Zwischen Neckar und Alb

„Bergdorf“ könnte weiter bestehen

Flüchtlingseinrichtung Doch kein Ende im Mai 2020? Das Landratsamt prüft eine Verlängerung der Genehmigung für die Hochdorfer Gemeinschaftsunterkunft um weitere fünf Jahre. Von Katja Eisenhardt

Die Gemeinschaftsunterkunft nahe der Sportanlage Aspen könnte weitere fünf Jahre bestehen bleiben. Foto: Jean-Luc Jacques
Die Gemeinschaftsunterkunft nahe der Sportanlage Aspen könnte weitere fünf Jahre bestehen bleiben. Foto: Jean-Luc Jacques

Im Februar wurde seitens des Landkreises bekannt gegeben, dass die als „Bergdorf“ bezeichnete Gemeinschaftsunterkunft voraussichtlich im Frühjahr 2020 wieder geschlossen werden soll. Im Mai kommenden Jahres läuft die bisherige Baugenehmigung nach fünfjähriger Nutzung aus. Jetzt teilte das Landratsamt mit, dass geprüft werde, ob statt der Schließung auch eine Verlängerung um weitere fünf Jahre möglich wäre. Angesichts der aktuellen Entwicklungen überlege man, die Kapazitäten in Hochdorf aufrechtzuerhalten, sagt Pressesprecher Peter Keck.

Die Einrichtung sei sowohl bei der Gemeinde als auch im Ehrenamt auf sehr positive Resonanz gestoßen, was einen Weiterbetrieb aus Sicht der Kreisbehörde rechtfertigen würde. „Wir gehen davon aus, dass wir die Unterkunft weiter aufrechterhalten. Was andernfalls mit den Gebäuden passieren würde, wurde daher noch nicht erörtert“, sagt Keck. Es handelt sich dabei um vier zweigeschossige Holzmodulbauten für die Unterbringung sowie ein fünftes kleineres Verwaltungsgebäude. Eine Verlängerung der Baugenehmigung für das Bergdorf brächte dem Kreis eine gewisse Sicherheit. Zwar sei man, was die vorläufige Unterbringung angehe, zahlenmäßig gut aufgestellt - auf Veränderungen müsse man aber jederzeit vorbereitet sein, so der Sprecher des Landkreises. Für die kommunale Anschlussunterbringung fehle es dagegen zum Jahresende an Wohnraum und Unterkunftsplätzen.

Die Wendung ist auch schon bei den Ehrenamtlichen der Hochdorfer Flüchtlingshilfe angekommen, wie der Sprecher der Steuerungsgruppe, Karl-Ernst Kreutter, berichtet. „Wir sind bisher davon ausgegangen, dass die Unterkunft nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist im Mai 2020 nicht weiter besteht. Bei einem Treffen der Steuerungsgruppe teilte uns Bürgermeister Gerhard Kuttler die neuen Pläne des Landkreises mit.“ Die einzelnen Arbeitskreise der Flüchtlingshilfe machen sich laut Kreutter schon lange Gedanken, wie es im Falle einer Schließung weitergehen soll. So plane die Kleiderkammer vorerst etwa einen Annahmestopp zum Jahresende. „Eine Idee ist, das Angebot künftig auch für andere sozial bedürftige Bürger zu öffnen“, berichtet Kreutter. Die gut beschäftigte Radwerkstatt wolle am Standort Jugendhaus bleiben und plane ebenso eine bürgerintegrierte Fortsetzung wie das Begegnungscafé, das im Zuge des Mensabaus im Breitwiesenareal beispielsweise ein Bürgercafé werden könnte.

Über die Jahre seien unter den weit über 100 Ehrenamtlichen viele gute Netzwerke und Freundschaften entstanden, ebenso wie nachhaltige Kooperationen mit Vereinen, Kirchen und Gemeinde. Besonders in den drei Anfangsjahren sei der Kontakt zu den Geflüchteten besonders intensiv gewesen, bis sich alles eingespielt hatte, erinnert Karl-Ernst Kreutter. Bei manchen Angeboten, wie der ehrenamtlichen Sprachförderung, habe das Interesse der Bergdorfbewohner aber nach und nach abgenommen, nachdem es immer mehr professionelle Sprachschulangebote inklusive Zertifikat gab. Immer wieder zu kämpfen gehabt habe man in der Zusammenarbeit mit dem zuständigen Ausländeramt in Nürtingen, „das wesentlich restriktiver und bürokratischer vorging als andere Ausländerämter“, betont Kreutter. „So wurden viele Chancen für die Integration - etwa in den Arbeitsmarkt - vertan. Wir hätten uns hier mehr Unterstützung seitens des Landkreises gewünscht.“

Viele Ehrenamtliche seien mittlerweile an ihre Grenzen gelangt. Aktuell sei noch etwa die Hälfte der anfänglichen Zahl aktiv dabei. „Die Aufgaben wurden immer komplexer, manches musste an die Hauptamtlichen abgegeben werden. Leider waren viele gute Kräfte nur befristet eingesetzt, bei den Wechseln ging immer auch Wissen verloren“, berichtet Kreutter. Das Ehrenamt dürfe hier nicht als „Lückenbüßer“ dienen, so der klare Appell.

Angesichts der schwierigen Lage in verschiedenen Regionen der Welt und der immensen Investitionskosten für die Unterkunft vor fünf Jahren seien die aktuellen Überlegungen des Landkreises nachvollziehbar, sagt Bürgermeister Gerhard Kuttler. Die Konzeption und Organisation der Ehrenamtlichen müsse man im Falle der Verlängerung neu aufstellen: „Es wird kein ‚Weiter so‘ geben.“ Unerlässlich sei es, dass die professionelle Struktur von Heimleitung, Verwaltung und hauptamtlicher sozialer Betreuung durch die AWO vor Ort mindestens im aktuellen Umfang erhalten, besser aber aufgestockt werde. Auch die Flüchtlingshilfe-Koordinatorin der Gemeinde werde man mehr denn je brauchen. Ein weiteres Thema ist die Verbesserung der Taktung des Busverkehrs von und nach Kirchheim.

In den vergangenen fünf Jahren hätten die in Summe rund 200 Ehrenamtlichen hervorragende Arbeit geleistet und entscheidend zur Integration und dem Abbau von Vorurteilen beigetragen, betont Bürgermeister Gerhard Kuttler. Ziel wäre, dass das auch bei einem möglichen Weiterbetrieb so bleibt. Manche der Helfer hätten sich bis zur Erschöpfung verausgabt, daher sei nun eine größere hauptamtliche Unterstützung durch das Landratsamt und die AWO notwendig, zumal nicht alle Ehrenamtlichen weiter dabei sein werden.

Die Bewohner und die Perspektiven

Aktuelle Situation: Derzeit sind noch 128 Personen im „Bergdorf“ untergebracht, gut 60 davon sind Familien oder Frauen mit Kindern. Die meisten der Bewohner stammen aus Nigeria, der Türkei, Indien und Gambia. Neuaufnahmen wurden seitens des Landkreises seit der Sommerpause aufgrund der unklaren Zukunft der Unterkunft vermieden, die Belegung wurde vorsorglich reduziert.

Anschlussunterbringung: Sollte es im Mai 2020 doch zur Schließung kommen, würden rund 40 bis 50 Personen der kommunalen Anschlussunterbringung zugewiesen werden, die anderen würden anderen Gemeinschaftsunterkünften zugeteilt. Die Gemeinde Hochdorf ist aufgrund der geringen Einwohnerzahl und der im Vergleich dazu großen Gemeinschaftsunterkunft, in der zu Spitzenzeiten bis zu 240 Menschen lebten, noch für gut zehn Jahre von der Verpflichtung zur Anschlussunterbringung befreit. eis