Zwischen Neckar und Alb

Bürger protestieren gegen Bauprojekt

Sozialwohnungsbau sorgt für heftige Diskussionen in den sozialen Medien und im Ratsrund

Polizei vor dem Rathaus, empörte Zuhörer im Sitzungssaal und Proteststürme in den sozialen Medien: Das Thema „Schaffung von kostengünstigem Wohnraum“ sorgt in Nürtingen für Zündstoff. Auf Vorschlag der Verwaltung wurde der Tagesordnungspunkt kurzerhand in die nicht öffentliche Sitzung verbannt.

Etwas mehr als 200 Besucher saßen und standen am Dienstagabend dicht gedrängt im Sitzungssaal des Rathauses, um die Diskussion d
Etwas mehr als 200 Besucher saßen und standen am Dienstagabend dicht gedrängt im Sitzungssaal des Rathauses, um die Diskussion des Bau-, Planungs- und Umweltausschusses zu verfolgen. Die Empörung war groß, als sich das Gremium mehrheitlich für eine Verschiebung des Tagesordnungspunktes in den nicht öffentlichen Teil aussprach. Foto: Jürgen Holzwarth

Nürtingen. Drei städtische Grundstücke, die sich für eine schnelle Realisierung von kostengünstigem Wohnraum eignen, hatte die Stadt in einem ersten Suchlauf im Fokus: Eines im Inneren Gänslesgrund, eines in Oberensingen und die sogenannte Nanz-Wiese im Roßdorf. Weil letzteres Grundstück unter zeitlichen und wirtschaftlichen Aspekten am geeignetsten schien, sollte dafür eine Entwurfsplanung angefertigt werden. Und darüber sollte der Bau-, Planungs- und Umweltausschuss am Dienstag beraten.

Im Vorfeld regte sich im Roßdorf der Widerstand. Nürtinger Liste/Grünen-Stadtrat Reinmar Wipper hatte Argumente zusammengetragen, die seines Erachtens gegen eine Bebauung sprechen und in den sozialen Medien verbreitet. Auch an den Oberbürgermeister hatte er einen Brief geschrieben. Die Bewohner des Hochhauses Liebermann und auch andere Roßdorf-Bewohner waren alarmiert.

Im Sitzungssaal herrschte am Dienstagabend eine aufgeheizte Stimmung. Gespannt warteten die rund 200 Zuhörer auf die Diskussion des Bauausschusses zur beabsichtigten Bebauung der Nanz-Wiese. Vor dem Rathaus standen Polizeibeamte. „Über die sozialen Medien und die Polizei haben wir Hinweise auf mögliche Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen erhalten“, gab Heirich die Erklärung für die Polizeipräsenz.

Eine Demo vor dem Rathaus gab es nicht. „Aber angesichts der aufgeladenen Atmosphäre war es die richtige Entscheidung“, verteidigte OB Heirich in einer Pressemitteilung am Tag nach der Sitzung seinen Vorschlag und die Entscheidung des Ausschusses, den Tagesordnungspunkt in den nicht öffentlichen Teil der Sitzung zu verlegen. Am Nachmittag, so Bürgermeisterin Grau, sei verbreitet worden, dass die rechte Szene aus Esslingen aufmarschieren wolle. Von den angekündigten 45 Rechtsradikalen, die angeblich mit dem Zug kommen sollten, war am Dienstagabend glücklicherweise nichts zu sehen und zu hören. „Rechte raus, Flüchtlinge rein?“, skandierten Vertreter der linken Szene vor dem Rathaus. Weitaus aggressiver war der Ton im Sitzungssaal bei manchen Zuhörern, als OB Heirich mitteilte, dass man den Tagesordnungspunkt hinter verschlossenen Türen beraten wolle. „Wenn im Sitzungssaal Fäuste geschüttelt und Drohungen ausgesprochen werden, kann man nicht sachlich diskutieren“, sei auch die Einschätzung der meisten Stadträte gewesen, so OB Heirich in der Pressemitteilung. In Zwischenrufen forderten die Zuhörer eine Bürgerversammlung im Roßdorf. Heirich betonte, dass entgegen den Gerüchten kein Heim für Asylbewerber geplant sei, sondern es vielmehr darum gehe, auf welchem städtischen Grundstück mit gültigem Bebauungsplan die Stadt möglichst schnell kostengünstigen Wohnraum für Menschen mit schmalem Budget, anerkannte Asylbewerber oder Alleinerziehende verwirklichen könne. Daran besteht in Nürtingen ein großer Bedarf und für die Stadt die Pflicht, ausreichend Angebote zu schaffen.

Die Mehrheit der Ausschussmitglieder und OB Heirich sprachen sich für die Beratung im nicht öffentlichen Teil aus. Wie die Pressestelle der Stadt mitteilte, habe sich der Ausschuss darauf geeinigt, das Thema nochmals neu aufzubereiten. Dazu soll zunächst ein ergebnisoffener Austausch von Stadtverwaltung, GWN und Stadträten stattfinden, bei dem sämtliche Fragen der Stadträte zum Thema beantwortet, aber auch mögliche Alternativen erarbeitet werden. „Wir können uns der Aufgabe, kostengünstigen Wohnraum zu schaffen, nicht verweigern. Deshalb müssen wir zu einer Lösung kommen“, so Bürgermeisterin Claudia Grau.

Allein auf der Warteliste des städtischen Eigenbetriebs Gebäudewirtschaft (GWN) stehen mehr als 200 Personen, darunter sind etliche Familien mit mehreren Kindern. Es sind Personen, die auf dem sowieso stark angespannten Wohnungsmarkt nicht unterkommen. Nachfragen bei Privatinvestoren im Mietwohnungsbau hätten ergeben, dass diese nicht bereit seien, einen Teil der Wohnungen zu vergünstigten Preisen bereitzustellen. In den 1980er- und 1990er-Jahren seien von der öffentlichen Hand erhebliche Mittel in den sozialen Wohnungsbau geflossen. Das Thema ist also nicht neu. „Das Förder- und Bauprogramm zum sozialen Wohnungsbau wurde jedoch vor Jahren eingestellt. Das rächt sich nun“, sagt Bürgermeisterin Claudia Grau. „Bund und Land haben das nun erkannt und stellen enorme Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau erneut bereit.“