Zwischen Neckar und Alb

Beim Heller g‘lernt

Unternehmen Was dem Stuttgarter der Daimler, das ist dem Nürtinger sein Heller. Eine Sonderausstellung im Nürtinger Stadtmuseum zeigt die Geschichte und Bedeutung der Maschinenfabrik. Von Marion Brucker

Das Firmengelände des Nürtinger Unternehmens aus der Luft. Foto: Heller
Das Firmengelände des Nürtinger Unternehmens aus der Luft. Foto: Heller

Seit 125 Jahren beschäftigt die Gebrüder Heller Maschinenfabrik GmbH Menschen aus der Region. Zum Teil sind sie schon seit Generationen beim Unternehmen beschäftigt. Dies zeigt sich auch an der Betriebszugehörigkeit. „Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter haben bei uns gelernt“, erklärt Klaus Winkler. Deshalb ist der letzte Freitag im November bei Heller immer ein wichtiger Tag. Da feiert die Maschinenfabrik ihre langjährigen Mitarbeiter. „Wir zelebrieren das, um zu zeigen, dass es für andere erstrebenswert ist“, meint Klaus Winkler. Der gelernte Bankkaufmann und Betriebswirt leitet seit 2003 die Geschicke der Heller-Gruppe. Die dritte Generation der Familie - sie war in den 125 Jahren Unternehmensgeschichte auch am längsten operativ engagiert - hatte sich 2006 zurückgezogen. Nur Berndt Heller ist seitdem Aufsichtsratsvorsitzender. Außerdem ist die vierte Generation am Unternehmen beteiligt. Die fünfte Generation geht noch in die Schule oder studiert. Ob sie in das Unternehmen einsteigen wird, ist offen.

So entwickelte sich aus dem von Hermann Heller 1894 gegründeten Unternehmen für Uhrmacherwerkzeuge ein mittelständischer Betrieb. Waren es damals sieben Arbeiter und drei Lehrlinge so beschäftigt Heller weltweit mittlerweile 2900 Mitarbeiter in Amerika, Asien und Europa. Die meisten davon arbeiten am Unternehmensstammsitz in Nürtingen. 1700 Menschen sind dort beschäftigt, darunter 120 Auszubildende. Dabei gibt es eine Besonderheit: „Wir bilden zu 100 Prozent im gewerblichen Bereich aus“, erklärt Klaus Winkler. Das sind Industrie- und Zerspanungsmechaniker, Mechatroniker, Elektriker für Automatisierungstechnik und technischer Produktdesigner. Außerdem bietet Heller Plätze an für das Studium an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) und ein Studium mit Facharbeiterausbildung im Studiengang Mechatronik sowie das „Reutlinger Modell“ im Studiengang Maschinenbau. „Wir sind mittelständisch geprägt und bieten ein breites Feld, in dem der Einzelne tätig sein kann“, meint Klaus Winkler.

Er geht durch die im Jahr 1900 gebaute ehemalige Montagehalle, in der das Vorführzentrum für Kunden untergebracht ist. Hier stehen die Bearbeitungszentren und Fertigungssysteme mit der die Fahrzeugindustrie und andere Branchen beispielsweise Metall- oder Aluminiumstücke fräsen. Das Unternehmen steckt jährlich 20 Millionen Euro in die Anwendungsentwicklung. Mehr als 100 Patente hält die Maschinenfabrik.

Damit erwirtschaftete das Nürtinger Familienunternehmen im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 558,3 Millionen Euro und blieb damit drei Prozent unter dem Vorjahreswert. Das soll im Jubiläumsjahr anders werden. Heller strebt ein Umsatzplus von 25 Prozent auf rund 700 Millionen Euro an. „Die Auftragseingänge sind ein gutes Barometer für das Folgejahr“, erklärt Klaus Winkler, verweist aber auf die Zurückhaltung bei den Investitionen in der Autoindustrie wegen der Debatten um den Verbrennungsmotor. Durch die politischen Diskussionen bestünden alle Chancen, die Industrie kaputt zu reden und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen. Es gelte auf Vielfalt zu setzen wie es China mache. E-Mobilität, Hybrid, Verbrennungsmotor und weitere Forschung an der Brennstoffzelle und am künstlichen Kraftstoff, um von den klassischen Ölquellen unabhängiger zu werden. E-Mobilität ist seiner Meinung nach eine Übergangstechnologie und für Pkw vor allem in Ballungsräumen geeignet, nicht aber für Nutzfahrzeuge, die lange Strecken mit schweren Lasten zurücklegen. Heller will die Zeit nutzen, sich noch besser aufzustellen und in Nürtingen die Mitarbeiterzahl von 1700 halten. Seit den 60er-Jahren sei sie konstant - doch man habe beim Umsatz enorm zugelegt. Sind damals rund 20 Millionen Mark erzielt worden, so sind es heute rund 600 Millionen Euro mit den weltweit 2900 Mitarbeitern. „Einen erheblichen Anteil unseres Erfolges verdanken wir unseren Mitarbeitern, die ihre Aufgaben täglich aufs neue motiviert erfüllen - und das auf einem herausragenden Niveau er“, lobt Klaus Winkler.

Info Wer sehen möchte, wie es ist, „Beim Heller g’lernt“ zu haben, der kann die gleichnamige Sonderausstellung im Stadtmuseum in Nürtingen, Wörthstraße 1, besuchen. Noch bis zum Sonntag, 13. Oktober, besteht dazu die Gelegenheit. Dort, zwischen Neckar- und Steinachufer gelegen, wird Stadtgeschichte lebendig. Die Besucher erwartet im alten Schützenhaus von 1565 ein zeitgemäß gestaltetes Museum.

Klaus Winkler lenkt derzeit die Geschicke von Heller. Foto: Marion Brucker
Klaus Winkler lenkt derzeit die Geschicke von Heller. Foto: Marion Brucker

Die Geschichte der Maschinenfabrik

7. Februar 1894: Der 25-jährige Hermann Heller eröffnet die Firma „Hermann Heller Handelsgeschäft und Fabrikation in geschützten Artikeln und Uhrmacherwerkzeug“ in Nürtingen. Zunächst stellt er Parallelschraubstöcke, Ventilatoren und Wendeltreppen her. Mit der Produktion von Kaltkreissägen zum Sägen von Metallen sowie der Fertigung von Sägeblattschärfmaschinen und Gewindeschneidapparaten gelingt ihm im Jahr 1898 der Einstieg in den Maschinenbau. In diese Zeit fällt die erste aufsehenerregende Entwicklung von Hermann Heller: die tragbare Oscillirsäge - eine Innovation für den Gleisbau. Im Jahr 1900 steigt Hermann Hellers Bruder Ernst als gelernter Kaufmann ins Unternehmen ein.

Die Firma wächst innerhalb weniger Jahre kontinuierlich und ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Herstellung von Radialbohrmaschinen erfolgreich, die einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zum Fräsmaschinenhersteller darstellen. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und produziert Heller Sonderfräsmaschinen zur Bearbeitung von Flugzeug- und Schiffsmotoren, die Mitte der 1940er-Jahre mit hydraulischen Steuerungen ausgestattet werden. Die parallel dazu entwickelte Kurbelwellen-Rundfräsmaschine verkürzt die Fräszeit einer Flugmotoren-Kurbelwelle von 150 auf 25 Minuten.

Nach Kriegsende orientiert sich das Familienunternehmen zunehmend an der Fahrzeugindustrie und beginnt in der Zeit des Wirtschaftswunders mit der Produktion von Sondermaschinen und Transferstraßen, um den steigenden Bedarf an mehr Fertigungskapazität zu decken. 1952 stellt es eine horizontale Produktionsfräsmaschine in Konsol-Bauweise vor, den Vorläufer der Bearbeitungszentren, die wenige Jahre später folgen. Mit weiteren Entwicklungen im Bereich der Steuerungstechnik positioniert sich Heller in den Folgejahren weiter als Innovations- und Technologieführer.

Nach dem Tod der beiden Gründerväter Hermann und Ernst führen Hermann Heller junior und seine beiden Brüder Rolf und Werner das Unternehmen. In den 1960er-Jahren übernimmt mit Hubert und Berndt Heller die dritte Generation die Führung der Maschinenfabrik. Es folgt die Internationalisierung der Unternehmensgruppe: 1974 werden Produktionsstandorte im englischen Redditch sowie in Sorocaba in Brasilien gebaut, 1982 ein Werk in Chicago in den USA. 2013 folgt das Produktionswerk im chinesischen Changzhou. mb