Weilheim und Umgebung
Tanzen mitten in der Natur

Lebenslust Funkkopfhörer auf und los geht’s: Zur „Wave-Tour“ von Carmen Merstadt treffen sich die Teilnehmer an unterschiedlichen Orten wie etwa auf dem Breitenstein. Von Heike Siegemund

Der Wanderparkplatz Breitenstein bei Ochsenwang ist an diesem warmen Sommerabend voll. Viele zieht es vor zum Aussichtspunkt, sie wollen durchatmen nach der Hitze des Tages, den traumhaften Ausblick vom Felsplateau aus genießen, den Sommer spüren. Eine Gruppe junger Männer hat eine Sisha-Pfeife mitgebracht, der Duft zieht über die Hochfläche.

Auch Carmen Merstadt aus Reichenbach im Täle (Kreis Göppingen) ist an diesem Abend auf dem Breitenstein anzutreffen: Zusammen mit 25 Frauen und Männern aus Kirchheim, Esslingen, dem Oberen Filstal, aus Schwäbisch Gmünd und weiteren Städten und Regionen begibt sie sich auf eine „Wave-Tour“ - eine Bewegungsmeditation, bei der die Teilnehmer Funkkopfhörer tragen und zu Musik inmitten der Natur tanzen. „Aho myta kui oyasin“. Dieser schamanische Satz heißt so viel wie: Wir alle sind im gleichen Kreislauf des Lebens. Wir sind alle eins und mit allem verbunden, wir gehören zusammen“: Während Carmen Merstadt das Thema des Abends vorstellt, stehen die Teilnehmer in einem großen Kreis beieinander. Anschließend nennt jeder seinen Vornamen und ein Wort, das ihm spontan in den Sinn kommt. Es fallen Begriffe wie Lebensfreude, Erwartung, Wärme, Glück. Alle sind gut drauf, die Stimmung ist ausgelassen.

Dann greift jeder zu einem der Kopfhörer, die mit einer Aufschrift wie „Sei nicht perfekt, sei glücklich“ oder „Tanz dich glücklich“ versehen sind, und sucht sich einen Platz auf der Hochfläche. Die Musik setzt ein, noch ruhig und langsam. Die „Wave-Tour“ beginnt.

Ein Mann sitzt im Schneidersitz mit geschlossenen Augen ganz still direkt am Felsvorsprung und lässt die Klänge auf sich wirken. Weiter hinten hat es sich ein anderer Mann mitten im Feld bequem gemacht. Nebenan lehnt eine Frau an einem Baum und bewegt sich zur Musik sanft hin und her. Nur die wenigsten tragen Schuhe. Die Teilnehmer wollen den Boden spüren, die Verbundenheit mit der Erde.

Kraft tanken und loslassen: Die Tanzmeditation beginnt ruhig und steigert sich nach und nach.

Es sind fünf Rhythmen, die die Frauen und Männer in den folgenden 105 Minuten über die Kopfhörer wahrnehmen und die eine Wave, also eine Welle, bilden. Die Rhythmen nennt Carmen Merstadt Flowing, Staccato, Chaos, Lyrical und Stillness. Was sanft beginnt, steigert sich nach und nach bis zum Höhepunkt, dem Chaos, und flacht dann wieder ab. „Im Chaos kann man ganz viel loslassen, auch mal stampfen und schreien“, sagt die 54-Jährige. Und tatsächlich: Auch an diesem Abend rufen die Teilnehmer laut, lachen und singen, recken ihre Arme in die Höhe, hüpfen, sind glücklich – jeder für sich und doch zusammen.

Und genau das ist es, was für Klarissa Veit aus Deggingen die „Wave-Tour“ ausmacht: „Ich kann bei mir selbst ankommen, gleichzeitig tut mir die Gemeinschaft gut.“ Bei der Tanzmeditation könne man sein wie man ist und müsse keine Erwartungen erfüllen. „Man ist im Hier und Jetzt mitten in der Natur und kann seinen Energiespeicher auffüllen“, erklärt sie. „Beim ersten Mal hatte ich noch Hemmungen, bis ich gemerkt habe: Es interessiert niemanden, was du machst und wie du dich bewegst.“ Und tatsächlich ist auch an diesem Abend auf dem Breitenstein niemand zu sehen, der sich an den tanzenden Frauen und Männern stört.

Die Teilnehmer der "Wave-Tour" suchen sich auf der Hochfläche am Breitenstein einen Platz, um alleine oder mit anderen zu tanzen.

Auch Nadine Nille aus Bad Ditzenbach, die zum sechsten Mal dabei ist, betont: Für sie ist die „Wave-Tour“ eine Möglichkeit, „den Akku aufzuladen und Luft zu holen vom Alltag“. Freilich sei es Typsache und man müsse sich trauen, frei zu sein und auch vor fremden umstehenden Menschen, die die Musik nicht hören können, zu tanzen. Aber lasse man sich darauf ein, profitieren Körper und Seele, betont sie und schwärmt: „Ich brenne voll dafür. Danach fliege ich immer heim“.

Der älteste Teilnehmer an diesem Abend ist der 82-jährige Manfred, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Das Tanzen in der Natur gebe ihm so viel Kraft und Energie – „da kann keine Arznei mithalten“, sagt er. „Die Leute lachen, man lacht zurück, hält dazwischen einen Schwatz. Das ist super“, freut er sich. Vor 20 Jahren hätte er sich niemals getraut, an einer solchen Aktion teilzunehmen. „Man muss sich befreien. Männer tun sich damit generell schwerer.“

Carmen Merstadt ist die Initiatorin der "Wave-Tour". Die Bewegung und gleichzeitig die Begegnung mit anderen Menschen bewirke Positives, betont sie.

Unterdessen sind die einzelnen Rhythmen wie im Fluge vergangen. Die Gruppe ist inzwischen in der Stillness angekommen. Zum Abschluss der Wave stehen oder sitzen viele der Teilnehmer am Felsplateau, kommen zur Ruhe, blicken dem Sonnenuntergang entgegen, lassen ihre Gedanken kreisen. Als die Musik schließlich verstummt, nehmen die Teilnehmer die Kopfhörer ab und kommen wieder in einem Kreis zusammen. Dort darf jeder erneut seine Gefühlslage beschreiben. „Barfuß ist schön“ ist da zum Beispiel zu hören. Oder: „Einfach nur loslassen, ohne sich darum zu kümmern, was andere denken“. Andere wiederum fassen ihre Stimmung mit einem einzigen Wort zusammen: „Musikerfüllt“, „dankbar“, „vollgetankt“ - oder einfach nur: „schön war’s“.

 

„Wave-Tour“

Carmen Merstadt bezeichnet ihre Tanzmeditation als „Wave-Tour“, weil sie immer an anderen Orten in der Region stattfindet, zum Beispiel auf dem Reußen- oder Breitenstein, beim Aussichtspunkt Hohenbol am Teckberg bei Owen, am Kinderwasen in Weilheim, beim Sinneswandel in Bad Boll, auf der Nordalb oberhalb von Deggingen, auf der Oberböhringer Heide oder auch in Ulm an der Donau. „Wir haben auch schon im Nieselregen oder Schnee getanzt. Das hat auch was.“

Die 54-Jährige war lange Zeit als Bankkauffrau tätig, bevor sie im Alter von 50 Jahren neu durchstartete und eine Tanzausbildung zur „Power-of-life-Trainerin“ absolvierte. „Ich habe gemerkt, dass die Bewegung und gleichzeitig die Begegnung mit Menschen etwas Positives für mich bewirken und dass ich dadurch vom Denken ins Fühlen komme, vom Kopf ins Herz. Das wollte ich an andere weitergeben“, betont sie. Am Anfang wirke die Tanzmeditation für manche vielleicht befremdlich, „weil sie nicht gesellschaftstypisch ist, weil man frei sein darf, ohne Regeln“. Aber sie sei „absolut heilsam“, und man könne dabei loslassen; dies sei wichtig, weil die meisten Menschen „sehr kopflastig“ seien.

In Reichenbach im Täle bietet Carmen Merstadt, die auch eine Ausbildung zur psychologischen Beraterin absolviert hat, darüber hinaus Shiatsu-Behandlungen, Burnout-Prävention und -Beratung, Frauenkreise und Begleitung in Lebenskrisen an.

Weitere Infos gibt es auf www.herzueberkopf-cm.de im Internet.