Zwischen Neckar und Alb
Bissige Vampire lauern am Boden

Gesundheit Zecken sind hinterlistige Blutsauger, die gefährliche Krankheiten auf den Menschen übertragen können, etwa die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Die Fallzahlen steigen dramatisch. Von Simone Weiß

Diese Vampire sind auch am Tag aktiv, und sie beißen gnadenlos zu. Zecken sind gefährliche Blutsauger, die Krankheiten auf den Menschen übertragen können. Etwa die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Die Anzahl der Personen, die sich mit dieser Form der Hirnhautentzündung infizieren, ist steigend, wurde auf einer Pressekonferenz der Universität Hohenheim bekannt gegeben. Auch der Landkreis Esslingen wird als Risikogebiet eingestuft.

Die Gefahr lauert vor allem am Boden. In Vegetationen mit Höhen zwischen 50 Zentimetern und einem Meter beißen Zecken besonders gerne zu, erklärte Professor Gerhard Dobler. Der Leiter des Nationalen Konsiliarlabors für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr spricht von dramatischen Entwicklungen: Die Zahl der Erkrankungen habe den höchsten Stand seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001 erreicht. Im Vorjahr infizierten sich deutschlandweit 705 Menschen. 2019 wurden in der Bundesrepublik noch 443 Fälle, 2018 insgesamt 583 Erkrankungen gemeldet.

Betroffene gibt es auch im Landkreis Esslingen. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg bezifferte die Zahl der Patienten in der Region mit neun Personen im Jahr 2018 und jeweils vier in den Jahren 2019 und 2020. Auf der FSME-Karte des Robert-Koch-Instituts ist der Kreis Esslingen daher dunkelblau markiert und somit als Risikogebiet ausgewiesen. Die gleiche Einstufung haben alle Nachbarkreise, denn ganz Baden-Württemberg gilt als Risikogebiet. Mit einer einzigen Ausnahme: Nur der Stadtkreis Heilbronn ist auf der Gefahrenkarte als weißer Fleck dargestellt, da in den letzten drei Jahren lediglich 2018 ein einzelner Fall zu verzeichnen war.

Hohe FSME-Inzidenzwerte

Im Raum Esslingen sieht es anders aus. Die hohen FSME-Zahlen sind keine neue, unbekannte Situation für den Landkreis, erklärt Gerhard Dobler. In Baden-Württemberg seien in den letzten Jahren keine neuen Risikogebiete ausgewiesen worden, und die Fälle würden sich „in den alt bekannten Landkreisen“ häufen. Basis für die Einstufung ist die Zahl der gemeldeten Erkrankungen zwischen 2002 und 2020, die im Landkreis Esslingen aber schwanken. Die Inzidenz, also die Zahl der Neuerkrankungen in einem Jahr pro 100 000 Menschen, lag in der Region laut Robert-Koch-Institut in dem Fünfjahreszeitraum zwischen 2016 bis 2020 bei einem Wert von 3,35. Die niedrigste Quote eines Fünf-Jahres-Intervalls wurde zwischen 2005 und 2009 gemessen. Da betrug die Inzidenz 0,1. Legt man als Berechnungszeitraum die Jahre von 2002 bis 2019 zugrunde, so stieg die Zahl der FSME-Erkrankungen im Raum Esslingen zwischen 2015 und 2019 auf den höchsten Wert an. In diesem Fünf-Jahres-Zyklus spricht das Robert-Koch-Institut von einer Inzidenz von 3,17. Zum Vergleich: Der Nachbarkreis Göppingen zählte von 2016 bis 2020 eine Inzidenz von 1,75.

Corona und Klimawandel

Bei den Erklärungsversuchen für den Anstieg der Zahlen verwies die Expertenrunde der Pressekonferenz auf ein verändertes Freizeitverhalten, die Witterungsverhältnisse der letzten Jahre und die ökologischen Folgen des Klimawandels. Schuld an der Zunahme sind laut Gerhard Dobler nicht die Reisenden, denn nur in etwa zehn Prozent der Fälle würden Touristen die Erkrankungen aus dem Urlaub mitbringen. Durch die Corona-Beschränkungen aber würden die meisten Menschen nicht mehr verreisen, sondern sich in heimischen Regionen und der freien Natur aufhalten - dort, wo die Zecken lauern. Und wegen der zu warmen Winter und den ganzjährig milderen Temperaturen, so ergänzt Rainer Oehme, seien die Holzböcke das ganze Jahr über aktiv. Dennoch sei die Suche nach Gründen schwierig, so Ute Mackenstedt, Zeckenexpertin an der Universität Hohenheim: „Insgesamt ist das ganze Geschehen sehr komplex. Es gibt offensichtlich Entwicklungen, die zu Veränderungen im Übertragungszyklus führen“.