Neidlingen. Freies Fliegen fasziniert die meisten Menschen. Die Möglichkeit, mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit über Bergkämme und Baumwipfel zu schweben und mühelos bis zu den Wolken aufzusteigen, begeistert auch diejenigen, die
selbst noch nie geflogen sind. Der Anblick eines Piloten, der mithilfe weniger Schritte seinen Gleitschirm aufzieht und binnen weniger Sekunden in die Lüfte aufsteigt, regt viele, die am Boden zurückbleiben, zum Träumen an.
Herbert Porst hat sich diesen Traum vom Fliegen erfüllt. Zuerst stieg er mit dem Segelflieger in den Himmel auf, doch dann entdeckte er das Gleitschirmfliegen für sich. Ein Hobby, das der 42-Jährige seit zwölf Jahren passioniert ausübt. Ob Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter – Herbert Porst schaut sich mit seinem Flugsportgerät zwar nicht bei jedem Wetter, dafür aber in jeder Jahreszeit die Welt von oben an. Rund 2 000 Starts legt das Vorstandsmitglied des Delta- und Gleitschirmclubs Neidlingen (DGCW) jedes Jahr hin. Bei den meisten seiner Vereinskollegen sind es etwa 50 Starts. Die Fliegerei ist für ihn damit nicht nur ein Freizeitsport, sondern eine Faszination, die fester Bestandteil seines Lebens ist.
Für Porst ist der Gleitschirm das kleinste, leichteste und billigste Fluggerät mit der einfachsten Handhabung. „Es gibt keine zeitraubende Vorbereitung, keine komplizierte Technik, keine Transportprobleme. Anders als beim Segelfliegen ist kein Team notwendig, das einen in die Luft bringt“, erklärt der 42-Jährige, der wie viele andere seiner Vereinskollegen nach Dienstschluss gleich zum Fluggelände fährt, um frei wie ein Vogel am Himmel dahinzugleiten.
Die Ausbildung ist laut Jürgen Bachhofer, Vereinskollege von Porst, nicht teuer. „Sie kostet 1 000 bis 1 500 Euro und dauert circa sechs Monate“, berichtet das DGCW-Mitglied. „Es gibt aber auch zweiwöchige Kompaktkurse. Voraussetzung für den Erhalt der Fluglizenz ist allerdings, dass die Anwärter 40 Starts mit einem Höhenunterschied von über 100 Metern absolviert haben.“ Auch wenn der Kompaktkurs abgeschlossen ist, kann es laut Bachhofer deshalb noch ein wenig dauern, bis man zur Prüfung für den Luftfahrerschein antreten darf.
Luftrecht, Meteorologie, Thermik, Gefahrensituationen und die Technik der Fluggeräte sind wichtige Bestandteile des Theorieunterrichts. „Der Flugschüler erfährt beispielsweise, dass es Gebiete gibt, die nicht überflogen werden dürfen“, erzählt Herbert Porst. „In der Region Stuttgart gibt es wegen des Flughafens viele solcher Areale, die aber auch auf Karten verzeichnet sind, die jeder studieren sollte, bevor er losfliegt.“ Im Bereich Wetterkunde wird allerhand Wissen rund um Wolkenbilder vermittelt, das die Piloten in die Lage versetzt, Wetterverhältnisse richtig einzuschätzen, um einen Flug rechtzeitig zu beenden oder gar nicht erst zu starten.
In der Praxisausbildung lernen die angehenden Piloten die Ausrüstung kennen, zu der neben dem Schirm, der sogenannten Kappe oder Kalotte, auch Aramid- oder Dyneema-Leinen gehören, die besonders reißfest sind. Das Gurtzeug ist laut Porst ein Sitz, der Pilot und Gleitschirm miteinander verbindet und der für den Fall der Fälle mit einem Rettungsfallschirm ausgestattet ist. „Die Flugschüler müssen unter anderem die Ausrüstung ein- und auspacken, die Leinen sortieren und Lauftechniken einüben“, so Herbert Porst. „Außerdem lernen sie, die Kappe aufzuziehen und dabei Korrekturen durchzuführen, die notwendig werden, wenn beispielsweise der Wind dreht.“
Bei der praktischen Unterweisung kommen die Flugschüler sehr schnell zum Fliegen. Höhen von 15 bis 30 Meter werden dabei schnell erreicht. „Dabei lernt man nicht nur, richtig zu starten und zu landen, sondern auch den Gleitschirm zu steuern, 90-Grad-Kurven zu fliegen oder die Bremsen zur Geschwindigkeitsregulierung einzusetzen“, so Jürgen Bachhofer. Dann folgt die Höhenflugschulung, bei der laut Bachhofer zum Beispiel Kurven mit Schräglage, Vollkreise, Landetechniken, ein Rückwärtsstart und diverse Flugmanöver eingeübt werden. „Außerdem wird vermittelt, wie mit Faktoren umgegangen wird, die den geplanten Flugweg beeinflussen können“, berichtet der 51-Jährige, der seit 1999 ganzjährig mit dem Gleitschirm unterwegs ist und genau wie Herbert Porst das Flugsportgerät auch mit in den Urlaub nimmt.
Für die beiden Piloten gibt es nichts Schöneres, als ruhig und lautlos dahinzugleiten, während sie die Aussicht genießen. „Für mich ist das die beste Art der Entspannung“, sagt Bachhofer. „Außerdem gibt es nach oben keine Altersbeschränkung für den Sport. Der älteste Pilot, von dem ich gehört habe, ist 85 Jahre alt.“ Jürgen Bachhofer ist sich deshalb sicher, dass er sein Hobby solange wie möglich ausüben und das Freiheitsgefühl, das er dabei erlebt, auskosten wird.