Wenn auf einem Neidlinger Briefkasten der Name Hepperle steht, ist das nichts Besonderes. Wenn dort aber noch drei ukrainische Namen kleben, schon. Auch der Besuch am Montagvormittag war außergewöhnlich: Gemeinsam mit Bürgermeister Jürgen Ebler und Pfarrerin Ute Stolz war der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid gekommen, um sich ein Bild davon zu machen, wie sich Neidlingen um Geflüchtete kümmert.
Insgesamt leben derzeit 25 Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, in Neidlingen. Das sind viele für eine kleine Gemeinde mit rund 1800 Einwohnern, und das spricht für die Gemeinde: Wer flüchten musste und sich gut aufgenommen weiß, sagt dies Bekannten weiter. Das bringt die Neidlinger Rathausverwaltung schnell an ihre Grenzen: „Früher kamen Geflüchtete über die Landeserstaufnahmeeinrichtung zu uns, jetzt sind wir die LEA“, sagt Jürgen Ebler.
Er ist erstaunt, wie viele Hilfsangebote aus der Gemeinde er bekommen hat. Manche stellen Wohnungen zur Verfügung, die bisher nur sporadisch bei Besuchen genutzt wurden. „Die Bürger wollten Geflüchtete gratis aufnehmen“, sagt Ebler. Da die Unterbringung aber über längere Zeit gehen könne, wolle er für diese Bürger einen normalen Mietvertrag, im Rahmen der ALG II-Mietobergrenzen.
Die Neidlinger haben sich auf breiter Basis zum Netzwerk „Neidlingen hilft“ zusammengeschlossen: Es ist ein Begegnungscafé in der Pfarrscheuer geplant, zu dem auch die je zwei Familien aus Syrien und Afghanistan, die in Neidlingen leben, eingeladen sind. Zwei Neidlinger Frauen wollen am Nachmittag einen Sprachkurs anbieten, die Grundschule stellt die Räume. Der Kegelclub „Eintopf“ hat das Geld für eine dringend benötigte Waschmaschine zusammengelegt, der Schwäbische Albverein hat ebenfalls gesammelt. Der Lamm-Wirt Thomas Eberhardt kann zwar selbst kein Ukrainisch, aber seine frühere Partnerin steht am Smartphone für Übersetzerdienste zur Verfügung.
Auch die beiden Pfarrerinnen Ute Stolz und Inga Kaltschnee sind Teil des Netzwerks. „Wir müssen schauen, dass sich Leute nicht komplett verausgaben“, sagt Ute Stolz. Ihr Ziel ist, dass sie auch noch in einem Vierteljahr die Kraft zur Unterstützung haben. Zugleich beobachtet sie, dass die meisten Geflüchteten bald wieder zurück in ihre Heimat möchten. Als Diakoniepfarrerin hat sie beste Verbindungen, etwa zum Kreisdiakonieverband, und kann diese gemeinsam mit ihrer Pfarrkollegin zum Wohl der Geflüchteten einsetzen. Als Stolz kürzlich ein hilfreiches englisch-ukrainisches Bildwörterbuch entdeckt hat, hat sie es sofort herumgeschickt. „Die Menschen sind unglaublich tapfer“, sagt sie.
Ulrich Hepperle und Michaela Assfalg sind selbst erst vor Kurzem in Neidlingen eingezogen, in der Wohnung im Stock darüber wohnen nun Anna Kupchynska mit ihrer fünfjährigen Tochter Myroslava und Tetiana Ponomazenko. Auch wenn es zwei abgeschlossene Wohnungen sind, kochen und essen alle gerne zusammen. Ihnen hilft, dass Anna Kupchynska gut Englisch spricht. Deren größter Wunsch ist ein Kindergartenplatz für ihre Tochter, ihr zweitgrößter die Möglichkeit zur Arbeit. Auch Michaela Assfalg hat manche Wünsche: Formulare sollten mehrsprachig sein, etwa Deutsch und Englisch. „Sonst wissen Geflüchtete gar nicht, was sie da unterschreiben.“ Nils Schmid zeigte sich beeindruckt vom Einsatz der Neidlinger. „Wir müssen die privaten Netzwerke stärken“, sagte er. Bürgermeister Jürgen Ebler hat beides im Blick, die offiziellen Wege genauso wie die unbürokratische Soforthilfe. Seit drei Wochen warten Anna Kupchynska und Tetiana Ponomazenko auf ihre Anmeldepapiere, diese sind „zeitnah“ versprochen. Falls es doch länger dauert, will das Rathaus nachhaken. Zur Überbrückung gibt es aber auch kleine Soforthilfen von der Gemeinde und den Kirchen. Auch Mitgliedsbeiträge für Vereine werden auf dem kleinen Dienstweg erledigt.
Solche Hilfe könnten die Kommunen auch selbst gebrauchen, sagte Jürgen Ebler: Während die normale LEA für jeden Geflüchteten 7000 Euro bekäme, geht die Rathaus-LEA bisher leer aus.