Zwischen Neckar und Alb

„Das ist eine Zwangsbeglückung“

Konflikt Im Juli wurde es beschlossen: Die Breitwiesenschule in Hochdorf soll eine Ganztagsschule werden. Jetzt fechten Bürgermeister Gerhard Kuttler und die Fraktionen im Amtsblatt heftige Kämpfe aus. Von Roland Kurz

Die Hochdorfer Grundschule soll eine Ganztagsschule werden. Viele Eltern haben sich dagegen ausgesprochen.Foto: Roberto Bulgrin
Die Hochdorfer Grundschule soll eine Ganztagsschule werden. Viele Eltern haben sich dagegen ausgesprochen.Foto: Roberto Bulgrin

Selbst für die streiterprobte Gemeinde Hochdorf ist der raue Tonfall, der zwischen Bürgermeister Gerhard Kuttler und der Mehrheit der Gemeinderäte derzeit angeschlagen wird, ungewöhnlich. Seit der Gemeinderat im Juli beschlossen hat, ein Konzept für eine verpflichtende Ganztagsschule (GTS) erstellen zu lassen, tobt im Amtsblatt ein erbittertes Gefecht. Der Bürgermeister wirft den Räten vor, mit ihrem „ungeheuerlichen Beschluss“ das Votum der Eltern „mit Füßen getreten“ zu haben. Die Räte fordern Kuttler auf, seine Vorwürfe öffentlich zurückzunehmen.

Schulkindbetreuung weiterentwickeln oder eine Ganztagsgrundschule einrichten? Mit dieser Frage beschäftigen sich Gemeinderat und Breitwiesenschule seit gut zwei Jahren. Zwei Mal wurden auch die Eltern befragt. Beide Male sprach sich eine Mehrheit für die Verbesserung der Betreuung aus. 73 Prozent votierten im Mai 2017 für den Ausbau der Betreuung und gegen eine ungebundene Ganztagsschule. Dennoch hat sich die Schulkonferenz für die GTS ausgesprochen und nach dem „Ganztagsgipfel“ der Landesregierung den Gemeinderat noch einmal gebeten, Kurs auf die GTS zu nehmen. Am 25. Juli tagte der Gemeinderat. Zunächst stellte man fest, dass man laut Elternumfrage für eine ungebundene GTS nicht die Mindestanzahl von Schülern hätte. Darauf stellte der CDU-Fraktionsvorsitzende Siegfried Albrecht den Antrag, ein Konzept für eine verpflichtende Ganztagsschule zu erstellen. Bis auf zwei Räte der Freien Wähler und Bürgermeister Kuttler stimmten alle dafür.

Diesen Beschluss kommentierte der Bürgermeister im Amtsblatt, und zwar in einem verblüffend scharfen Ton. Eine große Mehrheit des Gemeinderats habe das Ergebnis der Bürgerbeteiligung „mit Füßen getreten“. Rechtlich sei der Beschluss zulässig, schreibt Kuttler, fragt jedoch: „Welches Demokratieverständnis, welche Moral, welche Haltung?“ Völlig ohne Not wolle der Gemeinderat die große Mehrheit der Eltern in eine verpflichtende Ganztagsbetreuung zwingen.

Diese Vorwürfe ließen die Gemeinderäte nicht auf sich sitzen. Für das Amtsblatt vom 8. September schickten CDU, SPD, Die Mitte, Grüne sowie der FW-Gemeinderat Markus Steinhauser eine Stellungnahme ans Rathaus. In ihrem „Faktencheck“ beklagen sie zunächst, dass auf der Info-Veranstaltung für die Eltern zu wenig über das Konzept der GTS geredet worden sei. Die Ablehnung bei Teilen der Elternschaft könne man nicht nachvollziehen, wenn gleichzeitig die Gemeinde einen neuen Kindergarten bauen müsse, um den Bedarf an Ganztagsbetreuung zu sichern.

Vor allem aber wehren sich die Gemeinderäte gegen Kuttlers Vorwürfe. Es sei ein einmaliger Vorgang, dass ein Bürgermeister das Demokratieverständnis und die Moral seines Gremiums so infrage stelle. Zudem stufe er den Gemeinderat als „lediglich repräsentierendes Gremium“ herunter. Die unangemessene Wortwahl und die Vorwürfe „haben das Vertrauen in eine konstruktive Zusammenarbeit empfindlich gestört“. Kuttler wird aufgefordert, seine Vorhaltungen zurückzunehmen.

Er machte jedoch das Gegenteil. Unter die Stellungnahme der Fraktionen setzte er eine fast drei Seiten lange Antwort in noch schärferem Ton. Kuttlers Meinung nach hätte der Gemeinderat „Größe zeigen können“ und die Eltern um Entschuldigung bitten sowie die Aufhebung des „ungeheuerlichen Beschlusses“ in Aussicht stellen können. Die Ganztagsschule hält Kuttler für eine „Zwangsbeglückung“. Diese Formulierung hatte Kultusministerin Susanne Eisenmann auch gewählt, allerdings, um darauf hinzuweisen, dass das Land den Kommunen drei Wahlmöglichkeiten lässt, darunter die rhythmisierte Ganztagsschule.

Privatkrieg gegen Kuttler

Das Gefechtsfeld hat Kuttler in seiner zweiten Stellungnahme noch erweitert. Er habe das Gefühl, dass manche Gemeinderäte nach wie vor einen „Privatkrieg“ gegen ihn führten und das Ergebnis der Bürgermeisterwahl nicht akzeptierten. Er dagegen komme den im Wahlkampf geäußerten Wünschen nach, auch mal „klare Kante zu zeigen“ und „auf den Tisch zu hauen“. Am Ende empfiehlt er dann doch, man möge sich wieder zusammenraufen: „Lassen Sie uns wieder Vertrauen aufbauen.“

Doch die Kluft ist groß. Kuttlers ersten Angriff habe man als Beleidigung empfunden, berichtet Siegfried Albrecht. Man verstehe auch nicht, warum Kuttler beim zweiten Mal so „garstig“ reagiert habe und die Räte aufgefordert habe, „sich mit Demut zu entschuldigen“. Im Ältestenrat gab es am Montagabend eine erste Aussprache. Im Landratsamt liegt seit einigen Tagen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Kuttler vor. Diese wurde von einem Bürger eingereicht. Etwas ratlos beobachtet Schulleiter Udo Gehrmann den Streit. Der sei unnötig, weil man das Konzept mit den Eltern erarbeiten wolle.

Parallel zu der Auseinandersetzung zwischen Kuttler und Gemeinderat bewegt das Thema weiterhin die Gemüter der Eltern. Man werde bei der nächsten Gemeinderatssitzung Präsenz zeigen, sagt Ingmar Jenz, der Sprecher einer Interessengemeinschaft ist. Die Mehrheit der Eltern habe sich aus gutem Grund zwei Mal gegen die Ganztagsschule ausgesprochen. Der Gemeinderat habe aber genau das Gegenteil des Elternwillens beschlossen. Daran habe sich auch jene Fraktion beteiligt, die Bürgerbeteiligung groß auf ihre Fahnen geschrieben habe.

Bürgermeister Gerhard Kuttler
Bürgermeister Gerhard Kuttler