Zwischen Neckar und Alb

Applaus für „prachtvolle Hingabe“

Theater Esslingen feiert 100 Jahre Wanderbühne mit einer Festveranstaltung und Schillers „Kabale und Liebe“.

Esslingen. Festtagsreden bekommen - in der Regel - fast immer einen wohldosierten und selten einen überschwänglichen Applaus. An diesem Abend in Esslingen war es anders. Schauspielerin Sabine Bräuning war dieses Kunststück gelungen. Der Beifall ebbte selbst dann nicht ab, als sie sich schon wieder im Zuschauerbereich befand. Was hatte sich das Publikum nur dabei gedacht?

Von vorne: Die Sonne ist noch nicht untergegangen. Vor der Württembergischen Landesbühne Esslingen sammeln sich die Theatergäste, man trinkt Sekt und plaudert in gedämpftem Ton. Es ist ein großer Anlass: Die WLB feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Bereits am Freitag gab es einen Festakt nebst Premierenfeier von „Kabale und Liebe“ in Göppingen, weil dort - auf den Tag genau - vor 100 Jahren eben dieses Stück schon einmal Premiere hatte. Der 20. September gilt zugleich als das Gründungsdatum der Landesbühne, die damals noch „Schwäbische Volksbühne“ hieß. Sieben Jahre später findet die Wanderbühne ihr Domizil in Esslingen. Das erste Stück, das gespielt wird? Genau das.

In Göppingen wurde also punktgenau der erste und eigentliche Festakt begangen, Esslingen durfte, obwohl Heimstatt für die Bühne, erst nach 100 Jahren und einem Tag - gleichfalls mit „Kabale und Liebe“ - feiern. Was zwiespältige Gefühle hätte wecken können. Aber zum Wertekanon des bürgerlichen Anstands in klassizistischer Tradition gehört ja der Großmut, und so schaffte es Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger in seiner Festtagsrede, um Verständnis für diesen Fahrplan zu werben. „Wir Esslinger akzeptieren das gerne“, gönnte er den Göppingern den Vortritt. Ziegers Rede bekam ihren Beifall, und auch die Rede des ehemaligen Intendanten Achim Thorwald erntete nicht zuletzt aufgrund des wunderbaren und spannungserzeugenden Erzähltons ihren Beifall.

Sabine Bräuning hielt die dritte Rede des Esslinger Abends. Sie sprach von der Freude am Beruf, der Begeisterung für das Schauspiel, der „prachtvollen Hingabe“. Eine Freude, die dazu führe, dass ihr Berufsstand leicht auszubeuten sei. Ihre Vermutung: „Je größer die Begriffe, umso geringer das Salär.“ Tatsächlich leben die meis­ten Schauspieler von einem eher überschaubaren Einkommen, und manchmal, wenn sie kein Engagement haben, hängen sie regelrecht in der Luft. Sabine Bräunings Vortrag war, wie sollte es anders sein, gut betont, es gab eine Reihe interessanter Stilmittel. Alles gut und sehr gut, und dennoch lag in ihrer Ansprache etwas, das mit gewöhnlichen Notenmaßstäben nicht zu bewerten war. Es merkte jeder im Saal: Es war ein magischer Moment, der den überschwänglichen Applaus auslöste.Johannes Fischer