Zwischen Neckar und Alb

Das Handwerk bangt um Lehrstellen

Arbeitsmarkt Jeder vierte Betrieb denkt wegen der Coronakrise darüber nach, weniger Azubis einzustellen. Auch im Landkreis Esslingen wird diese Entwicklung befürchtet. Von Dominic Berner

Schweißen will gelernt sein. Wie sich der Ausbildungsmarkt nach der Coronakrise präsentiert, ist derzeit unklar.Foto: Jean-Luc J
Schweißen will gelernt sein. Wie sich der Ausbildungsmarkt nach der Coronakrise präsentiert, ist derzeit unklar. Foto: Jean-Luc Jacques

Die finanziellen Einbußen durch die Corona-Pandemie zwingen viele Unternehmen im Land dazu, ihre Ausgaben neu zu überdenken. Das gilt auch für die Handwerksbetriebe. Laut einer Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH), bei der über 2700 Handwerksbetriebe befragt wurden, könnten Sparvorhaben den Fachkräftemangel weiter anheizen. Denn wegen der Krise wolle ein Viertel aller Befragten weniger Lehrstellen besetzen - auch im Kreis Esslingen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt vor einem Corona-Crash auf dem Ausbildungsmarkt.

Die Ergebnisse der Studie müssten „uns sorgenvoll stimmen“, erklärt ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. Zwar zeige das Resultat auch, „wie sehr unseren Betrieben die Ausbildung am Herzen liege“ - immerhin würden fast 45 Prozent der befragten Unternehmen mit genauso vielen oder sogar mehr Azubis wie in den Vorjahren planen. Doch 25 Prozent müsse sein Engagement in diesem Bereich hinterfragen. „Dem muss man entgegenwirken“, sagte Wollseifer.

Auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack wies darauf hin: „Ein Corona-Crash auf dem Ausbildungsmarkt muss verhindert werden, sonst droht sich die soziale Spaltung zu vertiefen.“ Wie schnell diese Entwicklung umgesetzt wird, zeigen erste Fälle auf dem Ausbildungsmarkt. So berichtete die IG Metall, dass Betriebe Ausbildungsverträge für das kommende Jahr aufgekündigt hätten. Zudem teilte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) mit, dass es bei den angebotenen Ausbildungsplätzen ein Minus von knapp acht Prozent gebe im Vergleich zum Vorjahresmonat. Deshalb fordern die Gewerkschaften mehr Einsatz von Politik und Wirtschaft. „Wir erwarten von Bundesregierung und Arbeitgebern, dass sie um jeden Ausbildungsplatz kämpfen“, sagte Hannack.

Dass diese Entwicklung auch im Kreis Esslingen befürchtet wird, bestätigt der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Esslingen-Nürtingen (KH) Jens Schmitt. Er nimmt die Umfrageergebnisse des ZDH sehr ernst. „Allerdings hoffe und erwarte ich nicht, dass 25 Prozent der Handwerksbetriebe im Landkreis weniger ausbilden möchten“, sagte er. Grundsätzlich gebe es Unterschiede zwischen den Gewerken. „Der Hauptbaubranche geht es meines Erachtens nach noch am besten“, sagt Schmitt. Wenn es den Rückgang des Lehrstellenangebots gibt, dann hänge das mit den Auswirkungen der Coronakrise zusammen.

Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen - zumal schon 2019, vor Corona, weniger Stellen angeboten wurden als 2018. Sollten sich also das Ergebnis der ZDH-Studie bewahrheiten, würde es noch weniger Fachkräftenachwuchs geben. „Aus diesem Grund müssen die Ausbildungsbetriebe unterstützt werden“, sagt Schmitt.

Einen Lösungsvorschlag lieferte Rainer Reichhold, der Präsident des baden-württembergischen Handwerkstages: einen Ausbildungsbonus für neue oder zusätzliche Stellen - oder dass Unternehmen Azubis von insolventen Betrieben übernehmen. Das fordern auch andere Verbände wie der DGB und der ZDH. Man müsse Klein- und Kleinstbetriebe finanziell unterstützen, sagte Wollseifer. Denn 83 Prozent der Ausbildungsbetriebe in Deutschland hätten diese Größe.

Laut Schmitt spielt noch ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle: Dadurch, dass sich die Gesellschaft langsam an eine „neue Normalität“ gewöhne, könnte es gut sein, dass bald wieder Aufträge eingehen. „Ich hoffe, das geschieht rasch. In Kombination mit Hilfen vom Bund zur Überbrückung, könnten die negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie gering bleiben.“ Das rette auch viele Ausbildungsplätze. Bund, Länder, Gewerkschaften und Unternehmerverbände wollen sich Ende Mai in einem Treffen über Lösungen für die Absicherung von Ausbildungsplätzen beraten. „Was in den vergangenen Jahren im Kreis Esslingen mit steigenden Ausbildungszahlen erreicht wurde, muss zwingend aufrechterhalten werden“, so Schmitt.