gemeinde in Wendlingen. Von Kerstin Dannath

Seit gut einem Jahr hat die evangelische Kirchengemeinde in Wendlingen einen neuen geschäftsführenden Pfarrer. Derzeit gibt es drei Pfarrstellen in der Stadt: Der „Neue“, Peter Brändle, hat seine Zuständigkeit im Pfarramt Nord - im Süden schaltet und waltet Pfarrer Paul-Bernhard Elwert, im Osten Pfarrer Hans-Peter Moser. Wichtig ist Brändle dabei: „Ich bin nicht der Vorgesetzte von meinen Pfarr-Kollegen - bei mir laufen nur die Fäden zusammen.“ Nach der Fusion der beiden evangelischen Kirchengemeinden aus Wendlingen und Unterboihingen hatten sich die Verantwortlichen zunächst auf dieses Konstrukt geeinigt. Von 2024 an wird eine Pfarrstelle wegfallen. Die Zuständigkeitsbereiche sollen dann auf Wendlingen und Unterboihingen aufgeteilt werden.

Neben privaten Gründen - seine drei Kinder leben bei seiner Ex-Frau in Weilheim - hat sich der heute 54-Jährige nach einem fünfjährigen Ausflug in die freie Wirtschaft vor allem aus einem Grund für die Aufgabe in Wendlingen entschieden: „Das Projekt Johannesforum hat mich gereizt. Mitten in der Stadt mit der Kirche präsent zu sein, ist was ganz Besonderes.“ Auch wenn er sich als geschäftsführender Pfarrer nun mit allerlei fachfremden Angelegenheiten herumschlagen muss: „Ein solches Bauprojekt zu steuern ist eine Herausforderung, schließlich hat man das als Pfarrer ja nicht gelernt. Gleichzeitig ist es aber eine unglaublich große Chance.“

Abriss hinterlässt Wunden

Anstelle der ehemaligen Johanneskirche entsteht derzeit ein neues Gemeindezentrum und eine Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung. Die Bauherrenschaft teilen sich die evangelische Kirchengemeinde und die Bruderhausdiakonie, unter deren Ägide das inklusive Wohnprojekt betrieben werden soll. 2022 soll alles fertig sein. Von der Johanneskirche ist nur noch der alte Glockenturm übrig. Der markante, einem Zeltdach ähnelnde Bau wurde 1961 errichtet und war neben der altehrwürdigen Eusebiuskirche aus dem 15. Jahrhundert das zweite evangelische Gotteshaus in der Stadt. Die über zehn Jahre währende, teilweise harsch geführte Diskussion über die Zukunft der Kirche hat tiefe Gräben bei den Wendlinger Gemeindemitgliedern aufgeworfen. Nach einem Bürgerentscheid erfolgte 2020 schließlich der Abriss.

„Die Wunden mit Blick auf den Abriss sind noch da und werden auch noch Zeit benötigen, um zu heilen. Aber ich habe nun nach einem Jahr das Gefühl, dass der Heilungsprozess langsam beginnt, das freut mich sehr“, sagt Brändle. Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass mit Brändle und seinen beiden Kollegen, die beide ebenfalls noch nicht allzu lange in Wendlingen tätig sind, frischer Wind durchs Gotteshaus fegt. Natürlich ist das auch der Corona-Pandemie geschuldet - schließlich musste sich die Kirchengemeinde im März 2020 für ihre seelsorgerischen Dienste auf die Schnelle neue Wege aus dem Ärmel schütteln. „Wir hatten bereits am ersten Sonntag nach Verhängung des ersten Lockdowns ein digitales Gottesdienstangebot am Start“, erinnert sich Peter Brändle. Seitdem werden regelmäßig digitale Gottesdienste angeboten. Der Bedarf ist da - die Veranstaltungen verbuchen bis heute zwischen 400 und 1000 Aufrufe im Netz. Und die Digitalisierung hat für Brändle einen weiteren unschlagbaren Vorteil: „Wir können so Menschen erreichen, die sonst nie einen Fuß in die Kirche setzen würden. Die Schwelle ist so viel niedriger geworden.“

Ein Ort zum Kraft schöpfen

Überhaupt sind es die Menschen, die dem Theologen, dessen letzte Pfarramtsstation vor Wendlingen in Weilheim war, am Herzen liegen. „Wir können als Kirche nicht warten, bis die Menschen zu uns kommen. Diese Zeiten sind definitiv vorbei.“ Die Kirche ist für ihn aber kein Auslaufmodell: „Ich halte gerne jeden Sonntag einen Gottesdienst, aber nur darauf zu harren, dass die Leute kommen, ist wenig zukunftsfähig.“

Schon bei seinen vorherigen Stationen hat Brändle immer das Gespräch mit den Vereinen und Bürgern gesucht, sei es auf dem Wochenmarkt oder bei Festen. Solche Begegnungen hat die Pandemie weitestgehend ausgebremst - bis es wieder mehr Möglichkeiten gibt, suchen Brändle und Co andere Wege. „Da ist zum Beispiel das Projekt ‚Geöffnete Eusebiuskirche’. Wir haben ein Team gefunden, das die Kirche morgens auf- und abends abschließt und eventuell kleine spirituelle Angebote wie eine Kerze anzünden macht.“ Denn die Kirche soll ein Ort sein, an dem Menschen Kraft schöpfen können - und zwar nicht nur am Sonntag für eine Stunde während des Gottesdienstes: „Schließlich ist die Kirche viel mehr als nur die Arbeitsstätte des Pfarrers.“ Wichtig dabei sei auch, Zugang zu den Menschen zu finden. Dabei spielt für Brändle die Sprache eine große Rolle: „Schon Luther hat gesagt: ‚Ihr müsst dem Volk aufs Maul schauen.’ Wir müssen also eine Sprache sprechen, die die Leute verstehen. Es ist oft ein Problem, dass wir Kirchenleute uns an Wörtern bedienen, die für den modernen Menschen nicht mehr verständlich sind.“