Weilheim und Umgebung

Wanderer zwischen zwei Welten

Oldtimer Mit Geduld und viel Arbeit restaurierte Willi Nägele aus Bissingen das Motorfahrrad seines Vaters, eine Wanderer, Baujahr 1938. Von Cornelia Wahl

Sein ganzer Stolz: Willi Nägele hat seiner Wanderer zu neuem Glanz verholfen.Foto: Cornelia Wahl
Sein ganzer Stolz: Willi Nägele hat seiner Wanderer zu neuem Glanz verholfen.Foto: Cornelia Wahl

Willi Nägele liebt alte Motorräder. Als Jugendlicher schlich sich der Bissinger in die Scheune seines Elternhauses. Ziel war das väterliche Motorfahrrad, so die damalige Bezeichnung der Wanderer. Heimlich machte er Ausfahrten rund um seinen Heimatort, stellte es anschließend wieder schnell in der Scheune ab, denn sein Vater durfte es nicht mitbekommen. Erwischt hat er ihn dann doch - weil die Maschine ihn verraten hatte, besser gesagt „ihr heißer Gestank“, erzählt er. Dann schimpfte der Vater und hat es ihm verboten. Doch daran gehalten hat er sich nicht.

Die Jahre vergingen, und erst Anfang der 1990er-Jahre holte er die fast schon vergessene Wanderer, Sportmodell 1 Sp, aus dem Schuppen hervor. Als er damit ankam, habe ihn seine Frau gefragt, „Willst du die auf den Schrott bringen?“ Eine Frage, die vermuten lässt, wie erbärmlich der Zustand des kulturellen Zweirad-Schätzchens war: Das einst 336 Reichsmark teure Motorrad war vom Zahn der Zeit gezeichnet und ziemlich verrostet.

Den Maschinenschlosser schreckte das nicht ab, und er legte los. Er fotografierte, damit die demontierten Teile später wieder an den richtigen Platz kamen. Mit Bleistift, Butterbrotpapier und Klebestreifen fertigte er sich eine Art Fotokopie der abmontierten Teile an, um für den Nachbau Größe und Form zu dokumentieren. In einem Ordner legte er Ersatzteilliste, Fotos, Notizen und Skizzen ab, um die Maschine wieder genau zu rekonstruieren.

Etwa ein Jahr tüftelte er an der Wanderer-Sportmaschine aus dem Jahr 1938. Nicht ohne Stolz erzählt er: „Manche Teile fertigte ich selbst aus V-Stahl an. Da rostet nichts mehr.“ Dabei zeigt er auf eine selbst angefertigte, glänzende Sechskantschraube, die im Lenker steckt. Doch nicht alles konnte er selbst machen. So suchte er beispielsweise auf Messen nach Ersatzteilen oder holte sich Hilfe, beispielsweise beim Bezug des Sattels, den ein Schuster neu bespannte. Am einfachsten war es da noch, die Schriftzüge zu besorgen. „Die gibt es zu kaufen“, sagt der Oldtimer-Liebhaber.

Am Lenker des betagten Gefährtes fällt eine nostalgische Hupe auf. Irgendwie musste man sich ja auch damals bemerkbar machen. „Einen Tacho hatte die Wanderer nicht“, erinnert sich Willi Nägele. Der kostete extra, wie sich aus einem einstigen Verkaufsprospekt entnehmen lässt: „Wer sein Motorrad unter steter Kontrolle haben will, dem ist die Anschaffung eines Geschwindigkeitsmessers mit Kilometerzähler zu empfehlen“, steht dort geschrieben. Aber vielleicht war zu dieser Zeit ein Tacho auch nicht unbedingt nötig. Denn der Einzylinder-Zweitakter-Motor von Sachs hatte gerademal zweieinviertel Pferdestärken. Die dürften für eine Höchstgeschwindigkeit um die 50 Kilometer gut gewesen sein. Dafür ein wichtiges Ausstattungsmerkmal: das Werkzeugkästchen am Gepäckträger. In der Betriebsanleitung sind akkurat alle Werkzeuge aufgelistet, die dort mitgeführt werden sollen, „um auch kleinere Pannen beheben zu können“.

Doch wie das so ist, hat der TÜV nach einem Tacho verlangt. Einen originalen hat Willi Nägele nicht montiert, und so ist die digitale Geschwindigkeitsanzeige das einzige wirkliche Moderne an der Wanderer, mit der er noch heute an Oldtimer-Ausfahrten teilnimmt.