Zwischen Neckar und Alb

Blauhilde soll nicht auf Roter Liste landen

Buchvorstellung Auf Spurensuche hat sich Felicitas Wehnert begeben und Erstaunliches zutage gefördert: Gartenschätze im Südwesten. Von Iris Häfner

Felicitas Wehnert präsentierte im Freilichtmuseum Beuren ihr druckfrisch erschienenes Buch. Foto: Jean-Luc Jacques
Felicitas Wehnert präsentierte im Freilichtmuseum Beuren ihr druckfrisch erschienenes Buch. Foto: Jean-Luc Jacques

Die Protagonisten hören auf so blumige Namen wie „Das Wunder von Stuttgart“, „Ulmer Ochsenhorn“, „Neckarriese“, „Blauhilde“ oder „Rosa Tannenzäpfle“ - nein, Letzteres ist keine weitere Biersorte aus dem Südschwarzwald, sondern eine nahezu ausgestorbene Kartoffelsorte, die fast nur noch in Museumsgärten angebaut wird. Ein ähnliches Schicksal hat die Rübe „Ulmer Ochsenhorn“ ereilt. Beim „Wunder“ und dem „Riesen“ handelt es sich um Salatsorten und „Hilde“ ist eine blaue Bohne. Ihnen und vielen anderen Obst- und Gemüsesorten hat die Nürtinger Autorin Felicitas Wehnert ihr reich bebildertes Buch „Unsere Gartenschätze - Geschichten um alte Obst- und Gemüsesorten“ gewidmet, erschienen im Belser Verlag.

„Jede Sorte bietet eine Geschichte, sei es sozial-, polit- oder wirtschaftsgeschichtlich. Ich hätte nicht gedacht, dass das Buch so spannend wird“, sagt Felicitas Wehnert bei ihrer Buchpräsentation im Freilichtmuseum Beuren. Das entpuppt sich immer mehr nicht nur als Retter alter Bausubstanz, sondern als Arche für vom Aussterben bedrohte Garten- und Wiesenfrüchte. „Es wäre ein Jammer, wenn die alten, regionalen Sorten verschwinden würden. Es ist eine ungemeine Vielfalt an Geschmack und eine züchterische Leistung über Generationen, es ist ein genetischer Pool, aus dem man in Zeiten des Klimawandels schöpfen kann“, sagt die Autorin. Als Kulturwissenschaftlerin hat sie auch Menschen in den Fokus gerückt, ebenso das Zusammenwirken von Sorten und „Menschenstämmen“ - auch in Bezug auf Aus- und Einwanderung.

Die Tomaten kamen aus Südamerika zunächst in den Mittelmeerraum. Um 1900 bauten viele Italiener in Deutschland die Eisenbahnlinien. „Weil sie zu ihren Spaghetti auch eine ordentliche Tomatensoße haben wollten, brachten sie die Tomaten mit“, erzählt die Autorin. Eine weitere Südamerikanerin ist die Kartoffel. Sie degradierte die Ackerbohne zur Saubohne, weil sie als schmackhafte Alternative als Eiweißlieferant die Bohne verdrängte. „Im Mittelalter kam die Ackerbohne als wichtigstes Nahrungsmittel fast täglich auf den Tisch. Dann diente sie nur noch als Viehfutter“, so Felicitas Wehnert. Eine Auswanderin, die langsam wieder in ihr Stammland zurückkehrt ist die Langenauer Stangenbohne. Mit den Donauschwaben gelangte sie ins Banat. „Bei uns ist sie fast ausgestorben, im heutigen Rumänien jedoch erhalten geblieben“, freut sich die Autorin, die diese Sorte wegen ihres grün-lila gesprenkelten Musters überaus schätzt.

Die Sortenretter stellt Felicitas Wehnert in ihrem Buch ebenfalls vor. Zu ihnen zählen Woldemar Mammel aus Lauterach mit seinen „Albleisa“, Lonie Geigle aus Hengen mit ihrem Gartenparadies, und Helmut Dolde aus Linsenhofen mit seiner Schwarzen Birne, die nur im Neuffener Tal vorkommt, und aus der der Winzer einen feinen Schaumwein macht. Bei der Buchvorstellung sind auch die Sortenretter und Professoren Jan Sneyd und Roman Lenz dabei. Jan Sneyd hat sich des Schwäbischen Dickkopf-Landweizens angenommen. Er wurde als Slow-Food-Arche-Passagier angenommen und landet im Bäckerhaus Veit als „Dickköpfle“, ein Vollkornbrot, in den Regalen.

„Das Buch kommt zur richtigen Zeit“, freut sich Roman Lenz, Pflanzenökologe an der HfWU Nürtingen-Geislingen. In Mitteleuropa seien 90 Prozent der Gemüsesorten verloren gegangen. „Viele schutzwürdige Pflanzensorten und Haustierrassen sind in ihrem Bestand stark bedroht“, so der Professor. Hier sei der Verbraucher gefragt, wenn das Spektrum im Supermarkt um regionale Sorten erweitert werden soll.

Den will das Freilichtmuseum ankurbeln. „Wir wollen das Museum zum Erlebnis- und Genusszentrum ausbauen“, verrät Museumsleiterin Steffi Cornelius. Am Sonntag, 8. April, sind Felicitas Wehnert und Klaus Lang nachmittags im Haus aus Öschelbronn anzutreffen. Aus seinem Saatgut-Garten hat Lang Samen von rund 500 alten Sorten gewonnen und Samentüten verschiedener Art mit dabei, die Interessierte gegen einen Unkostenbeitrag erwerben können.