Weilheim und Umgebung

„Wenn’s einer hat, dann der!“

Coronavirus Marc W. aus Eckwälden hat seinen Montage-Einsatz in Peking vorzeitig beendet. Mulmig war’s ihm vor allem im Flieger. Von Irene Strifler

Menschenleer zeigten sich die Plätze in Peking nahe dem Hotel der Kollegen.* * *Mit der Fiebermesspistole wird jedermann empfang
Menschenleer zeigten sich die Plätze in Peking nahe dem Hotel der Kollegen.
Wenige Stunden vor dem Abflug nach Peking kam der Anruf vom Chef: Wenn er doch nicht nach China reisen wolle, müsse er das nicht, erklärte er seinem Mitarbeiter. Doch Marc W. hatte sich wochenlang auf den Montage-Einsatz für seine Firma aus Eislingen im Pekinger Daimler-Werk vorbereitet. Neue Erfahrungen und vor allem ein schönes Taschengeld sollten der Lohn für acht Wochen Arbeit in China sein. Kurz nach dem Anruf fuhr das Taxi vor, und der 24-Jährige aus Eckwälden flog gemeinsam mit seinem Kollegen via Moskau nach Peking.
Gleich am Gepäckband am Flughafen in Peking hieß es: Masken auf! Foto: Marc W.
Gleich am Gepäckband am Flughafen in Peking hieß es: Masken auf! Foto: Marc W.

Weniger als eine Woche nach seinem Abschied ist Marc W. wieder zu Hause. Er lebt derzeit in einer Art selbst gewählten Quarantäne. „Ich habe keinerlei Symp-tome“, meint er im Hinblick auf das gefürchtete Coronavirus. Doch bis zur offiziellen Entwarnung müssen mindestens zehn Tage vergehen. Seine Kumpels lassen sich seine Geschichte lieber per Skype oder durchs Fens­ter erzählen, nur zur Freundin und zum Bruder hat der Schwabe Kontakt.

„Alles durch die Medien aufgebauscht!“ – Mit diesen Worten hatten sich Marc und sein Kollege beruhigen lassen, ehe sie am Montag vor einer Woche in Stuttgart in den Flieger stiegen. Doch nach dem Zwischenstopp in Moskau kamen ihnen erste Zweifel. In der Aeroflot-Maschine fanden sie sich fast ausschließlich unter Chinesen wieder – und waren die einzigen an Bord ohne Mundschutz. Der lag sicher verstaut im Koffer.

In Peking empfing sie das Flughafenpersonal mit Fiebermesspistolen und einer Checkliste über vorherige Aufenthaltsorte. Überall im Land sind Desinfektionsmittel deponiert, von denen eifrig Gebrauch gemacht wird, „Wir haben uns sehr sicher gefühlt“, lobt der Deutsche die umfassenden Vorsichtsmaßnahmen.

Dann die nächste Überraschung: „Die Stadt war tot“, beschreibt er die menschenleeren Straßen in der 22-Millionen-Metropole. Mindestens 70 Prozent der Läden, so schätzt er, waren in Peking geschlossen. Lebensmittel waren knapp, das Hotel, in das sie sich einquartiert hatten, rationierte das Frühstücksangebot.

Am zweiten Tag ging’s zur Arbeit. Auch hier: gähnende Leere. Das aber lag am chinesischen Neujahrsfest, der „chinese week“, in der dort jeder freinimmt. „Wir waren nur unter uns, also unter lauter Deutschen aus vielen Firmen“, erzählt der Eckwäldener. In diesen Tag platzte die Nachricht, dass Lufthansa seine China-Flüge einstellt. „Der Baustellenleiter hat daraufhin klar gesagt: Jeder darf selbst entscheiden, ob er bleiben oder gehen will“, berichtet der 24-Jährige. Kurz darauf waren die ersten Kollegen weg.

Dann der nächste Schrecken: Am Donnerstag rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell den Notstand aus. Etliche Firmen, darunter auch Heller, hätten daraufhin ihre Leute abgezogen, erzählt der junge Mann. Er selbst hatte keine Angst vor dem Virus, denn die Kollegengruppe empfand dank großer Hygienemaßnahmen und Verhaltenstipps keinerlei Gefahr. Ihre Furcht galt eher der nahen Zukunft: Wie lange müssten sie wohl im Land bleiben, wenn China sie unter Quarantäne stellte und gar keine Flüge mehr gingen? Hinzu kam die Sorge ihrer Familien. „Meine Mutter und meine Freundin haben mir die Hölle heißgemacht.“

Einen Tag später, am Freitag, saß Marc W. also wieder im Flieger mit Kurs auf Moskau. „Die Maschine war rappelvoll“, erinnert er sich. Nicht vergessen kann er den Mitreisenden wenige Reihen vor sich: „Der hat so ein Hustenkonzert veranstaltet, dass wir uns dachten: Wenn’s einer hat, dann der!“

Die Kontrolle in Moskau mit Fiebermessung durften letztlich alle passieren, und Marc sowie seine beiden Kollegen gönnten sich erst einmal ein Bierchen im Terminal. Der Flug nach Stutt­gart war eine Reise in eine andere Welt: „Hier gab es gar keine Untersuchungen“, wundert sich der Schwabe noch heute. Dass das Trio in Moskau nur zwischengelandet war, interessierte niemanden.

Kurz darauf war er wieder zu Hause in Dürnau, wo er seit Kurzem wohnt. Sicher ist sicher: Obwohl der „Heimkehrer“ nach wie vor keinerlei Symptome aufweist, hat er sich in der Klinik und beim Hausarzt Verhaltens­tipps geholt und will jetzt „den Ball flach halten“: Kinobesuche oder Kneipentouren verbietet er sich selbst, und auch zur Arbeit geht’s vorerst noch nicht. Nur in einem Punkt hat er die Quarantäne „ein bisschen vergeigt“, wie er augenzwinkernd einräumt. Schließlich wohnt er nicht allein, sondern mit seiner Freundin zusammen.

Unterm Strich ist Marc froh, frühzeitig den Rückzug aus China angetreten zu haben: „Alle sagen zu mir: Das hast du richtig gemacht!“