Zwischen Neckar und Alb
Den Fahrtwind im Haar und Hölderlin im Ohr

Pandemie Die Theaterspinnerei Frickenhausen hat mit einer kulturell untermalten Rikschafahrt durch das Neuffener Tal ein coronasicheres Veranstaltungsformat ersonnen. Von Volker Haussmann

Geht nicht, gibt’s nicht: Mit wahrlich begeisterndem Erfindungsreichtum bahnt sich die Theaterspinnerei im alten Bahnhof in Frickenhausen einen Weg durch die größte Kulturkrise unserer Zeit. Jüngster Geniestreich: eine Rikschafahrt für zwei Personen durchs Neuffener Tal, bei der die Passagiere mit einem Hölderlin-Hörspiel unterhalten werden. „La Chaise Culturelle“ nennt sich dieses völlig neuartige Veranstaltungsformat. Das Ganze klingt abgefahren, kommt beim kulturell ausgehungerten Publikum aber irre gut an. Innerhalb weniger Tage waren die 35 angebotenen Touren ausgebucht. Und das bei einem Preis von 110 Euro pro Fahrt.

Zunächst sah es für die Theaterspinner noch im Herbst so aus, als hätten sie mit ihrem kurzfris­tig aus der Taufe gehobenen Theaterspaziergang „Himmel über Hölderlin“ eine wasserdichte Lösung gefunden, mit der sie den coronabedingten Ausfall ihres Theaterstücks „Der goldene Topf“ hätten kompensieren können. Der Hölderlin-Spaziergang lief prächtig – bis zum Lockdown im Dezember. Seitdem ist das kreative Trio auf finanzielle Unterstützung von Bund und Land angewiesen, was aber keineswegs zufriedenstellend funktioniert, wie Nüßle anmerkt. Noch hoffen die Theaterspinner darauf, ihren Hölderlin-Spaziergang wenigstens ab Anfang Juli auf der Oberensinger Höhe bei Nürtingen anbieten zu können. Die Route für den 3,5 Kilometer langen Theaterspaziergang steht, 70 bis 80 Teilnehmer sollen pro Durchgang daran teilnehmen können. Sollte die Teilnehmerzahl wegen der Pandemie begrenzt werden, hofft Jens Nüßle, dass sich der Aufwand dann trotzdem noch rechnet.

Da vorläufig in der Angelegenheit aber gar nichts geht, hat sich Nüßle an die Rikscha erinnert, die er sich aus China hat kommen lassen. Im Dezember hat er sie bestellt, im Februar ist das original chinesische Fortbewegungsmittel angekommen. Nüßle hatte ursprünglich damit bezweckt, auch älteren oder gehbehinderten Personen eine Teilnahme am Hölderlin-Spaziergang zu ermöglichen.

Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt mit der Rikscha, genauso lang wie das Hölderlin-Hörspiel. Dieses wird per Funk auf Kopfhörer übertragen und besteht aus den Einspielungen des Hölderlin-Spaziergangs, ergänzt durch live aufgenommene Spielszenen (gespielt von Jens Nüßle und Susie Rosina Pochert). Start ist am Linsenhöfer Sportplatz. Von dort geht’s etwa zwölf bis 15 Kilometer auf und ab durchs Neuffener Tal. Nüßle selbst tritt in die Pedale des Pedelecs, das mit Fahrer und Passagieren circa 300 Kilo auf die Waage bringt. Aus diesem Grund findet – zumindest derzeit noch – nur eine Tour pro Tag statt. Wegen der enormen Nachfrage denkt Nüßle drüber nach, eventuell auch zwei Touren pro Tag zu fahren, vorausgesetzt der Rikscha-Akku spielt mit.

Genial ist die Rikscha-Hölderlin-Tour nicht zuletzt deswegen, weil damit die Corona-Auflagen eingehalten werden können: Es treffen sich zwei Personen eines Haushalts mit einer weiteren, nämlich dem Fahrer – also Nüßle. Sicherheitshalber wurde eine Plexiglasscheibe zwischen Fahrer und Passagieren eingebaut. Letztere müssen auch keine Maske tragen und können sich unterwegs den im Preis inbegriffenen Piccolo schmecken lassen.

Für die Theaterspinnerei ist der Erfolg „ein Rettungsanker“, wie Nüßle sagt. „Wir wären auf Grund gelaufen, wenn wir das nicht gemacht hätten. Ich plane schon weitere Touren, die landschaftlich reizvoll sind, zum Beispiel auf den Höhen über Köngen oder zwischen Nürtingen und Tübingen am Neckar entlang.“ Auch eine Mörike-Tour kann er sich vorstellen oder eine Schwäbische-Heimat-Tour. Alle Infos gibt es unter www.theaterspinnerei.de.