Zwischen Neckar und Alb
Corona setzt den Menschen psychisch zu

Seelenleben Corona hat die Mitarbeitenden der psychologischen Beratungsstellen im Landkreis Esslingen gefordert. Die Nachfrage nach Therapie ist groß. Von Amelie Pyta

Weniger soziale Kontakte, Isolation, finanzielle Sorgen durch Kurzarbeit, Belastung durch fehlende Kinderbetreuung – die Coronapandemie hat vielen Menschen psychisch zugesetzt. Das spiegelt sich inzwischen auch in Statistiken wider. 2020 gab es laut einer Studie der australischen Universität von Queensland und der Universität von Washington ungefähr 53 Millionen Fälle von schweren depressiven Störungen und 76 Millionen Fälle von Angststörungen zusätzlich, die auf die Pandemie zurückgeführt werden.

 

Anderthalb Jahre müssen Betroffene
auf einen Therapieplatz warten.
Christiana Berner
Leiterin der psychologischen Beratungsstelle auf den Fildern
 

Diese Zunahme betrifft auch die psychologischen Beratungsstellen im Landkreis Esslingen, die vom Kreisdiakonieverband getragen werden. Die Nachfrage nach den Beratungen ist groß, berichtet Eberhard Haußmann, der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands. Das liegt auch daran, dass Einrichtungen wie Tageskliniken oder Psychiatrien voll seien und keine Patienten mehr aufnehmen. Trotz der Pandemie habe man die Beratung durchgehend in Präsenzform angeboten, sagt Haußmann. Manches musste zwar auch digital bewältigt werden, aber der persönliche Kontakt ist einfach wichtig. Die Pandemie hat die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen stark gefordert. Diese mussten sich nun auch um Patienten kümmern, die aufgrund ihrer Erkrankungen eigentlich in einer Klinik hätten aufgenommen werden müssen. Dank des hohen Engagements und weil alle an einem Strang gezogen hätten, habe man die Situation gut gemeistert, berichtet Ralf Weers, der im Diakonischen Beratungszentrum in Esslingen arbeitet. Jedoch könne man diese Belastung nicht dauerhaft tragen, betont er.

Vor allem Kinder und Jugendliche leiden unter den Folgen der Pandemie. Laut dem deutschen Caritasverband zeigt fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten. Christiana Berner, die die Psychologische Beratungsstelle auf den Fildern leitet, erzählt von 12- bis 13-Jährigen, die die Welt als keinen sicheren Ort mehr wahrnehmen, für die alles grau sei und die niemanden mehr sehen wollten. Normalerweise würden sich Kinder in diesem Alter noch nicht mit solchen Themen beschäftigen, sagt sie. Familiäre Konflikte, die durch das enge Beisammenleben im Lockdown entstanden sind, haben dazu geführt, dass Kinder ihr Zuhause nicht mehr als sicheren Rückzugsort wahrgenommen hätten. Dadurch ist für diese der Eindruck entstanden, die Welt sei auch nicht mehr sicher. Durch das Homeschooling haben sich viele Jugendliche zurückgezogen und waren einsam, erzählt Ralf Weers.

Beratung per Mail

Um junge Menschen besser zu erreichen, hat der Kreisdiakonieverband ein Projekt auf der sozialen Plattform Instagram gestartet. Ein- bis zweimal pro Woche erscheinen dort Posts, die den Jugendlichen positive Impulse geben sollen, sagt Christiana Berner. Mit diesem niedrigschwelligen Angebot haben die Experten schon viele Kinder und Jugendliche erreichen können, die man sonst nicht erreicht hätte, sagt Berner. In den Posts wird auf die kostenlose und anonyme E-Mail-Beratung hingewiesen.

Auch den wirtschaftlichen Aspekt, der vielen Familien zugesetzt hat, darf man nicht vergessen, sagt Eberhard Haußmann. Durch die Krise haben manche Erwerbstätige ihren Beruf verloren. Da die Schulen und Kindertagesstätten ebenfalls geschlossen waren, ist zudem das Essen für die Kinder in der Mensa weggefallen. Das hat bei manchen Familien dazu geführt, dass diese sich in der Woche vor Ende des Monats nur von Nudeln mit Soße hätten ernähren können.

Ein großes Problem in Deutschland ist, dass sich Menschen mit psychischen Problemen oft sehr lange gedulden müssen, ehe sie einen Termin bei einem Psychologen erhalten. „Sechs Monate bis zu anderthalb Jahre müssen Betroffene auf einen Therapieplatz warten“, sagt Christiana Berner. Dabei spielt Zeit bei psychischen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Bekämen die Betroffenen schnell Unterstützung, könne man einen schweren Verlauf aufhalten, erklärt die Leiterin der Beratungsstelle. Daher werden dringend mehr Klinikplätze, mehr psychologische Praxen und auch mehr ambulante Behandlungsmöglichkeiten benötigt. Denn die Krise ist noch lange nicht vorbei.

Eberhard Haußmann appelliert an die Politik, die bestehenden Systeme zu erhalten. Man hätte neben der Bundeswehr auch für den sozialen Bereich 100 Milliarden Euro bereitstellen können, sagt er und spielt auf die große Investition an, die die Bundesregierung für die Aufrüstung Deutschlands angekündigt hat. „Wir müssen um jedes finanzielle Mittel kämpfen“, sagt Eberhard Haußmann.

 

Hilfe für Betroffene

In Esslingen bietet das Diakonische Beratungszentrum in der Berliner Straße 26 Erziehungs-, Familien-, Jugend-, Paar- und Lebensberatung sowie Trennungs- und Scheidungsberatung an. Die psychologische Beratung ist unter der Telefonnummer 07 11/3 42 15 71 00 oder per Mail an dbz.es@kdv-es.de zu erreichen.

Auf den Fildern findet die Beratung in der Eisenbahnstraße 3 in Filderstadt statt. Die Experten sind unter der Nummer 07 11/70 20 96 und per Mail an pbs.be@kdv-es.de erreichbar. In Leinfelden-Echterdingen finden Betroffene in der Gartenstraße 2 Hilfe. Die Beratung ist telefonisch unter der Nummer 07 11/7 97 93 68 und per Mail an pbs.le@kdv-es.de möglich. Im evangelischen Gemeindehaus in der Eugen-Schumacher-Straße 14 in Ostfildern-Nellingen gibt es ebenfalls die Möglichkeit zur Unterstützung und Beratung.

Das Online-Beratungsportalwww.onbera.de bietet kostenlos und anonym Hilfe und Rat an. rap