Weilheim und Umgebung
Wenn die Seele Erste Hilfe braucht

Therapie Bei Stephania Laih aus Bissingen können Laien in speziellen Kursen lernen, wie sie andere Menschen in psychischen Krisen am besten unterstützen können. Im Moment sind nur Online-Termine möglich. Von Gaby Weiß

Ein Kollege fällt mit einem Burnout für lange Zeit aus. Eine Bekannte fühlt sich in ihrem Job zunehmend unwohl. Eine Tante flüchtet sich vor ihren Sorgen in den Alkohol. Jeder kennt in seinem Umfeld Menschen, die mit dem Alltag kämpfen, an Problemen verzweifeln und mit dem Leben nicht zurechtkommen. Man möchte ihnen beistehen, weiß aber nicht, wie. Psychotherapeutin Stephania Laih aus Bissingen bildet Ersthelfer für psychische Gesundheit aus. Nach dem MHFA-Programm schult sie Laien darin, mentale Gesundheitsprobleme und psychische Krisen bei nahestehenden Personen zu erkennen, und zeigt Fertigkeiten, mit denen sie Betroffene kompetent unterstützen können.

MHFA steht für Mental Health First Aid. Auf die Frage, weshalb es solche „Ersthelfer für mentale Gesundheit“ überhaupt brauche, antwortet Stephania Laih mit einer Gegenfrage: „Warum brauchen wir Erste Hilfe für körperliche Beschwerden? Wir müssen verstehen lernen, dass psychische Schwierigkeiten genauso zum Menschsein dazugehören wie körperliche Krankheiten. Es ist wichtig, dass wir auch seelisch-psychisch in einem Gleichgewicht bleiben. Dieses Gleichgewicht ist nichts Starres. Je nachdem, was uns im Leben widerfährt, welchen Belas­tungen wir ausgesetzt sind, müssen wir dieses Gleichgewicht ständig wieder austarieren.“

Gerade in einer Situation wie der Corona-Pandemie merken viele, dass ihr Leben in ­Schieflage gerät. „Corona bringt wie eine Lupe die Dysbalancen, die Schwierigkeiten einer Gesellschaft, aber auch jedes Einzelnen, zum Vorschein. Vieles geht nicht mehr, Ablenkungen und Ersatzbefriedigungen fehlen. Also sind wir auf uns selbst zurückgeworfen.“ Laih hat aktuelle Zahlen parat: „Jeder Vierte in Deutschland entwickelt irgendwann eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung. Psychische Störungen stehen heute an erster Stelle bei den Arbeitsunfähigkeitszeiten, und sie können jeden treffen. Aber nur acht Prozent davon erhalten wirklich professionelle Hilfe.“

Julia Bayrhammer aus Nabern hat Ende 2020 einen MHFA-Ersthelferkurs samt Prüfung absolviert. Immer schon hat sie sensibel darauf geachtet, wenn es Menschen in ihrem Umfeld nicht gut ging: „Ich wusste nie, wie ich mich richtig verhalte. Was kann ich tun? Wie ernst ist die Lage? Wie komme ich ins Gespräch, ohne mich aufzudrängen?“ Im Kurs hat sie gelernt, Anzeichen unterschiedlichster psychischer Störungen von Depressionen über Angst- und Suchterkrankungen bis hin zu suizidalen Situationen zu erkennen, zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. „Ich weiß jetzt, wie ich auf jemanden zugehen kann, wie ich einen Gesprächseinstieg finde, ohne dass ich meinem Gegenüber zu nahe trete. Ich weiß, wie ich reagieren, beistehen und hilfreich unterstützen kann.“ In den Kursen nehmen immer wieder auch Betroffene teil: „Sie haben schon gelernt, mit ihrer psychischen Krankheit umzugehen. Das ist unglaublich wertvoll. Sie können sehr genau sagen, was wichtig ist und was nicht, was funktioniert und was nicht“, betont Laih.

In praktischen Übungen und Rollenspielen werden Verhaltensvorschläge für unterschiedliche Situationen erarbeitet, wovon Julia Bayrhammer profitiert hat: „Wenn ich in der Rolle einer Betroffenen war, konnte ich deutlich wahrnehmen, ob mir das Verhalten des Ersthelfers geholfen hätte oder nicht.“ Dabei kennt sie als MHFA-Ersthelferin ihre Grenzen genau: „Ich bin weder ein Coach noch eine Therapeutin.“ Auch Stephania Laih macht die Rolle des Laien-Helfers noch einmal deutlich: „Er ist nicht derjenige, der die Lösung finden und heilen muss. Aber er reicht dem Betroffenen die Hand und sagt: „Ich unterstütze dich, bis die Krise abklingt oder bis es professionelle Hilfe gibt.“

Das Potenzial dieser Ersthelferkurse sieht Stephania Laih auch darin, dass psychische Probleme nicht mehr länger mit Scham, Angst und Stigmatisierung einhergehen. In England, wo es das MHFA-Programm seit 2007 gibt, seien die Menschen früher bereit, bei psychischen Problemen Hilfe anzunehmen. Hier reagiere das Umfeld oft mit „Reiß dich zusammen“. Stephania Laih ermutigt Betroffene: „Wenn mein Auto kaputt ist, hole ich mir doch auch professionelle Hilfe.“