Bissingen. Seit 1669 ist es Bissingens frühbarockes Wahrzeichen: Das alte Rathaus. Doch so schön wie es die Ortsmitte ziert, so kompliziert ist es im Unterhalt. Nun soll das historische Gebäude im Rahmen der dritten Phase der Orstkernsanierung eine neue Außenhülle bekommen, und das wird, so hatte es der Gemeinderat schon auf seiner Klausurtagung vor drei Jahren formuliert, „sanierungsintensiv“.
Hier gilt es besonders, Aufwand und Nutzen zu beachten. Als mahnendes Beispiel gilt Planer Jochen Stüber vom Architektenbüro amw das Spital in Kirchheim, in dem die Volkshochschule ihr Zuhause hat. Das sei vor zehn Jahren saniert worden „und jetzt schon wieder Sicherungsdrahtgeflecht“ habe, um das herabfallende Putzkissen zu sichern. Das Problem beim Sichtfachwerk sei eben, dass auch Wind und Wasser dort angreifen können. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Trockene Böden. „Wo kein Keller darunter steht, setzt sich das Gebäude, das können sie auch in Kirchheim beobachten“, sagt Stüber. Ein verputztes Fachwerk ist generell widerstandsfähiger. So hat übrigens auch das Bissinger Rathaus viele Jahrzehnte Wind und Wetter getrotzt, bis es erst in den 30er-Jahren wieder „entkleidet“ wurde.
„Aber als ehemaliger Zimmermann gefällt mir die Holzkonstruktion natürlich“, sagt er. Aber Holz ist ein Naturmaterial, und da wo kein Schutz ist, geht es kaputt. Fehlstellen seien „wie eine Kompostieranlage“, erklärte der Architekt den Bissinger Gemeinderäten anschaulich. Daher sei auch die Ventilation wichtig. Von Styropor als Isolierung riet der Experte dringend ab. Mit der einmaligen Sanierung sei es zudem nicht getan, alle zwei Jahre müsse nachgestrichen werden, dafür müsse man rund 30 000 Euro einstellen.
Anfällig, aber unverkennbar
Es gab auch gute Nachrichten für die Befürworter des sichtbaren Fachwerks am Rathaus der Seegemeinde. Für die Ausschreibung gilt ein „eingeschränktes Bewerbungsverfahren“, das heißt, es muss nicht europaweit ausgeschrieben werden, man kann sich auf Unternehmen aus der Region beschränken, die sich mit der Materie auskennen und Erfahrung damit haben. Die knifflige Frage, ob Putz oder kein Putz hängt letztlich nicht nur von der finanziellen Seite ab. Für Bissingen ist das alte Rathaus auch ein „Erkennungsmerkmal“. „Sichtfachwerk erhalten, auch wenn es anfälliger ist“, lautete daher der einstimmige Beschluss des Gemeinderats.
Die Kosten für die Fassadensanierung und neue Fenster werden mit rund 406 000 Euro veranschlagt. Die Gemeinde wird dafür einen Antrag auf Förderung aus Mitteln der Denkmalpflege stellen. Zudem müssen für die beiden Mietparteien Ausweichquartiere gefunden werden. Von Frühjahr bis Herbst 2021 wird das Gebäude wegen der Baustelle nicht bewohnbar sein. Thomas Zapp