Zwischen Neckar und Alb
An der Seebrücke scheiden sich die Geister

Solidarität Nach langen und kontroversen Diskussionen erklärt sich die Stadt Esslingen zum „sicheren Hafen für Geflüchtete“. Die Entscheidung war bis zuletzt umstritten. Von Alexander Maier

Esslingen erklärt sich zum „sicheren Hafen für Geflüchtete“. Nach langen Diskussionen hat der Gemeinderat beschlossen, als 213. Stadt in Deutschland der Initiative Seebrücke beizutreten und öffentlich Solidarität mit den Flüchtlingen zu bekunden, die in der Mittelmeerregion ums Überleben kämpfen.

Nachdem unlängst im Sozialausschuss die Meinungen aufeinandergeprallt waren, kam es nun im Gemeinderat zum Schwur. Am Ende folgten 27 Stadträtinnen und -räte einem interfraktionellen Antrag von Grünen, SPD und Linken, elf stimmten dagegen. Während die Befürworter eines Beitritts zur Seebrücke ein solches Zeichen der Solidarität mit Blick auf das Schicksal der Geflüchteten unerlässlich fanden, sprachen Kritiker von „reiner Symbolpolitik, die falsche Hoffnungen weckt, Fluchtanreize auslöst, den Betroffenen aber nicht hilft“. Stattdessen forderten sie „einen konkreten Beitrag zur Beseitigung von Fluchtursachen“.

Oberbürgermeister Jürgen Zieger hatte für den Beitritt zur Ini­tiative Seebrücke plädiert: „Die Stadt Esslingen bekennt sich mit diesem Beschluss zu ihrer Verantwortung, Menschen zu helfen, die durch Krieg, Verfolgung und andere Notlagen aus ihrer Heimat flüchten müssen.“ Die Hinwendung zu den Schwächsten sei oberste Aufgabe einer Stadtgesellschaft: „Wir alle bekennen uns dazu, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Die eigene Würde kann ich aber nur bewahren, wenn ich auch die Würde anderer schütze. Als Oberbürger­meis­ter habe ich keine andere Wahl, als diesem Antrag zuzustimmen.“ Esslingen wolle Zeichen setzen gegen das Sterben von Flüchtenden im Mittelmeer und gegen die Kriminalisierung von Seenotrettern.

Daran gibt es auch für Sozial­bürgermeister Yalcin ­Bayraktar nichts zu deuteln: „Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir nach wie vor im Rahmen des gesetzlichen Auftrags aufnahmebereit sind. Um dies zu gewährleis­ten, setzen wir uns für den Erhalt der seit 2014 geschaffenen Kapazitäten in der Anschlussunterbringung ein.“ Die Bürger, der Gemeinderat und die Stadtverwaltung hätten in den letzten Jahren gezeigt, dass sie bereit und fähig sind, Geflüchtete aufzunehmen, beim Ankommen zu unterstützen und zu integrieren. „Dieses Engagement und die Solidarität aller ist gelebter gesellschaftlicher Zusammenhalt, auf den wir auch in Zukunft bauen“, findet Bayraktar.

Die CDU hatte Bedenken angemeldet und einen Drei-Punkte-Antrag vorgelegt: Sollte ­Deutschland im Rahmen einer europäischen ­Lösung weitere Flüchtlinge aufnehmen, die dann über die Bundes­länder auf die Landkreise verteilt werden, solle sich Esslingen bereit erklären, wie bisher „die Vorgehensweise der Bundes­republik Deutschland für eine menschenwürdige Betreuung und Förderung von Flüchtlingen zu unterstützen“. Statt einer Mitgliedschaft in der Seebrücke solle die Stadt im Projekt „Kommunales Know-how für Nahost“ mitwirken und so aktiv zur Bekämpfung von Flucht­ursachen beitragen. Und die Verwaltung solle prüfen, „wie Flucht­ursachen von kommunaler Seite aus bekämpft werden können“. CDU-Stadtrat Tim Hauser wunderte sich, dass die Stadt nicht in allen Punkten die Anliegen der Seebrücke unterstütze - symbolische Erklärungen könnten „dazu führen, Fluchtanreize zu ver­stärken“.

Der Vorstoß von Grünen, SPD und Linken war von den ­Esslinger Kirchen der Ökumene und ­Allianz, dem CVJM, dem Kreisdiakonieverband und der Caritas unterstützt worden. Die Antragsteller warben im Gemeinderat für ihr Anliegen: Ursula Strauß (Grüne) sah den Beitritt zur Seebrücke als Bekräftigung der Willkommenskultur. Nicolas Fink (SPD) verwies darauf, dass Flüchtende nicht ohne Grund ihre Heimat verließen.

Die Freien Wähler waren uneins - ein Teil der Fraktion unter­stützte den Beitritt zur Seebrücke, der andere den ­CDU-Antrag. FW-Fraktionschefin ­Annette Silber­horn-Hemminger fand, beiden Anliegen könne man etwas abgewinnen. Mit Blick auf das Flüchtlingselend im Mittelmeer forderte sie „einen ­Appell an die Entscheidungsebenen, Lösungen zu finden“.