Zwischen Neckar und Alb

Abenteuerliche Posse um Michelin-Stern

Gastronomie Die Auszeichnung für die seit Juli geschlossene Alte Vogtei in Köngen zieht Kreise. Der Ex-Pächter lässt sich derweil in Berlin feiern. Von Gerd Schneider

Die Aufnahme aus dem Jahr 2017 zeigt die Familie Volbrecht bei der Übernahme der Alten Vogtei in Köngen. Foto: Roberto Bulgrin
Die Aufnahme aus dem Jahr 2017 zeigt die Familie Volbrecht bei der Übernahme der Alten Vogtei in Köngen. Foto: Roberto Bulgrin

S chon früh am Morgen klingelte gestern das Telefon bei Sanne Löfflath, so ging das dann den ganzen Vormittag. Zahlreiche Freunde und Bekannte meldeten sich, um mit ihr über den Stern zu reden, mit dem der berühmte „Guide Michelin“ das Köngener Restaurant Alte Vogtei am Abend zuvor ausgezeichnet hatte. Der heiß begehrte Stern gilt in der Gastronomieszene als Ritterschlag - doch die Freude darüber hielt sich bei der Eigentümerin des heimeligen Fachwerkhauses in engen Grenzen. Denn Lars Volbrecht, der Pächter und „Chef de la Cuisine“, hatte sein Gourmet-Lokal bereits im Sommer wieder geschlossen, und zwar unter reichlich obskuren Umständen. Seitdem lag die Naturheilkunde-Beraterin im Clinch mit ihrem Pächter. Und sie ist nicht die Einzige. Es geht um unbezahlte Rechnungen, verärgerte Lieferanten, ausstehende Mieten und um Köche, die ihr Gehalt nicht vollständig bekommen haben sollen.

Im Juli 2017 war Volbrecht mit großen Zielen gestartet. Er und seine Frau Nadine wollten die einstige Weinstube in der Ortsmitte zu einer Gourmet-Adresse machen. „Volbrecht setzt mit einem jungen Team auf moderne Kochkunst - Traum vom Michelin-Stern steht nicht an erster Stelle“, hieß es in einem Zeitungsbericht über das Restaurant. Tatsächlich hörte man in den ersten Monaten viel Lob über die Kochkunst in der Alten Vogtei. Das Publikum strömte nach Köngen, und irgendwann wurden auch die Tester des „Guide Michelin“ auf Volbrechts Lokal aufmerksam. Die Michelin-Inspektoren hätten das Restaurant im Jahr 2018 mehrfach getestet, war aus der Redaktion der Feinschmecker-Bibel zu hören.

Doch hinter den Kulissen zeichnete sich das Ende des kulinarischen Höhenflugs da wohl bereits ab. Nach Auskunft mehrerer direkt oder indirekt Beteiligter habe Volbrecht finanzielle Probleme bekommen. Er sei mit den Mieten in Rückstand geraten und auch bei Lieferanten säumig geblieben , sagt Sanne Löfflath. Sie trafen sich vor Gericht wieder. Auch sein Koch Aaron Turner, ein Mann mit exzellentem Ruf in der Szene, ging juristisch gegen Volbrecht vor, ebenso der Patissier Alexander Huber, der aus dem Sterne-Restaurant Top Air am Flughafen Stuttgart in die Alte Vogtei gekommen war. „Er hat einfach nicht mehr bezahlt“, sagt Turner, „das ist ihm alles über den Kopf gewachsen“. Gäste berichten, in den letzten Wochen vor der Schließung habe man die Essensrechnung in der Alten Vogtei nicht mehr mit der Kredit- oder Scheckkarte begleichen können, sondern nur noch bar. „Und eines Tages waren die Volbrechts dann nicht mehr da“, so die Vermieterin.

Inzwischen lebt Volbrecht in der Schweiz. In Hochwang bei Chur betreibt er mit seiner Frau das Panorama-Restaurant Triemel.In einer E-Mail verwahrt sich Volbrecht dagegen, dass er in einer Nacht- und Nebelaktion aus Köngen verschwunden sei. Seiner Darstellung zufolge sei die Alte Vogtei so massiv von Schimmel befallen, dass man ein Lokal dort nicht mehr betreiben könne. Besitzerin Löfflath dementiert dies entschieden. Sie hält das für einen Vorwand. Sie sei derzeit auch wieder auf der Suche nach einem neuen Betreiber. Sie möchte, dass die Alte Vogtei wieder eine schwäbische Weinstube beherbergt.

Wie aber kommt es, dass ein Restaurant, das seit über einem halben Jahr geschlossen ist, einen Michelin-Stern erhält? Laut einer Sprecherin des „Guide Michelin“ hätten die Restaurant-Betreiber - also die Volbrechts - erst Ende November über die Schließung der Alten Vogtei informiert - „verbunden mit der Ankündigung, das Restaurant würde am 15. Januar 2019 wieder eröffnen“. Man sei also von einer vorübergehenden Schließung ausgegangen. Weiter heißt es in der Stellungnahme von Michelin: „Am vergangenen Freitag teilte Frau Volbrecht der Guide-Redaktion mit, das Restaurant in Köngen werde Anfang März mit demselben Konzept wieder eröffnen. Die Betreiberfamilie sei außerdem dabei, zusätzlich ein zweites gastronomisches Standbein in der Schweiz aufzubauen, die Alte Vogtei solle aber der Schwerpunkt bleiben.“

Was soll man dazu sagen? Tatsächlich ließ es sich Lars Volbrecht nicht nehmen, zur offiziellen Präsentation des Michelin-Führers 2019 nach Berlin zu kommen, wie viele andere der ausgezeichneten Köche. Fotos mit dem roten Michelin-Emblem stellte er gestern auf seine Facebook-Seite. Sie zeigen einen Mann in Kochkluft, der stolz in die Kamera blickt.

Bei so manchem Kollegen kam das allerdings weniger gut an. Der Bietigheim-Bissinger Sternekoch Benjamin Maerz schrieb anlässlich der Michelin-Präsentation auf seiner Facebook-Seite folgenden Post: „Was ich heute erlebt habe, geht für mich zu weit. Und da muss es eben Menschen geben, die den Mund aufmachen. Mir ist es grundsätzlich egal, was andere Menschen tun. (...) Es gibt aber Grenzen. Dann, wenn Mitarbeiter und Lieferanten um Geld betrogen und geprellt werden. Wenn man als Unternehmer seiner Vorbildfunktion nicht nachkommt, sondern nur verbrannte Erde hinterlässt.

Und jetzt kommt dann der eigentliche Punkt. Wenn man dann noch so dreist und kackfrech nach Berlin fährt, sich auf diese Bühne stellt und sich dann auch noch feiern und weitreichend fotografieren lässt. Warum mich das ärgert? Ganz einfach! Weil es ein Schlag ins Gesicht eines jeden Koches ist, der sich in seinem Leben nichts sehnlicher wünscht, als auf dieser Bühne zu stehen. Der jeden Tag versucht, das Unmögliche zu schaffen.“

Namen nannte Maerz nicht. Auch so wusste jeder, wer wohl damit gemeint war.