Weilheim und Umgebung

Wie eine gute Ehe - ohne Vertrag

Kooperation Seit 25 Jahren arbeiten die Weilheimer Bio-Bäckerei Scholderbeck und der Owener Bio-Landwirt Andreas Gruel zusammen. Alle sprechen von einem Glücksfall. Von Bianca Lütz-Holoch

Bernd Sigel und Andreas Gruel. Foto: Lynn Sigel

Als Bernd Sigel Anfang der Neunzigerjahre in die Bäckerei seines Vaters einsteigt, besteht das Unternehmen aus einem Laden und zehn Mitarbeitern. Über die Theke am Weilheimer Scholderplatz gehen nicht nur Brot und Brötchen, sondern auch Zahnpasta, Kartoffeln und Kugelschreiber. „Damals war der Scholderbeck eine konventionelle Dorfbäckerei mit Nahversorgerfunktion“, erinnert sich Bernd Sigel zurück.

Dann erkrankt Bernd Sigels Frau Eve aufgrund ihrer Nahrungsmittelallergien schwer an Neurodermitis. Der Bäckermeister beginnt, sortenreines Brot ohne Hefe zu backen - in Bio-Qualität. Und dann spielt ihm der Zufall in die Karten. Als Bernd Sigel eines Tages mit dem Auto durch Owen fährt, sieht er das Bioland-Schild am Hof von Landwirt Andreas Gruels Hof hängen - und hält an. „Ich habe ihn angesprochen und ihm die Situation geschildert“, erzählt Bernd Sigel. Andreas Gruel verspricht, den Bäcker mit Bio-Getreide zu versorgen. Die Mühle Sting in Jesingen sagt zu, das Korn zu schroten und zu mahlen.

Heute - 25 Jahre später - betreiben Bernd Sigel und seine Frau Eve acht Bäckerei-Filialen und beliefern täglich 70 Wiederverkäufer mit Bio-Backwaren. An­dreas Gruel führt seinen Hof längst nicht mehr alleine. Sohn Jonathan ist eingestiegen - Vollzeit, ein Job mit Zukunftsperspektive: „Der Betrieb wächst“, sagt Jonathan Gruel. Die Produkte werden im Hofladen und über 60 Wiederverkäufer verkauft.

Gleicher Preis bei jedem Wetter

„Es war ein echter Glücksfall, dass wir zusammengefunden haben“, sagt Eve Neubold-Sigel. Entstanden ist eine landesweit einmalige Bio-Partnerschaft zwischen Überzeugungstätern. „Bei uns ist es wie in einer guten Ehe - ohne Vertrag“, sagt Eve Neubold-Sigel lachend. Unterschriften oder Schriftstücke gibt es nicht. Seit 25 Jahren läuft alles auf mündlicher Basis. Dafür ist das Vertrauen da und das Interesse für das, was der andere tut. „Uns interessiert, was auf dem Acker und mit dem Getreide passiert“, sagt Bernd Sigel. „Und wir sind froh, dass wir einen Bauern gefunden haben, den es interessiert, was beim Bäcker im Topf passiert.“ So sagt An­dreas Gruel zum Beispiel Bescheid, wenn eine neue Ernte kommt und sich die Backeigenschaften des Mehls ändern. Statt auf Marktschwankungen zu reagieren, setzten die Partner auf Verlässlichkeit und Konstanz. „Nach dem Hagel vor drei Jahren ist der Dinkelpreis in die Höhe gegangen“, erzählt Bernd Sigel. Andreas Gruel lieferte trotzdem zum gewohnten Preis. „Wir waren damals die einzige Bäckerei, die ganzjährig Dinkelbrot backen konnte“, berichtet Eve Neubold-Sigel. Andersherum gilt das Gleiche: „Wenn die Preise sinken, kaufen wir trotzdem zum vereinbarten Preis bei Gruels ein.“

Eine solche Lösung gibt es nicht oft. „Man muss den Mut haben, so etwas langfristig anzugehen und sich nicht benachteiligt zu fühlen, wenn andere gerade irgendwo etwas billiger bekommen“, sagt Bernd Sigel.

Den Nutzen haben beide: Die Bäckerei Scholderbeck sieht sich mit einer Nachfrage konfrontiert, mit der Bernd Sigel und seine Frau nie gerechnet hätten. Andreas Gruel hat mehr und mehr Flächen erschlossen und kann sein Bio-Getreide regional vermarkten.

Der Gruelsche Hof ist ein Biohof erster Stunde. „Mein Vater hat bereits 1975 umgestellt“, erzählt Andreas Gruel. Heinrich ­Gruel war schon damals überzeugt, dass Spritzmittel schädlich sind, und galt damals als „roter Hund im Dorf“. „Meinem Vater war es wichtig, Nahrungsmittel zu verkaufen, die nicht bedenklich sind“, sagt Andreas Gruel. Deshalb produzierte er zu Beginn auch biologisch und verkaufte konventionell. „Wäre der Hof nicht bio gewesen, wäre ich nicht Bauer geworden“, sagt Andreas Gruel. Was Andreas Gruel von seinem Vater mit auf den Weg bekommen hat, mussten sich Bernd Sigel und seine Frau erst erkämpfen.

„Mein Vater war damals noch im Innungsvorstand“, erzählt Bernd Sigel. Als der Junior den ersten Bio-Laden in der Dettinger Straße in Kirchheim eröffnete, wurde er regelmäßig von seinen Bäckerkollegen angesprochen. „Sie sagten: Dein Sohn ist ja nett, aber mit seinen grünen Ideen macht er noch dein ganzes Geschäft kaputt“, erzählt Bernd Sigel und lacht.

Seine Frau und er ließen sich nicht beirren. „Wir waren jung, blauäugig und überzeugt, dass wir den richtigen Weg gegen“, fasst es Eve Neubold-Sigel zusammen. Sie gab 1993 ihren Job als Vermessungstechnikerin auf und eröffnete die erste Filiale in Ohmden. Immer mehr kamen sie und ihr Mann zu dem Schluss, dass man nicht abwarten darf, bis die Menschen Bio kaufen, sondern dass Bio zu den Menschen kommen muss. „Uns war klar: Wir müssen zu den Leuten in die Fußgängerzonen und in die Supermärkte.“

Und noch einen weiteren Erfolgsfaktor hat Bernd Sigel ausgemacht: „Wir haben uns von den Bio-Bäckern der ersten Stunde abgehoben“, sagt er. Bei vielen sei viel Ideologie und wenig Handwerk zum Zug gekommen. „Wir dagegen kommen aus einer Bäckerfamilie mit langer Tradition - und die Ideologie kam erst später dazu.“

Brot
Foto: Lynn Sigel.

Meilensteine der Weilheimer Bio-Bäckerei Scholderbeck

1992 beginnen Bernd Sigel und Eve Neubold-Sigel, mit Biobauer Andreas Gruel aus Owen zusammenzuarbeiten. Im gleichen Jahr holen sie die Mühle Sting ins Boot.

1993 eröffnet die Bäckerei Scholderbeck ihre erste Filiale in Ohmden. Eve Neubold-Sigel führt sie.

1994 übernimmt Bernd Sigel offiziell das Geschäft von seinem Vater. Er macht in der Dettinger Straße in Kirchheim den ersten Laden auf, in dem ausschließlich Bio-Backwaren verkauft werden. Die ersten Naturkostläden werden mit Scholderbeck-Brot beliefert.

1997 rückt die Bäckerei Scholderbeck in die Kirchheimer Fußgängerzone vor: Bernd Sigel und seine Frau eröffnen die Filiale in der Marktstraße.

2001 wagt sich der Scholderbeck auf neues Terrain: Er ist der erste Bio-Bäcker in der Region, der in der Vorkassenzone eines Supermarkts seine Backwaren anbietet. Das Konzept geht auf, nach und nach folgen weitere Supermärkte.

2007 Die Bäckerei Scholderbeck beliefert rund 40 Bio-Supermärkte.

2013 Die neue, moderne Backstube in Weilheim im Gewerbegebiet Tobelwasen samt Café am Radweg wird eröffnet. Mit der Maßnahme bringen Bernd und Eve Sigel Produktionskapazität und Vertrieb wieder mit der gewachsenen Nachfrage in Einklang. Inzwischen beliefert die Bäckerei über 70 Bio-Supermärkte und Naturkostläden zwischen Ulm, Pforzheim, Tübingen und Geislingen und betreibt acht eigene Läden. bil