Zwischen Neckar und Alb

„Bauvorschriften sind von gestern“

Wohnen 40 Prozent des Wohnungsbedarfs sind nicht gedeckt. Die Innung diskutiert mit Landtagsabgeordneten, welche bürokratischen Hemmnisse abgebaut werden müssen, um Abhilfe zu schaffen. Von Peter Stotz

Die Städte brauchen mehr Wohnungen.Foto: Jean-Luc Jacques:
Die Städte brauchen mehr Wohnungen.Foto: Jean-Luc Jacques:

Allerorten drehen sich die Baukräne, werden Keller ausgehoben und Wände hochgezogen. Die Bautätigkeit hinkt allerdings dem Bedarf weit hinterher. Bauland ist knapp und kostbar, viele Regularien bremsen die Genehmigung von Wohnraum. Und die Bauwirtschaft befürchtet einen Fachkräftemangel und sieht Probleme bei der Nachwuchsgewinnung. Die Bauinnung Esslingen-Nürtingen hat bei einer Diskussion mit den Landtagsabgeordneten Andreas Deuschle (CDU), Andreas Kenner (SPD) und Andrea Lindlohr (Grüne) Lösungsmöglichkeiten ausgelotet.

„Wir brauchen das Handwerk, um Menschen in Wohnungen zu bringen. Das Handwerk braucht dafür aber einen Abbau der Regulierungen und muss die Möglichkeit haben, Leute zu beschäftigen. Sonst können wir nicht bauen“, erläuterte Claus Aichele, stellvertretender Obermeister der Bauinnung Esslingen-Nürtingen, den Abgeordneten die Situation.

Die Innung hatte die Landtagsabgeordneten zu ihrer Hauptversammlung eingeladen, um Lösungen für die Lage zu diskutieren. So sehen die Unternehmen Probleme bei der Nachwuchsgewinnung. „Der Maurerberuf hat kein gutes Image, wir haben im gesamten Kreis derzeit nur elf Auszubildende, und neun von ihnen sind als Flüchtlinge zu uns gekommen, berichtete der Innungsobermeister Armin Wager. In der Konsequenz würden an der Berufsschule nun zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet. „Damit ist eine gute Ausbildung nicht mehr gewährleistet“, sagte Wager.

Thomas Möller, der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, ergänzte, die Unternehmen seien auf Geflüchtete als Azubis wie als Fachkräfte dringend angewiesen. „Die Politik ist auch auf Landesebene gefordert, das ganze System der Duldungen und Abschiebungen zu überdenken und den Menschen Chancen zu geben“, sagte Möller. Aichele bat die Abgeordneten, darauf zu drängen, dass „der gesunde Menschenverstand“ die Überlegungen bestimmt.

Sorgen bereitet den Unternehmen die Vielzahl an Regulierungen, die es zu beachten gilt, bevor der erste Arbeiter anrücken kann. „Ein Wohnhaus zu bauen geht wesentlich schneller, als es zu genehmigen“, beklagte Aichele. Dafür stellten die Abgeordneten Abhilfen in Aussicht. „Es wird einige Veränderungen in der Landesbauordnung geben. Vieles soll abgeschafft werden und bei manchen Vorschriften müssen wir eingestehen, dass sie von gestern sind“, sagte Andrea Lindlohr. Deuschle versprach dazu eine „Folgeneinschätzung“ für Vorschriften, die „die Flut der Regulierungen“ eindämmen könne. Auch Andreas Kenner sah die „extreme Verkürzung von Planungs- und Genehmigungszeiten“ als dringlich an. „Wohnen ist ein Grundrecht. Wenn wir das nicht schnell hinbekommen, bricht uns die Gesellschaft auseinander“, sagte er.

Zur Deregulierung müsse sich daher auch ein Sinneswandel bei der Nutzung von Bauland gesellen. So müssten kommunale Anstrengungen wie das Esslinger Wohnraumversorgungskonzept oder Verpflichtungen wie in Kirchheim, 30 Prozent der Neubauflächen mit einer Sozialbindung zu versehen, stärker gefördert werden. Deuschle sah dabei das Land in der Pflicht, die kleineren Kommunen im Kreis nicht zu vergessen. „Wenn wir die Infrastruktur im ländlichen Raum erhalten und ausbauen, können wir verhindern, dass noch mehr Menschen in die Städte ziehen und so den Druck etwas mildern“, sagte er.

Nicht zuletzt gelte es, die Handlungsfähigkeit der Kommunen bei der Nachverdichtung oder auch der Erschließung von Baugebieten zu stärken. „Wenn die Flächen da sind, muss auch gebaut werden können. Es kann nicht sein, dass eine Stadt nichts tun kann, wenn ein Nachbar den Bau eines Wohnhauses für sechs Familien zwei Jahre lang verhindert, bloß weil es ihm nicht passt“, illustrierte Lindlohr. Kenner appellierte dazu, beim Wohnungsbau das Gemeinwohl über Eigeninteressen zu stellen. So sei es bemerkenswert, dass „Menschen, die gut verdienen und im Grünen wohnen, am ehesten Wohnungsbau verhindern“ wollten. Wenn Flächenbedarf für Wohnungen mit Flächenschutz ausgehebelt werden soll, „dann muss da einiges enttabuisiert werden, denn der Markt regelt das Problem eben nicht.“