Zwischen Neckar und Alb

Butter nicht vom Brot nehmen lassen

Integration Die Backstube Schultheiss in Ostfildern will auch in Zukunft auf Fachkräfte setzen können. Zu ihren neuen Lehrlingen zählen unter anderem zwei Flüchtlinge. Von Melanie Braun

Der Lehrlingsmarkt ist leer gefegt. Die Bäckerei Schultheiss in Nellingen hat dennoch neue Azubis eingestellt: drei junge Auslän
Der Lehrlingsmarkt ist leer gefegt. Die Bäckerei Schultheiss in Nellingen hat dennoch neue Azubis eingestellt: drei junge Ausländer.Foto: Roberto Bulgrin

Der Name Backstube ist hier eigentlich irreführend. Denn mit einer gemütlichen Stube hat die Produktionsstätte der Bäckerei Schult­heiss in Ostfildern-Nellingen nichts zu tun. Vielmehr ist hier alles auf rationale Arbeitsabläufe ausgerichtet – und fast alles überdimensioniert: In dem riesigen Raum stehen enorme Knetmaschinen, eine stattliche Waage und riesige Backöfen.

Vieles läuft hier vollautomatisch: Die Backtemperatur in den Öfen wird ebenso vom Computer gesteuert wie die Temperatur in den Reiferäumen, wo am Nachmittag schon die Teilchen und Brote für den nächsten Tag ruhen. Selbst das Mehl, das im Keller lagert, wird nach Bedarf von einer Maschine hochgesaugt und automatisch nach den Vorgaben von im PC gespeicherten Rezepten abgewogen.

Alles andere ist Handarbeit – darauf legt Johannes Schultheiss, einer der Geschäftsführer und Landesinnungsmeister, Wert. „Wir produzieren selbst und kaufen keine fertigen Teiglinge“, betont er. Allerdings braucht man dafür das richtige Personal – und genau das ist das Problem. Denn die Auszubildendenzahlen im Bäckerhandwerk gehen seit Jahren zurück.

Als echter Handwerksbetrieb wolle man bei Schultheiss Fachkräfte qualifizieren. Denn hier werden die Brezeln noch von Hand geschlungen und die Brote von den Mitarbeitern geformt. „Die schweren Grundarbeiten werden von Maschinen übernommen, alle feineren Arbeiten erledigen wird von Hand“, sagt der Geschäftsführer.

Nicht nur, weil der Teig besser beurteilt werden könne, wenn man ihn selbst in den Händen hält, sondern auch, um flexibel zu bleiben. „Prinzipiell könnte ich alle Produkte vollautomatisch herstellen“, sagt Schultheiss. Aber mit einer teuren Maschine, die beispielsweise nur auf die Produktion von Toastbrot ausgerichtet sei, könne er nicht auf aktuelle Trends reagieren. Vor einigen Jahren habe es große Nachfrage nach Ciabatta gegeben – die habe er nach kurzer Zeit befriedigen können. Hätte er dafür erst eine neue, teure Maschine kaufen müssen, ohne zu wissen, ob diese sich lohne, wäre das wohl nicht möglich gewesen.

Deshalb braucht man Nachwuchs, der Teige beurteilen kann, einen Überblick über die Produktionsprozesse hat und später vielleicht eine Führungsaufgabe übernehmen kann, sagt Schult­heiss. Doch ein großes Handicap bei der Suche nach Lehrlingen sind die Arbeitszeiten: „Der deutsche Durchschnittsbürger versucht, sehr geregelt zu arbeiten.“ Mitten in der Nacht aufstehen und samstags, manchmal auch sonntags arbeiten, passe bei vielen nicht ins Konzept.

Dabei hat dieser Arbeitsrhythmus auch seine Vorteile, findet Nicole Schultheiss, die für die Öffentlichkeitsarbeit des Betriebs zuständig ist: „Nachmittags hat man immer frei. Man muss eben die Vorteile vom frühen Aufstehen sehen“, sagt Johannes Schultheiss.

Drei junge Menschen, die ihre Chance im Bäckerhandwerk sehen, hat der Bäckermeister Anfang September als Auszubildende eingestellt: einen Flüchtling aus Gambia und einen aus Afghanistan sowie einen Spanier, der an einem europäischen Auslandsprogramm teilnimmt. „Sie sehen eine Perspektive in Deutschland und sie wollen etwas werden“, erzählt Schult­heiss. Deshalb seien sie hoch motiviert – mehr als viele Deutsche. Das sei sehr gut, nicht zuletzt, weil die drei neben den Fachkenntnissen auch noch Deutschkenntnisse erwerben müssten.

Etwas Eingewöhnungszeit war schon notwendig. So habe es am Anfang einige Schwierigkeiten mit der Pünktlichkeit gegeben, zudem hätten sich die drei in einem Praktikum erst einmal als geeignet erweisen müssen. „Aber jetzt haben wir eine Win-win-Situation“, sagt Geschäftsführer Johannes Schult­heiss. „Wir wollen etwas von ihnen, aber sie bekommen auch etwas von uns.“